In den Vereinigten Staaten ist eine Diskussion über Sexismus in den Wirtschaftswissenschaften entbrannt. Der in Amerika lehrende Ökonom Rüdiger Bachmann sagt: Ja, es gibt Sexismus in der Ökonomik – und nicht nur in den Vereinigten Staaten. Aber manche Kritik ist nicht frei von Scheinheiligkeit.
Herr Bachmann, in englischsprachigen Medien ist die Rede von einem Sexismus-Problem in den Wirtschaftswissenschaften. Aufgehängt wird dies an einer Analyse der Webseite Economic Job Market Rumors, kurz EJMR. Teilen Sie diese Ansicht?
Um es vorneweg ganz klar zu sagen: ja, diese Webseite zieht die übelsten Typen an, die teilweise die übelsten sexistischen, rassistischen, klassistischen Kommentare abliefern. Und ja, ich glaube auch, dass die akademische Ökonomenszene ein Sexismusproblem hat. Ob sie das mehr hat als andere akademische Disziplinen – dafür gibt es zumindest Hinweise in sich nicht verändernden Studentinnenzahlen im Gegensatz etwa zu den MINT-Fächern – oder mehr als andere Branchen, die Tech-Branche macht ja gerade von sich reden – das weiß ich nicht, ist aber letztlich auch nahezu egal, denn wir wollen ja vor unserer eigenen Haustüre kehren.
Die Vorwürfe gegen EJMR gründen auf einer als Arbeitspapier veröffentlichten Untersuchung der Studentin Alice H. Wu. Was ist von dieser Arbeit zu halten?
In der ganzen Diskussion geht doch einiges durcheinander. Das Papier von Wu, das von Justin Wolfers als bahnbrechend für die Sexismusdiskussion in der Ökonomik in der New York Times dargestellt wurde und dann im Netz und auf den Webseiten der großen Printmedien die Runde machte, zeigt zunächst einmal doch nur eines: dass EJMR massive sexistische Elemente hat, was aber jedem, der auch nur zehn Minuten darauf surft, sofort klar ist. Dazu braucht man keinen machine learning Algorithmus, wie ihn das Papier von Wu verwendet. Letztlich zeigt dieses Papier nur, dass der Algorithmus funktioniert, und dass er etwas, was man vorher ganz leicht und intuitiv als sexistisch identifizieren kann, nämlich Teile von EJMR, auch tatsächlich als sexistisch identifiziert. Das ist für eine Bachelorabschlussarbeit sehr gut, aber keine bahnbrechende sozialwissenschaftliche Erkenntnis.
Die spannende Frage ist: Wie repräsentativ ist die Analyse einer Webseite für die gesamte wirtschaftswissenschaftliche Szene?
Schon gar nicht lassen sich Schlüsse von EJMR auf die akademische Ökonomenszene als Ganze ziehen, denn man weiß ja gar nicht, wer da postet, ob das überhaupt akademisch tätige Ökonomen sind, in welcher Häufigkeit die das tun. Vielleicht sind 90 Prozent aller sexistischen Posts von einem Prozent der User gemacht, die wiederum akademisch tätige Ökonomen sein können oder nicht, etc. Wir wissen es einfach nicht. Natürlich verstehe ich, dass es einen schaudern kann bei der Vorstellung, dass man vielleicht bei der nächsten Konferenz am Dinnertisch neben jemandem sitzt, der schlimme Behauptungen über einen auf EJMR verbreitet hat, aber wir sollten auch auf die Wissenschaftler in uns hören, für die das kalte Argument zählt, nicht Gefühle. Dass jetzt so massiv gegen EJMR angegangen wird, hat für mich auch Probleme.
Welche sind das?
