Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Ein neuer Hieb aus der BIZ

In der Auseinandersetzung um die Frage, ob Zentralbanken die Finanzstabilität in ihre Zielfunktion aufnehmen sollen, wogt es hin und her. Der neueste Hieb kommt aus der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.

 

Viel Tinte ist in den vergangenen Jahren – auch in FAZIT – zu dem Thema vergossen worden: Sollen Zentralbanken die Stabilität der Finanzbranche neben der Stabilisierung des Güterpreisniveaus als weiteres Ziel aufnehmen oder ist die Sicherung der Finanzstabilität eher eine Aufgabe, die durch Regulierung der Finanzbranche erledigt werden sollte?

Ein kursorischer Blick zurück: In der Geschichte der Zentralbanken ist die Finanzstabilität eigentlich das ältere Ziel. Denn das Zentralbankwesen entstand zur Zeit der Edelmetallwährung, und damals diente das Edelmetall als Anker für das Preisniveau. Eine auf Stabilisierung des inländischen Güterpreisniveaus ausgerichtete spezielle Geldpolitik passte nicht in dieses Konzept. Wohl aber findet sich in der Entstehung des Zentralbankwesens durchaus der Gedanke, mit einer Zentralbank das zur Instabilität neigende private Bankwesen zu stabilisieren. Wer sich für diese Geschichte interessiert, mag zu einem Buch von Charles Goodhart greifen, das wohl als Standardwerk auf diesem Gebiet angesehen wird; ein “Klassiker” aus dem 19. Jahrhundert ist Walter Bagehots “Lombard Street”.

Mit dem Ende der Edelmetallwährungen im 20. Jahrhundert verlor das inländische Preisniveau seinen Anker, und da die Stabilität des Güterpreisniveaus als ein erstrebenswertes Ziel galt – hohe Inflation und hohe Deflation sind weder aus praktischer noch aus theoretischer Sicht wünschenswerte Zustände -, wurden die Zentralbanken mit der Aufgabe der Geldwertsicherung betraut – und oft kam explizit oder implizit die Sorge um das Wirtschaftswachstum hinzu. Die Finanzstabilität war in den Industrienationen besonders in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dagegen kein Thema, da damals die Bankbranche hoch reguliert war und Schattenbanken kaum eine Rolle spielten.

Um das Jahr 2000 herum hatte sich ein (weitgehender) Konsens gebildet: Die Geldpolitik kümmert sich um die Geldwertstabilität. Die Stabilität des Finanzsystems, die seit Deregulierungen der Finanzbranche ab den achtziger Jahren als potentielles Problem langsam wieder erkannt wurde, ist eine Aufgabe für Gesetzgeber und Regulierer. Kommt es dennoch zu einer Finanzkrise und einer Rezession, sorgt die Zentralbank durch expansive Geldpolitik für eine wirtschaftliche Erholung. Mit diesem (weitgehenden) Konsens ging man in die große Finanzkrise.

Seitdem wogt in der Fachwelt die Auseinandersetzung um die Frage, ob die Finanzstabilität nicht doch in den Aufgabenkatalog der Zentralbank gehört – vor allem geht es um die Frage, ob die Zentralbank mit Blick auf Gefahren in der Finanzbranche ihren Zins erhöhen sollte, selbst wenn dies mit Blick auf das Güterpreisniveau noch nicht notwendig sein sollte. Ein Konsens ist bis heute nicht erkennbar; im Gegenteil ist es in jüngerer Vergangenheit zu schweren, teils auch öffentlich ausgetragenen Kontroversen gekommen. Auch wenn die Befürworter einer stärkeren Berücksichtigung der Finanzstabilität als Ziel durch die Zentralbank in den vergangenen zwei oder drei Jahren zahlreicher geworden sind, geben sich die Vertreter des Jahr-2000-Konsenses noch nicht geschlagen, wie unter anderem Arbeiten von Lars Svensson (zum Beispiel hier) belegen.

Jetzt ist wieder die andere Seite dran. Andrew Filardo und Phurichai Rungcharoenkitkul aus der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) melden sich mit einer Arbeit zu Wort, die sich mit der amerikanischen Geldpolitik in den Jahren vor dem Ausbruch der Finanzkrise befasst. Das ist ein für Untersuchungen von Ökonomen beliebter Zeitraum, weil es für die Frage, ob die Fed mit einer zu expansiven Geldpolitik in den Jahren nach 2000 zum Ausbruch der Finanzkrise wesentlich begetragen habe, bis heute keine allgemeine akzeptierte Antwort gibt.

Nehmen wir an, eine Zentralbank erhöht mit Blick auf Gefahren für die Finanzstabilität ihren Leitzins, obgleich es aus allgemeiner wirtschaftlicher Sicht hierfür keinen Anlass gibt. Dann stehen kurz- und mittelfristigen Kosten, die aus der Belastung des Wirtschaftswachstums durch die Zinserhöhung anfallen, Erträge aus der Vermeidung einer Finanzkrise gegenüber. Die Frage ist, ob die Erträge höher sind als die Kosten oder ob das Gegenteil der Fall ist – und es kommt bei der Beurteilung der Ergebnisse hinzu, dass solche Simulationen immer mit Schätzproblemen behaftet sind.

Wie auch immer: Die beiden Ökonomen aus der BIZ gelangen zu dem Schluss, dass eine Geldpolitik, die auf Finanzstabilität achtet, auf lange Sicht gesamtwirtschaftlich vorteilhaft ist. Konzeptionell beruht ihre Arbeit auf dem wesentlich in der BIZ entwickelten Finanzzyklus, über den wir in FAZIT bereits berichtet hatten. Da es Studien gibt, die zu anderen Ergebnissen kommen, sind weitere Debatten abzusehen.

Wer hier auf eine klare und endgültige Antwort hofft, wird noch warten müssen. Filardo und Rungcharoenkitkul räumen selbst ein, dass ihre Arbeit keinen Schlusspunkt unter die Debatte setzen dürfte. Und selbst wenn ein neuer Konsens die Geldpolitik auch in der Verantwortung für die Finanzstabilität sehen sollte,  bleibt die Aufgabe, eine solche Politik – in der die Zentralbank im wesentlichen mit einem Instrument (dem kurzfristigen Zins) zwei unterschiedliche Ziele erreichen soll – zu konzipieren und zu operationalisieren. Wir bleiben am Ball.