In manchen deutschen Blogs toben sich seit Jahren vermeintliche Revolutionäre monetären Denkens aus, die traditionellen Ökonomen unterstellen, diese hätten keine Ahnung von Geld, Banken und Geldpolitik. Der Makroökonom Rüdiger Bachmann ist der Auffassung, dass sich der ökonomische Mainstream gegen diese “Neigung zu Obskurem und zur Scharlatanerie” stellen sollte, anstatt sie zu ignorieren oder zu verlachen.
Herr Bachmann, in der „Ökonomenstimme“ sind in den vergangenen Wochen mehrere Beiträge, unter anderem von Dirk Ehnts, erschienen, in denen harte Kritik an der Mainstreamökonomik geübt wird. Konkret geht es um den mit Hilfe von Erkenntnissen aus der Buchhaltung geführten Vorwurf, dass der Mainstream nicht verstehe, wie Geschäftsbanken und Zentralbanken funktionierten. Was sagen Sie dazu?
Ich habe zwei Vorbehalte: Zum einen werden Scheindebatten geführt, zum Teil über unwichtige und semantische Probleme, wie etwa ob Buchungsakte autonom und sozusagen ex nihilo erfolgen. In einem gewissen Sinne: natürlich, ja. Zum anderen reden wir über sehr alte Hüte.
Welche alten Hüte meinen Sie?
Da wird behauptet, Greg Mankiw und andere moderne Lehrbuchautoren wüssten nicht, dass wir in einer Welt mit Fiat-Money und zweitstufigem Banksystem leben, in der erstens die Zentralbanken nichts mehr gegen Geld einlösen müssen wie früher beim Goldstandard, und andererseits Geld eben von Geschäftsbanken durch Kreditvergaben geschaffen wird. Natürlich ist das den Ökonomen bekannt. Genau so ist den Ökonomen bekannt, dass Zentralbanken wie die Fed oder die EZB Zinspolitik und keine Geldmengenpolitik betreiben. Und wenn man Zinspolitik betreibt, muss man die Geldmenge akkommodieren. Insofern stimmt es natürlich, dass die Geschäftsbanken in normalen Zeiten immer an Zentralbankgeld kommen, wenn sie es für Mindestreserven, Bargeldabhebungen oder Überweisungen zu anderen Geschäftsbanken, also alles Dinge, über die eine einzelne Geschäftsbank eben nicht autonom verfügt, brauchen. Die entscheidende Frage ist: Zu welchen Konditionen? Diese Konditionen werden von der Geldpolitik beeinflusst. Deshalb ist die These einer „Geldschöpfung aus dem Nichts“ abwegig bzw. ungebührlich sensationsheischend: Das ist den Ökonomen alles bekannt. Und in der Realität kommen sowieso Kreditvergaberegulierungen und Kreditvergabefriktionen als Einschränkungen für das durch Kredit geschaffene Geld hinzu.
Sie sind Makroökonom. Manche Kritiker argumentieren mit der Buchführung. Lässt sich aus Ihrer Sicht aus dieser Buchführungsdiskussion überhaupt eine Erkenntnis ziehen?
Es ist schon richtig, dass alles, was ein Ökonom über Zentralbanken und Geldpolitik sagt, den Regeln der Buchführung genügen muss. Insofern kann man die Buchführung als eine Art Instrument zur Selbstdisziplinierung ansehen. Aber es wäre absurd anzunehmen, Ökonomen könnten keine Buchführung. Und sowieso kann die Buchführung die ökonomische Analyse nicht ersetzen, die etwa mit den verschiedenen Erwartungen bei den Geschäftsbanken ansetzen muss.
Manche Kritiker des Mainstreams behaupten, dort werde ein unrealistisches Modell des Geldmultiplikators gelehrt, in dem die Zentralbank über die Zuteilung von Zentralbankengeld die Menge des Geschäftsbankengeldes eng und mechanistisch steuern kann. Was sagen Sie dazu?
Ich will nicht bestreiten, dass in manchen Einführungsvorlesungen ein solches Modell noch gelehrt wird. Wenn die Studenten nur dieses Modell kennenlernen sollten, gäbe es tatsächlich ein Problem. Aber die Modelle in Einführungsvorlesungen sind aus pädagogischen Gründen sehr einfach; später lernen die Studenten dann realistischere Modelle kennen.
Das ist nicht überraschend, denn schon vor Jahrzehnten fanden sich in Lehrbüchern realistischere Ansätze zur Theorie des Geldmultiplikators. Wie lehren Sie und andere moderne Makroökonomen heute Geldpolitik?
