Er misst die erwarteten Schwankungen amerikanischer Aktienkurse und gilt als Stimmungsindikator für die globalen Märkte. Nun sorgen Produkte auf den Vix für Verluste und Gerüchte. Eine Erläuterung.
Seit dem Jahre 1993 gibt es ihn nun schon – und viele Jahre fand er nicht sehr viel Interesse. Der Vix – sein vollständiger Name lautet CBOE Volatility Index – wird an der Chicagoer Terminbörse CBOE auf der Grundlage von Optionspreisen für die im berühmten Aktienindex S&P 500 erfassten Aktien amerikanischer Unternehmen berechnet. Er gibt an, wie hoch die von den Käufern und Verkäufern dieser Optionen erwarteten Kursschwankungen amerikanischer Aktien in den kommenden 30 Tagen sind. Ein Maß für Schwankungen ist die sogenannte Volatilität; daher wird der Vix auch als ein sogenannter Volatilitätsindex bezeichnet. Mit Aktienoptionen lassen sich Spekulationsgeschäfte machen; aber überwiegend werden sie von Großanlegern zur Absicherung von Aktienbeständen gegen Kursrisiken eingesetzt.
Der Vix ist ein sogenannter Stimmungsindikator, weil die Ansicht verbreitet ist, anhand seines Verlaufs lasse sich die Stimmung an Finanzmärkten einschätzen. Erwarten die Marktteilnehmer geringe Kursschwankungen, ist der Vix niedrig. Dies gilt als ein Indikator für Gelassenheit oder Sorglosigkeit. Erwarten die Marktteilnehmer starke Kursschwankungen, ist der Vix hoch. Dies gilt als ein Indikator für Nervosität oder im Extremfall Panik. In Finanzkrisen steigt der Vix daher außergewöhnlich stark. Auch wenn die Grundlage des Vix ausschließlich Optionen auf amerikanische Aktien bilden, steht er seit langem im Ruf eines Indikators für die Stimmungslage an den globalen Finanzmärkten. Denn die globalen Märkte werden für gewöhnlich von den Vorgängen am amerikanischen Aktienmarkt stark beeinflusst.
Der Vix ist kein Waisenkind geblieben. Heute gibt es in vielen Ländern solche Indizes zur Messung erwarteter Kursschwankungen. Im Jahre 1994 wurde in Deutschland der V-Dax eingeführt, der auf der Basis von Optionspreisen die erwartete Schwankungsbreite der Kurse der 30 im Dax enthaltenen deutschen Standardaktien misst. Bald nach der Einführung des Vix äußerten in den Vereinigten Staaten große Marktteilnehmer Interesse an Terminmarktprodukten auf den Index. Mit solche Produkten sind sowohl Spekulations- wie auch Absicherungsgeschäfte möglich. Im Jahre 2004 führte die Terminbörse in Chicago Terminkontrakte auf den Vix ein; im Jahre 2006 folgten Optionen.
Das Interesse an Finanzprodukten auf den Vix hat in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen, weil sich in Zeiten sehr niedriger Zinsen vor allem Großanleger auf die Suche nach zusätzlichen Renditequellen begeben haben. Mit Hilfe von Anbietern aus der Finanzbranche und zum Teil höchst komplizierten Produkten und Strategien wurde Volatilität – also erwartete Kursschwankungen – als eine eigenständige Anlageklasse entdeckt. Eine Ratio der Volatilität als eigenständiger Anlageklasse beruht auf historischen Untersuchungen, die Volatilität als eine gute Ergänzung zu einem vorhandenen Aktienbestand beschreiben.
Gleichzeitig nahm in den vergangenen Jahren die erwartete Schwankungsbreite am amerikanischen Aktienmarkt ab, da die Stimmung gut war und sich die Wall Street in einen stabilen Aufwärtstrend begeben hatte. Der Vix zeigte über längere Zeit sehr niedrige Werte an. In dieser Situation entstand die Idee, sogenannte “inverse” Finanzprodukte zu entwickeln, bei denen der Anleger einen Gewinn erzielt, wenn der Vix niedrig bleibt, aber Geld verliert, wenn der Vix steigt. Diese Produkte heißen “invers”, weil bei ihnen die gewöhnliche Logik auf den Kopf gestellt wird: Normalerweise gewinnt ein Anleger Geld, wenn ein Kurs oder ein Index steigt. Im Falle der “inversen” Produkte verliert der Anleger, sobald der Kurs oder Index steigt.
Das in den vergangenen Tagen ins Gerede gekommene Produkt der Credit Suisse, der “Velocity Shares Daily Inverse Vix Short-Term ETN”, mit dem Anleger innerhalb eines Tages gerüchteweise 500 Millionen Dollar verloren haben, ist ein solches Produkt. Diese Produkte galten bisher als völlig legitim; nur muss der Anleger wissen, was er tut. Im Prospekt des von der Credit Suisse angebotenen Produkts steht, dass es sich nur an Profis wendet. Seit Jahresanfang hat das Produkt einen Kursverlust von 96 Prozent erlitten. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg war im Herbst 2017 die Credit Suisse selbst der größte Anleger in ihrem Produkt, gefolgt von der Deutschen Bank, der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley und dem großen amerikanischen Hedgefonds Citadel. Nunmehr interessiert sich die amerikanische Börsenaufsicht für das Produkt.
