Wenn Franz Beckenbauer einen halben Hakuho wert ist, zeigt das die falschen Argumente der Kritiker des Freihandels.
Wenn Fritz und Paul Fußballsammelbildchen tauschen, darf man vermuten, dass am Ende beide zufrieden sind. Ein Manuel Neuer mag dann zwei Bilder von Mario Götze wert sein. Vielleicht muss Paul aber noch einen Mesut Özil drauflegen. Oder er zückt als Joker das historische Bild von Franz Beckenbauer. Wie auch immer Fritz und Paul sich freilich einigen, am Schluss werden beide sicher sein, einen guten Tausch gemacht zu haben. Gegen einen solchen unschuldigen Tausch zweier Buben hat niemand etwas einzuwenden.
Wenn Fritz nicht mit Paul Sammelbilder tauscht, sondern mit seinem japanischen Brieffreund Itaru, dann ist ein deutscher Beckenbauer vielleicht nur noch einen halben Hakuho wert, den erfolgreichsten, wenngleich alternden Star unter den Sumo-Ringern. Aber auch Fritz und Itaru werden zufrieden sein, ein gutes Tauschgeschäft gemacht zu haben.
Demonstrieren in billigen Pullovern aus China
Mehr braucht es eigentlich nicht, um zu verdeutlichen, warum der internationale Handel beiden Seiten Vorteile bringt und warum Handelshemnnisse schädlich sind. Im Kern geht es auch im grenzüberschreitenden Handel immer darum, dass Menschen Dinge austauschen und sich über den Preis einigen – so wie Fritz und Itaru über den Wert eines Beckenbauers oder Hakuhos verhandeln. Was soll an solchem Austausch schädlich sein?
Den Gegnern des Freihandels aber ist das nicht genug. Es lässt sich ja auch leicht gegen Handelsabkommen sein, wenn man sich mit den in China gefertigten billigen Handys schnell zur Demo verabreden kann und für preiswerte Pullover und T-Shirts aus Südostasien wenig Geld ausgeben muss.
Die Argumente gegen den Freihandel werden dadurch freilich nicht besser. Alles überragend ist die Angst, dass Arbeiter und Unternehmen eines Landes nicht gut genug sein könnten, um gegen die Konkurrenz aus dem Ausland zu bestehen. Das ist ein ziemlich deprimierendes Argument. Die Kritiker des Freihandels reden so sich selbst und ihre Mitbürger klein. Zum Glück ist ihre Sorge nicht berechtigt. Eine Situation, in der ein Land nur Waren exportiert und das andere Land nur im Ausland einkauft, kann es dauerhaft nicht geben. Denn wer etwas verkaufen will, der muss dem anderen auch die Möglichkeit geben, Geld zu verdienen, sonst kann er seine Waren nicht verkaufen. Selbst wenn die Deutschen in allem schlechter wären als etwa die Chinesen, müssten sie also nicht befürchten, dass ihnen die Chinesen nichts mehr abkaufen würden. Diese Einsicht ist alt, sie geht mindestens auf den englischen Ökonomen David Ricardo 1817 zurück.
Man kann sich das auch anders vergegenwärtigen. Wenn die Chinesen Waren in Europa verkaufen und im Gegenzug Euro erhalten, könnten sie die Euro bunkern – was ihnen auf Dauer aber nichts bringt. Das Euro-Papiergeld nutzt ihnen erst, wenn sie damit Güter oder Dienstleistungen kaufen. Am Schluss kommt das Geld so wieder als Nachfrage in Europa an, in einer vielfältigen Welt eventuell indirekt, auf Umwegen über andere Länder, aber am Ende eben doch. Mit dieser Einsicht bricht zugleich das merkantilistische Argument in sich zusammen, dass der Handel nur dann hilfreich sei, wenn man dem anderen mehr verkauft als umgekehrt.