Erstens ist wie gesagt die Schlusskette von EJMR auf die akademische Ökonomenszene mehr als fadenscheinig und konterkariert damit das wichtige Anliegen, Frauen stärker in die Ökonomik zu bekommen, und zweitens lenkt sie doch auch ein bisschen vom eigentlichen Problem ab. Es gibt ja wie gesagt den Sexismus. Aber wo gibt es den denn? Wir haben nur eine Nobelpreisträgerin. Wenn ich es richtig sehe, gab es mit Anne Krueger und Claudia Goldin nur zwei Präsidentinnen der American Economic Association, der weltweit größten Ökonomenvereinigung. Dieser Präsident wird jährlich gewählt, da soll mir doch keiner sagen, es hätte nicht genug Gelegenheiten gegeben. Und qualifizierte Frauen kenne ich zuhauf. Und der Verein für Socialpolitik kommt, wenn man die aktuelle designierte Vorsitzende, Nicola Fuchs-Schündeln, mitzählt, auch nur auf zwei Vorsitzende. Schauen wir uns die Editoren bei den sogenannten Top-5-Journalen an, die heutzutage akademische Karrieren nahezu im Alleingang entscheiden: Wenn ich es richtig zähle, dann sind von insgesamt 37 Haupteditoren 8 Frauen, die aber bei nur zwei, dem American Economic Review und der europäischen Review of Economic Studies mit jeweils 4 von 10 konzentriert sind. Drei der fünf Topjournals haben mithin gar keine Frauen als letztentscheidende Editoren, darunter auch das bei der linksliberalen Harvard University angesiedelte Quarterly Journal of Economics. Und wenn man sich die neuen American Economic Journals der American Economic Association anschaut, die alle vier sehr hoch gerankt sind, dann sind es nach meiner Zählung 2 weibliche von 16 Haupteditoren.
Wie sieht es bei der Vergabe von Professuren aus?
Wir in Notre Dame haben uns das mal für eine interne Auswertung angeschaut: bei uns sind 22 Prozent weibliche tenure track Professoren, sicherlich noch viel Raum für Verbesserung. Der Durchschnitt der Top 50 VWL Departments in den USA steht auf 17 Prozent. Und hier ist der Hauptbefund: die Zahlen für die Top-25-Departments und für die reichen (politisch oft sehr im amerikanischen Sinne liberalen) privaten Institutionen liegen unter dem Durchschnitt! Und ich würde wetten, dass das Phänomen bei den Lebenszeitprofessuren, den eigentlichen Entscheidungsträgern in Departments, mindestens genauso scharf auftritt. Mit anderen Worten, es sind dieselben Personen, die sich jetzt in den sozialen Netzwerken über eine am Ende des Tages doch eher unwichtige Webseite wegen deren nicht zu leugnenden partiellen Sexismus echauffieren, die an den Schaltstellen der Macht sitzen, und so viel für Frauen in der Ökonomik tun könnten. Da ist mir bei manchen leider zu viel “value signalling” gegenüber Kollegen dabei und zu wenig action.
Noch mal zu EJMR: Muss man die Seite lesen?
EJMR stellt nicht nur Schlechtes dar: Die Seite stellt ja auch Informationen über viele informelle Dinge in der Ökonomik bereit, auch und gerade über den akademischen Jobmarkt, für die es offensichtlich eine Nachfrage gibt, und die zu befriedigen andere reputierlichere Institutionen bisher nicht geschafft haben. Ich habe das ja mal beim Verein für Socialpolitik mit einem Jobmarktseminar etwas seriöser probiert. Die Frage ist doch, warum gibt es nicht mehr dieser Angebote? Vielleicht weil sich zu wenige der Kollegen in der Nachwuchsarbeit engagieren? Von diesen Informationen dürften übrigens auch Frauen profitieren. Die Seite hat darüber hinaus durchaus einen Wert, wenn es darum geht, zweifelhafte sozialwissenschaftliche Argumentationen, auch und gerade in Spitzenjournalen publizierte, zu diskutieren und, ja, als “bullshit research” blosszustellen. Auch dafür gibt es offensichtlich einen Bedarf, der anderweitig und mit weniger sozialen Kosten bisher nicht befriedigt wurde.
Da äußern Sie sich aber sehr anerkennend über eine Webseite, auf der auch mit Ihnen nicht immer freundlich umgesprungen wird.