Das in solchen und ähnlichen “inversen” Produkten auf den Vix angelegte Geld wird in der Finanzbranche auf 3 bis 6 Milliarden Dollar geschätzt. Das ist aber nur ein Bruchteil des Geldes, das in den vergangenen Jahren insgesamt in die Anlageklasse Volatilität investiert wurde. Allein Hedgefonds sollen nach Schätzungen rund 2 Billionen in diese Anlageklasse gesteckt haben.
Interessant sind die Wechselwirkungen zwischen dem Vix und den Aktien- sowie sonstigen Finanzmärkten. Der Vix errechnet sich aus Optionspreisen auf amerikanische Aktien; das heißt, er spiegelt die Stimmung am amerikanischen Aktienmarkt wider. Umgekehrt beeinflusst der Vix aber auch den amerikanischen Aktienmarkt und sonstige Finanzmärkte. Erkennbar war dies in der vergangenen Woche, als die Kursverluste an der Wall Street und vielen anderen Aktienmärkten unter anderem mit Nervosität als Folge des unerwartet starken Anstiegs des Vix begründet wurden.
Daher liegt die Frage nahe, ob sich der Vix für Prognosen der künftigen Entwicklung der Aktienmärkte eignet. In den vergangenen Jahrzehnten hat es zahlreiche Überprüfungen der Prognosegüte des Vix gegeben. Das Ergebnis ist widersprüchlich: Oft erwies sich der Vix als brauchbar, aber zuverlässig ist er nicht. Daher wäre es voreilig, als Folge des kürzlichen starken Anstiegs des Vix bereits das Ende der jahrelangen Hausse an der Börse auszurufen.
Häufig untersucht wurde in den vergangenen Jahren die Rolle des Vix für die globalen Finanzmärkte. So hat die französische Ökonomin Hélène Rey einen sogenannten globalen Finanzzyklus identifiziert. Er beruht darauf, dass in vielen Regionen der Welt gleichgerichtete Kapitalströme zu beobachten sind. So fließt Kapital in Wellen in geographisch weit entfernt liegende Schwellenländer zum gleichen Zeitpunkt hinein und hinaus. Auch lässt sich konstatieren, dass sich rund um den Globus Preise sehr unterschiedlicher Kapitalanlagen häufig in die gleiche Richtung bewegen. Daraus schließt Rey auf einen sehr starken Einflussfaktor auf die globalen Finanzmärkte.
Auf der Suche nach diesem Einfluss stellt Rey eine statistische Beziehung zwischen den Bewegungen in den internationalen Kapitalströmen und Veränderungen des Vix fest: Liegt der Vix im historischen Vergleich niedrig, nimmt das Volumen internationaler Kapitalbewegungen zu. Liegt der Vix hoch, sinkt das Volumen internationaler Kapitalbewegungen. Auch lassen sich Zusammenhänge zwischen dem Vix und dem Kreditwachstum in der Welt sowie Zusammenhänge zwischen dem Vix und Verschuldungsquoten in der Welt nachweisen.
Mit den Turbulenzen der vergangenen Woche ist auch eine seit mehreren Jahren köchelnde Debatte über die Möglichkeit der Manipulation des Vix durch Marktteilnehmer offen ausgebrochen. Der Anwalt Jason Zuckerman behauptet mit Berufung auf einen anonymen Insider, es wäre möglich, durch die Abgabe gänzlich unrealistischer Preisgebote den Vix zu manipulieren, ohne Geld in die Hand zu nehmen, da diese Preisgebote, zu denen kein Geschäft zustande komme, in die Berechnung des Index eingingen. Die Terminbörse in Chicago hat diesen Vorwurf zurückgewiesen. Sie verwies unter anderem darauf, dass Gebote nach Abgabe zehn Minuten gültig blieben und sich der Preis in dieser Zeit stark verändern könne. Da zehn Minuten an einem Terminmarkt ein langer Zeitraum seien, könne sich kein Teilnehmer darauf verlassen, dass sein scheinbar marktfernes Gebot nicht doch zu einem Geschäft führen werde.
Im vergangenen Jahr hatten die Ökonomen John Griffin und Amin Shams in einer Studie einen mit den Vorwürfen Zuckermans vergleichbaren Manipulationsvorwurf erhoben, der seinerzeit von der Terminbörse zurückgewiesen worden war. Die Debatte über Möglichkeiten der Manipulation dürfte weitergehen.
Der Beitrag ist in ähnlicher Form am 15. Februar 2018 im Finanzteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.