Nach einem simplen Muster profitieren die Schwellenländer von der Globalisierung. Dies gilt generell, aber nicht für alle Menschen dort. Weil die Politik oft nicht weiß, wie sie handeln soll, entsteht auch in Schwellenländern Kritik an der Globalisierung. Und das ist gefährlich. (Jackson Hole Teil 4).
Die diesjährige geldpolitische Konferenz von Jackson Hole hat sich nicht unmittelbar mit Geldpolitik befasst, sondern mit dem aktuellen wirtschaftlichen und politischen Umfeld. Nachdem wir in den ersten Beiträgen unserer kleinen Reihe die Innovationen in der amerikanischen Wirtschaft, die mögliche Rolle expansiver Finanzpolitik in einer künftigen Rezession sowie die Bedeutung von Leistungsbilanzen behandelt haben, beschäftigen wir uns heute mit dem Thema “Globalisierung und Verteilung”. Zu diesem Thema hat in Jackson Hole Nina Pavcnik vorgetragen, eine ausgewiesene Spezialistin auf diesem Gebiet. Heute geht es nicht um Verteilungsfragen in Industrienationen, sondern in Schwellenländern.
Ein Zitat zur Einstimmung:
“Es gibt eine wirkliche Invasion importierter Produkte, die meisten aus China. Das hat zur Folge, dass wir Tausende Jobs ins Ausland exportieren.”
Solche Sätze kann man häufig in Industrieländern, zum Beispiel in den Vereinigten Staaten oder auch in europäischen Staaten, vernehmen, wo man sich Sorgen um die heimischen Arbeistplätze macht. Tatsächlich aber stammen die Sätze von einem Arbeitgebervertreter aus Brasilien. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, denn Brasilien exportiert viele Güter nach China – aber auch dort hat man Angst vor den Importen aus China. In den Industrieländern stellt man sich häufig vor, wie aufstrebende Schwellenländer wie China generell von ihren Exporten in die reichen Länder profitieren. Und zahlreiche Untersuchungen belegen, dass vor allem Industriearbeitsplätze aus Industrienationen in Schwellenländer abgewandert sind. Was aber häufig nicht gesehen wird: Auch in den Schwellenländern gibt es Widerstand gegen die Globalisierung, selbst wenn eine deutliche Mehrheit der Bevölkerungen internationalen Handel für nützlich hält.
Warum gibt es auch Benachteiligte in Schwellenländern? Eine wesentliche Begründung zeigt auf eine zu geringe Arbeitsmobilität. In vielen einfachen ökonomischen Modellen wird angenommen, dass Arbeitskräfte dorthin wandern, wo sich die attraktivsten Arbeitsmöglichkeiten bieten. Aber dennoch unterbleiben in Schwellen- und Entwicklungsländern solche Wanderungen, was im schlimmsten Fall zur Verelendung führen kann. Ein Grund ist ein Mangel an fachlicher Kompetenz – nicht jeder Arbeitnehmer sieht sich in der Lage, einen Job in der prosperierenden Exportindustrie zu suchen, weil er keine ausreichende Qualifikation hat und sich vielleicht auch nicht ausbilden lassen will. In anderen Fällen sorgt internationaler Handel für starken Wettbewerbsdruck auf heimische Unternehmen auch in ärmeren Ländern, die mit sinkenden Löhnen reagieren, von denen vor allem die weniger ausgebildeten Mitarbeiter betroffen sind. Andere Unternehmen gehen als Folge des Wettbewerbs unter, worauf es gerade den weniger gut Ausgebildeten schwer fällt, einen neuen Job zu finden.
Im Nachhinein ist man bekanntlich immer schlauer. Im Nachhinein kann man sich wundern, dass die Verteilungseffekte internationalen Handels nicht früher gesehen worden sind. Denn: In der ökonomischen Theorie sind solche Verteilungseffekte seit Jahrzehnten bekannt und sie ergeben sich aus Modellen, die zum Standardstoff in der Außenhandelstheorie zählen. Wer nur das Ricardo-Theorem aus dem frühen 19. Jahrhundert kennt, wonach internationaler Handel generell vorteilhaft ist, wird von den Verteilungsfragen noch nichts gehört haben. Wer aber auch nur eine einführende Vorlesung in Außenhandelstheorie gehört hat, wird dem Jahrzehnte alten Heckscher-Ohlin-Theorem (hier von meinem Kollegen Alexander Armbruster auch für Laien beschrieben) begegnet sein. Aus vielen empirischen Untersuchungen ist allerdings auch bekannt, dass der Außenhandel üblicherweise nicht der größte Treiber der Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ist. Das scheint auch kein Geheimnis zu sein: In den Schwellenländern wird die Globalisierung insgesamt deutlich positiver gesehen als in den Industrienationen, auch wenn sich die Kritik heute lauter artikuliert als früher.
Die Frage ist: Was kann man tun? Eine alte Forderung von Ökonomen ist es, die durch den Außenhandel Benachteiligten in irgendeiner Weise zu kompensieren. Auch das Prinzip ist aus der ökonomischen Theorie seit Jahrzehnten bekannt, zum Beispiel in Gestalt des Kaldor-Hicks-Kriteriums, das in vielen Lehrbüchern behandelt wird. Das praktische Problem in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ist, dass dort entweder die notwendigen politischen Mechanismen oder aber der politische Wille nicht ausreichend vorhanden ist – ein Sachverhalt, auf den der Entwicklungsökonom Dani Rodrik schon seit vielen Jahren hinweist. Denn es geht dar nicht einmal darum, die von der Globalisierung Benachteiligten einfach finanziell zu entschädigen; hilfreich könnten staatliche Aktivitäten sein, die eine bessere berufliche Ausbildung ermöglichen oder die Abwanderung aus wirtschaftliche benachteiligten Regionen zu erleichtern. Da wartet viel Arbeit, zumal eine Rückkehr zum Protektionismus die wirtschaftlich nachteiligere Alternative wäre.