Man geht am Anfang häufig von einem ISLM-Modell aus, in dem die Zentralbank die Geldmenge bestimmt. Dies geschieht aus Gründen der Vereinfachung. In einem nächsten Schritt werden realistischere Modelle behandelt, indem die Zentralbank zum Beispiel mit einer Taylor-Regel den Zinssatz setzt.
Dem würden die Kritiker entgegenhalten, dass in den Mainstreammodellen mit der Taylor-Regel die Geldschöpfung der Geschäftsbanken nicht explizit betrachtet wird.
Der Widerspruch bei den Anhängern dieser heterodoxen Geldtheorie ist doch: Einerseits sagen sie, dass die Geldschöpfung der Geldbanken wichtig ist. Gleichzeitig behaupten sie, die Geschäftsbanken erhielten immer so viel Zentralbankgeld, wie sie wollten. Wenn dem aber so ist, braucht man keine separate Analyse von Geschäfts- und Zentralbanken, sondern man kann nur mit einer Zentralbank im Modell arbeiten. Dann ist die Frage, zu welchen Konditionen entsteht Geld. Und hier spielt der Zins der Zentralbank eine entscheidende Rolle, und damit sind wir im Standardmodell mit der Taylor-Regel. Die Heterodoxen widersprechen sich aber noch in einer anderen Hinsicht.
In welcher?
Das Standardmodell gilt für normale Zeiten, aber wir haben gelernt, dass es in einer Finanzkrise zu Spannungen am Interbankenmarkt kommen kann. Deshalb arbeiten moderne Mainstreamökonomen an Modellen, die sich mit der Interaktion zwischen Zentralbank und Geschäftsbanken bei solchen Friktionen beschäftigen. Viele Heterodoxe haben dem Mainstream erst vorgeworfen, seine Standardmodelle taugten nicht für eine Krise. Und wenn dann eine Krise da ist, sagen sie: Jetzt müssen wir aber Modelle verwenden, die darauf hinauslaufen, dass sich die Salden der Geschäftsbanken über den Geldmarkt immer ausgleichen. Das ist aber gerade das Modell für die guten Zeiten.
Haben die Heterodoxen Modelle für eine Krise?
Ehnts hat kein Modell. Ehnts hat einen Buchungssatz entdeckt. Am Ende läuft seine Erkenntnis darauf hinaus, dass Zentralbanken keine Geldmengenpolitik betreiben. Das wissen die Zentralbanken und die Mainstreamökonomen seit Jahrzehnten. Grundsätzlich stellen sich für mich aber ganz andere Fragen.
Welche?
Erstens: Warum finden solche Scharlatane überhaupt Gehör? Und zweitens: Warum verteidigen sie sich nicht gegen Kritik? Herr Ehnts ließ sich auf keine Debatten ein weder per Email noch auf “Ökonomenstimme”, sondern empfiehlt, man solle sein Buch kaufen. Für einen Ökonomen, der Professor werden will, ist die Verweigerung einer Diskussion seiner Thesen ein merkwürdiges Verhalten. So etwas kann eigentlich nicht sein. Manche seiner Unterstützer in Blogs führen semantische Diskussionen oder wollen ökonomische Fragen über Buchungssätze klären, mit denen sich die Fragen aber nicht klären lassen. In meiner Erfahrung ist das ein fast typisches Verhalten in der Auseinandersetzung zwischen Mainstreamökonomen und Heterodoxen: Die Heterodoxen wollen oft Scheinprobleme diskutieren. Für mich gehört das zu dem Thema „Fake-News“.
Ist das nicht übertrieben?
Man kann das belächeln, aber nicht nur in Deutschland gibt es die Neigung zum Obskurem und zur Scharlatanerie, sondern auch in den Vereinigten Staaten. Die Kritik am Establishment ist ein Zug unserer Zeit. Die Mainstreamökonomen haben in der Vergangenheit weiß Gott nicht alles richtig gemacht, aber es kann doch nicht sein, dass man heute sein Heil bei irgendwelchen Gurus sucht, die vermeintlich revolutionäre Erkenntnisse verbreiten.
Und was kann der Mainstream tun?
Bisher werden die Gurus vom Mainstream entweder ignoriert oder ausgelacht. Ich finde: Das reicht nicht. Wir müssen dagegenhalten.
Das Gespräch führte Gerald Braunberger.