Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Ein neuer Hieb aus der BIZ

| 14 Lesermeinungen

In der Auseinandersetzung um die Frage, ob Zentralbanken die Finanzstabilität in ihre Zielfunktion aufnehmen sollen, wogt es hin und her. Der neueste Hieb kommt aus der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.

 

Viel Tinte ist in den vergangenen Jahren – auch in FAZIT – zu dem Thema vergossen worden: Sollen Zentralbanken die Stabilität der Finanzbranche neben der Stabilisierung des Güterpreisniveaus als weiteres Ziel aufnehmen oder ist die Sicherung der Finanzstabilität eher eine Aufgabe, die durch Regulierung der Finanzbranche erledigt werden sollte?

Ein kursorischer Blick zurück: In der Geschichte der Zentralbanken ist die Finanzstabilität eigentlich das ältere Ziel. Denn das Zentralbankwesen entstand zur Zeit der Edelmetallwährung, und damals diente das Edelmetall als Anker für das Preisniveau. Eine auf Stabilisierung des inländischen Güterpreisniveaus ausgerichtete spezielle Geldpolitik passte nicht in dieses Konzept. Wohl aber findet sich in der Entstehung des Zentralbankwesens durchaus der Gedanke, mit einer Zentralbank das zur Instabilität neigende private Bankwesen zu stabilisieren. Wer sich für diese Geschichte interessiert, mag zu einem Buch von Charles Goodhart greifen, das wohl als Standardwerk auf diesem Gebiet angesehen wird; ein “Klassiker” aus dem 19. Jahrhundert ist Walter Bagehots “Lombard Street”.

Mit dem Ende der Edelmetallwährungen im 20. Jahrhundert verlor das inländische Preisniveau seinen Anker, und da die Stabilität des Güterpreisniveaus als ein erstrebenswertes Ziel galt – hohe Inflation und hohe Deflation sind weder aus praktischer noch aus theoretischer Sicht wünschenswerte Zustände -, wurden die Zentralbanken mit der Aufgabe der Geldwertsicherung betraut – und oft kam explizit oder implizit die Sorge um das Wirtschaftswachstum hinzu. Die Finanzstabilität war in den Industrienationen besonders in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dagegen kein Thema, da damals die Bankbranche hoch reguliert war und Schattenbanken kaum eine Rolle spielten.

Um das Jahr 2000 herum hatte sich ein (weitgehender) Konsens gebildet: Die Geldpolitik kümmert sich um die Geldwertstabilität. Die Stabilität des Finanzsystems, die seit Deregulierungen der Finanzbranche ab den achtziger Jahren als potentielles Problem langsam wieder erkannt wurde, ist eine Aufgabe für Gesetzgeber und Regulierer. Kommt es dennoch zu einer Finanzkrise und einer Rezession, sorgt die Zentralbank durch expansive Geldpolitik für eine wirtschaftliche Erholung. Mit diesem (weitgehenden) Konsens ging man in die große Finanzkrise.

Seitdem wogt in der Fachwelt die Auseinandersetzung um die Frage, ob die Finanzstabilität nicht doch in den Aufgabenkatalog der Zentralbank gehört – vor allem geht es um die Frage, ob die Zentralbank mit Blick auf Gefahren in der Finanzbranche ihren Zins erhöhen sollte, selbst wenn dies mit Blick auf das Güterpreisniveau noch nicht notwendig sein sollte. Ein Konsens ist bis heute nicht erkennbar; im Gegenteil ist es in jüngerer Vergangenheit zu schweren, teils auch öffentlich ausgetragenen Kontroversen gekommen. Auch wenn die Befürworter einer stärkeren Berücksichtigung der Finanzstabilität als Ziel durch die Zentralbank in den vergangenen zwei oder drei Jahren zahlreicher geworden sind, geben sich die Vertreter des Jahr-2000-Konsenses noch nicht geschlagen, wie unter anderem Arbeiten von Lars Svensson (zum Beispiel hier) belegen.

Jetzt ist wieder die andere Seite dran. Andrew Filardo und Phurichai Rungcharoenkitkul aus der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) melden sich mit einer Arbeit zu Wort, die sich mit der amerikanischen Geldpolitik in den Jahren vor dem Ausbruch der Finanzkrise befasst. Das ist ein für Untersuchungen von Ökonomen beliebter Zeitraum, weil es für die Frage, ob die Fed mit einer zu expansiven Geldpolitik in den Jahren nach 2000 zum Ausbruch der Finanzkrise wesentlich begetragen habe, bis heute keine allgemeine akzeptierte Antwort gibt.

Nehmen wir an, eine Zentralbank erhöht mit Blick auf Gefahren für die Finanzstabilität ihren Leitzins, obgleich es aus allgemeiner wirtschaftlicher Sicht hierfür keinen Anlass gibt. Dann stehen kurz- und mittelfristigen Kosten, die aus der Belastung des Wirtschaftswachstums durch die Zinserhöhung anfallen, Erträge aus der Vermeidung einer Finanzkrise gegenüber. Die Frage ist, ob die Erträge höher sind als die Kosten oder ob das Gegenteil der Fall ist – und es kommt bei der Beurteilung der Ergebnisse hinzu, dass solche Simulationen immer mit Schätzproblemen behaftet sind.