Schlafen hinter Schutzwällen
Eine weitere Angst vor dem Freihandel ist, dass “die anderen” uns die Arbeit wegnehmen könnten. Das ist so pauschal etwas oberflächlich. Wenn der Handel immer wechselseitig als Import und Export verlaufen muss, dann ist generell nicht zu befürchten, dass nur noch in einem einzigen Land gearbeitet werden wird. Was aber passieren kann, ist, dass die Produktion mancher Güter sich zum Teil oder auch ganz ins Ausland verlagert und so regionale oder sektorale Arbeitslosigkeit entsteht. Ist das ein Argument für die Abschottung oder für Schutzzölle?
Ebenso unsinnig wäre die Forderung, dass jeder Arbeitsplatz in Deutschland eine Bestandsgarantie vor inländischer Konkurrenz erhalten sollte. In einer lebendigen Wirtschaft kann es einen solchen Schutz nicht geben, sei es gegenüber inländischen oder ausländischen Konkurrenten. Und gäbe es ihn, wäre er hochgefährlich und schädlich. Hinter den Schutzwällen würden die Unternehmen erschlaffen und die Arbeitsplätze erst recht in Gefahr geraten. Wenn überhaupt, dann ist das Risiko von Anpassungsarbeitslosigkeit ein Argument für begrenzte Übergangshilfen, nicht aber für Abschottung. Am wenigsten ist den Arbeitslosen geholfen, wenn man ihnen die Möglichkeit nimmt, billige Güter aus China oder anderswo zu kaufen.
Mit den neuartigen Freihandelsverträgen, die auch Nebenbedingungen des Handels regeln, kommen nun neue Argumente gegen den Freihandel auf. Eines lautet, dass nur die Güter und Dienstleistungen gut und sicher genug seien, die heimischen Produkt- und Qualitätsstandards entsprechen. Das ist eine Anmaßung. Amerika, Kanada und anderen Ländern wird damit automatisch unterstellt, dass sie in Sachen Verbraucherschutz nachlässig seien. Gerade Europa sollte da nicht zu sehr auf dem hohen Ross sitzen. Der Volkswagen-Dieselskandal flog in den Vereinigten Staaten auf – und nicht durch die ach so strengen deutschen Verbraucherschützer und Regulierer.
Wenn Mitbürger angeblich zu dumm sind
Die neue Kritik verschiebt die Diskussion in einer wichtigen Nuance. Das klassische Argument für den Freihandel ist, dass Verbraucher selbst wählen können, welche Güter sie national oder international kaufen oder tauschen wollen. Die neuen Argumente gegen den Freihandel aber setzen nun darauf, dass die Verbraucher gerade nicht selbst entscheiden können und vor dem Konsum ausländischer Waren geschützt werden müssen. Die Kritiker des Freihandels halten ihre Mitbürger also für zu dumm, um über ihre Einkäufe selbst zu bestimmen. Fritz darf nicht mehr entscheiden, welche Sumo-Bildchen er mit Itaru tauscht. In einer Marktwirtschaft, die zumindest dem Grundgedanken nach auf der Verbrauchersouveränität beruht, überzeugt das kaum.
Der klassische liberale Vorschlag gegen solche Bevormundung ist: Öffnet die Grenzen, aber verpflichtet die Hersteller, auszuweisen, ob sie inländischen oder ausländischen Qualitäts- und Produktstandards folgen. Dann können die Verbraucher selbst entscheiden, was ihnen lieber ist. Den nationalen Regierungen und Behörden ist das natürlich nicht recht. Ihre eigene Regulierungsarbeit stünde auf einmal unter Wettbewerbsdruck. Es könnte sein, dass die heimischen Verbraucher doch lieber ausländische Produkte und Standards bevorzugten. Das aber ist der wichtigste Vorteil des echten Freihandels: Dass er scheinbare nationale Gewissheiten auf die Probe stellt.
David Ricardo: On the Principles of Political Economy and Taxation, London 1817.
Dieser Text erschien am 30. Oktober als „Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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