EJMR scheint mir auch einen Punkt zu haben mit der Beobachtung von dem, was man Klassismus in der Ökonomik nennen könnte, nämlich die durchaus geringe Bereitschaft unserer professionellen Organisationen und Journale das Spitzenpersonal aus anderen als den immer gleichen Top 10 Departments zu rekrutieren. Und schließlich kann man auf EJMR auch einen – durchaus als Geschmacksache zu verstehenden – speziellen Trollhumor finden, der manchmal sogar kreativ, man kann könnte etwas hochtrabend sagen: spielerisch-postmodern sein kann. Auf jeden Fall gibt es auch dafür offensichtlich eine Nachfrage, und nicht alles, wenn auch zu viel, ist da sexistisch oder anderweitig diskriminierend. Und zu viel Geschmackspolizei ist mir ohnehin zuwider.
Haben es Frauen in den Wirtschaftswissenschaften generell schwerer?
Für mich zeigt sich der vielleicht subtilere, aber viel wirkmächtigere Sexismus in der Ökonomik allerdings weder auf EJMR noch in den äußeren Machstrukturen in unserer Disziplin. Es ist ja durchaus was an der Frage dran, welches Geschlechterverhältnis bei den Journaleditoren oder den Professuren denn optimal oder in irgendeinem Sinne geboten wäre. Ist es immer und überall 50:50? Vielleicht. In welcher Aggregation muss das dann gelten, etc.? Aber gerade was das Geschlechterverhältnis etwa in Kommissionen angeht, kann man der akademischen Karriere von gerade jungen Frauen durchaus schaden, wenn man sie zu sehr als Mitglieder beansprucht; was natürlich nicht heißen kann, Frauen aus Kommissionen draußen zu lassen, im Gegenteil; es zeigt aber wohl, wie komplex das Problem ist. Ich meine den sozusagen Alltagssexismus.
Was meinen Sie damit?
Hier muss ich zugeben, dass ich von meiner Frau gelernt und meine Meinung geändert habe. Ich war auch lange Zeit der Meinung, dass die Ökonomik eine reine Meritokratie ist (sie ist es natürlich in weiten Bereichen, und man soll das Kind wie viele in der Heterodoxie auch nicht mit dem Bade ausschütten), dass sich am Ende das bessere Argument durchsetzen wird, und dass Frauen dieses meritokratische Spiel spielen müssen (und es übrigens auch können), wenn sie dabei sein wollen. Ich war ebenso der Ansicht, dass Vorbildeffekte, die über biologische Äußerlichkeiten und selbst über kulturelle Prägungen funktionieren, und daher die positiven Effekte von Diversität im Lehrkörper überbewertet werden. Diese Meinungen habe ich durch die Diskussionen mit meiner Frau, einer Professorin der Ökonomik chinesischer Herkunft, über ihre Erfahrungen geändert; sie selbst übrigens auch.
Es gibt Schilderungen über den Verlauf ökonomischer Konferenzen, in denen männliche Teilnehmer gegenüber kritischen Anmerkungen weiblicher Kollegen besonders aggressiv aufgetreten sind. Ich habe auch schon selbst erlebt, wie sich auf Konferenzen männliche Ökonomen gegenüber weiblichen Kritikern aufgeführt haben wie Brüllaffen. Sie sind ein regelmäßiger Besucher von Konferenzen. Was ist Ihr Eindruck?