Wie auch immer: Die beiden Ökonomen aus der BIZ gelangen zu dem Schluss, dass eine Geldpolitik, die auf Finanzstabilität achtet, auf lange Sicht gesamtwirtschaftlich vorteilhaft ist. Konzeptionell beruht ihre Arbeit auf dem wesentlich in der BIZ entwickelten Finanzzyklus, über den wir in FAZIT bereits berichtet hatten. Da es Studien gibt, die zu anderen Ergebnissen kommen, sind weitere Debatten abzusehen.

Wer hier auf eine klare und endgültige Antwort hofft, wird noch warten müssen. Filardo und Rungcharoenkitkul räumen selbst ein, dass ihre Arbeit keinen Schlusspunkt unter die Debatte setzen dürfte. Und selbst wenn ein neuer Konsens die Geldpolitik auch in der Verantwortung für die Finanzstabilität sehen sollte,  bleibt die Aufgabe, eine solche Politik – in der die Zentralbank im wesentlichen mit einem Instrument (dem kurzfristigen Zins) zwei unterschiedliche Ziele erreichen soll – zu konzipieren und zu operationalisieren. Wir bleiben am Ball.

 

 


14 Lesermeinungen

  1. […] In der Auseinandersetzung um die Frage, ob Zentralbanken die Finanzstabilität in ihre Zielfunktion aufnehmen sollen, wogt es hin und her. Der neueste Hieb kommt aus der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.   Viel Tinte ist in den vergangenen Jahren – auch … Weiterlesen → von Gerald Braunberger erschienen in Fazit – das Wirtschaftsblog ein Blog von FAZ.NET. Original Artikel anzeigen […]

  2. Gerald Braunberger sagt:

    Kritik von Svensson
    Und hier ist eine Kritik von Lars Svensson an dem von mir vorgestellten Beitrag aus der BIZ:

    https://larseosvensson.se/files/papers/svensson-discussion-of-filardo-rungcharoentkitkul.pdf

    Gruß
    gb

  3. Gerald Braunberger sagt:

    Die Schlacht tobt weiter
    Lars Svensson hat nun auf Kritik an seinem Plädoyer gegen den Einsatz von Geldpolitik zugunsten von Finanzstabilität geantwortet:

    https://larseosvensson.se/files/papers/how-robust-is-result-that-cost-of-leaning-exceeds-benefit-response-to-adrian-and-liang.pdf

    Gruß
    gb

  4. Gerald Braunberger sagt:

    Kreditgeber der letzten Instanz
    Im Zusammenhang mit der Finanzstabilität wird häufig die Rolle der Zentralbank als Kreditgeber der letzten Instanz (“lender of the last resort”) erwähnt. Der Begriff – seinerzeit in einem stärker französisch geprägten Englisch als “dernier resort” – findet sich schon im Jahre 1797 in einem Essay von Francis Baring “Observations of the Establishment of the Bank of England and on the Paper Circulation of the Country”.

    Kennt ein Leser einen noch früheren Verweis auf die Rolle eines Kreditgebers der letzten Instanz?

    Gruß
    gb

    • rum sagt:

      Nein, keinen früheren Hinweis, ...
      … aber im Kontext des Diskonts, im Sinne, dass Banken die schlechst möglichen Wechsel bei der Reichsbank diskontieren. Wechsel zu halten, bedeutet, Kredit zu geben, die Richsbank gibt also Kredit den schlechtesten. Das war schon in der Zeit von Richard Koch. Hat das aber mit Finanzstabilität zu tun? Heute kauft die EZB die besten Papiere, und es wäre eigentlich schrecklich, wenn sie die schlechtesten kaufen würde. Ein anderes Modell, eine andere Ordnung, man kann nicht einfach so vergleichen.

    • MF87 sagt:

      Dernier Resort:Die lebenswichtige Frage ,Die Existenzfrage...
      ob ohne die Kategorie des Heiligen wirtschaftswissenschaftliche Erklärungen oder Deutungen ein Ethik haben können im heutigen gesellschaftliche Verhältnisse ,insbesondere politische Verhältnisse im Aufbruch ,europäisch und außereuropäisch.
      Ein “Dernier Resort”?
      Gibt es ja,wie Weihnachten: ein unfassbares Wunder,ein erstaunliches
      Geschehen…,gibt es ja seit langem.
      Wunderbar erzählt im einer kurz Geschichte:מלכים בי [II Könige,4:1-7].
      Und Blaise Pascal [Penséés] deutet das “Dernier Resort ” im Rahmen der “mérite “:le mérite de congruo und le mérite de condigno.
      Wünsch Ihnen von ganzem Herzen und Frau Orti ein wundervolles Weihnachtsfest!
      Ihr,
      Ben Franken

  5. […] Ein neu­er Hieb aus der BIZ (Deut­sch, faz) […]

  6. MF87 sagt:

    BIS Working Papers No 594 "entzündete" ein Kerzenlicht ins Gedächtnis:
    Das Working Paper No 594 glänzt und leuchtet mathematisch mittels strenger Logik und graphischer”Design”.
    Daher und deswegen :Axel Leijonhufvud’s Artikel “Life among the Econ.”,1973.Erörtert die sogenannte “Econ Tribe ” und ihre Modelbesessen sein oder ein sich auszeichnen .Ironisch und humorvoll!

    • Gerald Braunberger sagt:

      Das ist eine sehr gute Idee. Vielleicht sollte ich zu Weihnachten Leijonhufvuds Artikel vorstellen.
      Hier ist jedenfalls schon einmal ein Link:
      https://www.econ.ucla.edu/alleras/teaching/life_among_the_econs_leijonhufvud_1973.pdf
      Viele Grüße
      gb

    • rum sagt:

      Modelbesessen
      Wenn Ihr Kommentar sich auf meinen bezieht, dann were es nett gewesen, ihn als Antwort zu dem meinen zu stellen. Ich habe den Artikel nur geblättert, schon in der ersten Seite merkt man, dass man da nicht über strenge Logik reden kann: der Autor weiß nicht, was eine (nicht) transitive Relation ist. Die einen mögen die Außenwelt an ihre Modelle anpassen (wollen), die anderen ihre Modelle an der Außenwelt, aber Modelle, eine Vorstellung über Wirklichkeit, Begriffe braucht man, um zu argumentieren und handeln, ich kann mir nicht vorstellen, wie es ohne sie gehen kann. Wenn die heutige Geldpolitik über die Finanzmärkte agieren soll, wenn sie die Konjunktur durch “kontrollierte” Inflation von Waren und stärkere Inflation von Reniditeobjekten beleben soll, dann kann sie sich selbstverständlich nicht viel über Finanzmarktstabilität kümmern.

  7. rum sagt:

    Wie die Zentralbank zu handeln hat, hängt nicht nur vom Ziel der Geldpolitik, ...
    … sondern auch vom Modell der Wirkungsweise der Geldpolitik, das man hat.

    Beide Sachen scheinen sich im 20 Jahrhundert geändert zu haben.

    Man sollte mit ganz grundsätzlichen Fragen anfangen: Was ist das Ziel der Geldpolitik? Warum höhere Zinsen Inflation hemmen? Warum sind niedrige Zinsen gut für die Konjunktur und unter welchen Bedingungen?

    Egal wie einfach die Fragen erscheinen, habe ich den Eindruck, dass es viel Verwirrung herrscht.

  8. MF87 sagt:

    Bauer,Vieh,Händler,Kuh,Pferd und...Banken:Eine tiefgreifende Transformation
    Einst gab es die sogenannte Tertiäre Sektor,dazu gehörten Banken.
    Einst beschäftigte Viehmärkte mir nahezu tagtäglich ,Märkte unter Gott’s Himmel;Bauern,bar Geld,Vieh,Händler,viel Schnaps,Lärm und Geruch einer Viehmarkt eigens,und….Vertrauen,das heißt kein Papier,kein Credit cards ,nur die Menschen ,die Sprache derartigen Märkte und Regionen eigens,und…ja Angebot und Nachfrage bestimmten die Preis mit ein Hände Schlag ,und Zahlungen bar mit Schnaps.Die dienende Banken wie die Rafeissen Bank,die Nederlandse Middenstandsbank,die Coöperatieve Boerenleenbank ,beschäftigten sich mit Bauern die ja ein Kuh oder ein Kalb
    kaufen wollten.
    Heutzutage hat sich vieles geändert ,nicht nur das System,die nationale versus internationale und EU Interessen und Maßnahmen betreffs finanzielle Märkte und monetäre Politik lässt ja gar nicht ein unisono erklingen,könnte auch nicht sein wenn finanzielle Märkte statt die Bürger
    dienen nun die Herrscher sein.
    Der Bauer war einst ein Mensch Viehmarkt beschäftigt und mehr,heute ein Faktor im Agrarwirtschaft und- Politik.
    Heute ändert sich nicht nur die Finanzielle Welt rasch wie so etwas als FinTech klar macht ,wie die europäischen Koordination finanzielle Märkte noch lange nicht klar ist ,die Austausch Kunden -Data Banken nicht nur ein Rechtsstaat unwürdig,aber bereits ein Fakt….und so weiter.
    Da bleibt die Bauer als Mensch,und viele anderen,auf die Strecke.
    Dass beängstigt und verunsichert einer stabilen sozio-wirtschaftlichen Zukunft.

  9. MF87 sagt:

    Wie Ökonomen auf die Welt schauen könnten:Ironie und Selbstspott gehören dazu!
    Eine Wirtschaftsgeschichte kurz und bündig ,wenn sie wollen,sollte denn nicht verpasst werden,voller Ironie ,Humor ,Marx,Kapitalismus und Utopie.
    Ich meine Isaak Babel’s Erzählung: Geschichte eines Pferdes.
    Etwas Linderung im dunklen Zeiten der Umbruch.

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