Es gibt ohne Zweifel sowas wie “Mansplaning” gerade bei akademischen Ökonomen, und ich habe mich dessen sicherlich des Öfteren schuldig gemacht (wiewohl ich das auch gegenüber Männern viel zu oft praktiziere). Das stößt Frauen ab. Es gibt in akademischen Departments auch so viele informelle Netzwerke, wo man einfach von Tür zu Tür geht, um strategische und taktische Entscheidungen über das Department vorher im kleinen Kreis abzustimmen. Und – um ehrlich zu sein – in der Praxis geht das bei einem Haufen von Professoren mit starken Willen oft gar nicht anders, aber zu häufig wird da doch an den Türen der Frauen vorbeigegangen. Und das muss sich ändern, wenn man will, dass sich Frauen in unseren Departments gleichberechtigt und heimisch fühlen. Ich habe von weiblichen Kollegen, übrigens außerhalb meiner eigenen Uni, gehört, denen bei Gehaltsverhandlungen mit wiederum nach außen hin sehr linksliberalen Universitätsverwaltungen beschieden wurde, sie habe ja noch einen gutverdienenden Mann zu Hause, da müsse man nicht auf Marktwert erhöhen. Einer anderen wurden unerbeten Ratschläge zu deren Familienzusammenleben erteilt. Und hinzu kommen natürlich ganz unprofessionelle und indiskutable Sachen, wie Anmache bei Recruitingaktivitäten oder einfach das, was man in den USA locker room talk nennt, den ich, anders als die politisch korrekte Sprachpolizei der Linksliberalen, zwar nicht in Bausch und Bogen verurteile, der aber in professionellen Umgebungen einfach nichts verloren hat.
Sie sind Makroökonom. Stimmt der Eindruck, dass auf Ihrem Gebiet besonders wenige Frauen arbeiten?
In der Makroökonomik ist die Attraktivität des Feldes für Frauen offensichtlich noch einmal geringer als für die Ökonomik insgesamt, angesichts der Tatsache, wie wenig Frauen sich in der wichtigen Makroökonomik engagieren. Ich habe da so meine, wenn auch wohl unbeweisbare Theorie, in der die Makro und die Männer allerdings nicht sehr gut wegkommen: Die relative Wichtigkeit dessen, was ich gerne Larry Summers-style Argumente durch Autorität nenne („Ich komme aus Harvard“), in einer wissenschaftlichen Debatte ist in der Makro höher als in anderen Teildisziplinen der Ökonomik, wo die besseren Daten, die bessere Identifikation, das cleverere Experiment, der richtige Beweis, alles was in der Makro aufgrund ihres Untersuchungsgegenstandes eben oft nicht zur Verfügung steht, schon alleine wissenschaftliche Reputation mit sich bringen.
Das wäre ein interessantes Thema für ein weiteres Gespräch. Lassen Sie uns zum Thema Sexismus zurückkommen: Wie sieht es in Deutschland aus?
Ich denke, in Deutschland gibt es die gleichen Probleme, die wahrscheinlich durch verschiedene strukturelle Elemente noch verschärft werden. Die immer noch mangelnde oder in ausreichender Qualität mangelnde Kinderbetreuung, vor allem im sehr frühkindlichen Bereich, ist ein massives Karrierehindernis für akademische Frauen. Sie können heute als Spitzenforscherin kein Jahr Babypause machen, dann sind sie weg vom Fenster. Das mag man sozialromantisch bedauern, und dieser Leistungsgedanke mag manchem SPD-Funktionär fremd sein, es ist aber knallharte Realität.
Könnten die Universitäten gegensteuern?
Die Unis in Deutschland sind immer noch zu starr und unflexibel in ihrer Berufungspolitik, etwa wenn man das Instrument der Paarberufung immer noch kaum kennt und anwendet, ja oft verachtet. Die beste Frauenförderung wäre es, Geld für Professuren für Frauen in die Hand zu nehmen, alles andere ist mit Schröder gesprochen Gedöns. Nur dafür habe ich noch keine Wissenschaftsministerin plädieren hören. Und drittens kommt in Deutschland anders als in den Vereinigten Staaten doch immer noch so ein professoraler Habitus hinzu, der bei vielen, glaube ich, nun einmal immer noch einen weißen Mann impliziert.
Ist das wirklich immer noch so? Das erinnert ja fast an ein Zerrbild des alten Ordinarius.
Das ist ganz schwer zu beschreiben, aber diejenigen, die schon mal auf beiden Seiten des Atlantiks akademisch gearbeitet haben, wissen, glaube ich, ganz gut, was ich meine.
Das Gespräch führte Gerald Braunberger.