Auf einer hochrangigen Konferenz in Frankfurt prallten die Ansichten über Anleihekaufprogramme von Notenbanken zusammen: Während akademische Ökonomen solche Programme für nahezu wirkungslos halten, glauben Vertreter aus der Finanzbranche fest an ihre Wirksamkeit. Wer glaubt, das Anleihekaufprogramm der EZB habe starken Einfluss auf die Renditen von Staatsanleihen, möge die nachfolgenden zwei Grafiken studieren.
Eine gerade in Deutschland beliebte Kritik am Anleihekaufprogramm der EZB lautet: Mit diesem Programm erleichtert Mario Draghi den Südländern die Finanzierung ihrer Staatsschulden, unter anderem, indem der Renditeabstand zwischen Staatsanleihen aus dem Süden und deutschen Bundesanleihen durch das Kaufprogramm künstlich niedrig gehalten wird. Aber stimmt das überhaupt?
Nachfolgend kommt eine Grafik, die Daniel Gros, der Leiter des Brüsseler Think Tanks CEPS, auf der von Volker Wieland organisierten jährlichen Konferenz der “ECB Watcher” in Frankfurt präsentiert hat. Sie zeigt die Entwicklung der Renditeabstände zwischen langfristigen Staatsanleihen aus Deutschland einerseits und Italien sowie Spanien andererseits im Zusammenhang mit drei wichtigen Ereignissen der vergangenen Jahre.
Mit dem Ausbruch der Eurokrise waren diese Renditeabstände im Jahre 2011 deutlich gestiegen. Daraufhin bot die EZB den Geschäftsbanken im Dezember 2011 und Februar 2012 großzügig Zentralbankgeld an. In der Fachsprache werden diese Geschäfte als “LTRO” bezeichnet, im deutschen Sprachgebrauch bürgerte sich die Bezeichnung “Dicke Berta” ein. Weil der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy damals öffentlich feststellte, nun könnten die Banken mit dem Zentralbankgeld großzügig Staatsanleihen aus ihren jeweiligen Ländern kaufen, werden die damaligen Geschäfte an den Finanzmärkten auch “Sarko Trade” genannt. Daraufhin fielen die Renditeabstände für ein paar Monate, ohne die alten Vorkrisentiefstände wieder zu erreichen, und bald darauf verschärfte sich die Krise ein weiteres Mal.
Dies bewog Mario Draghi im Sommer 2012 zu seiner berühmten Londoner Rede (“whatever it takes”), der im September 2012 die Ankündigung des vor allem in Deutschland sehr umstrittenen OMT-Programms folgte, das unter bestimmten Umständen den Ankauf von Staatsanleihen in Bedrängnis geratener Euro-Staaten vorsieht. Danach setzte ein mehrere Jahre dauernder Rückgang der Renditeabstände ein, der von nicht wenigen Anhängern und Gegnern von OMT vor allem auf die Ankündigung dieses Programms zurückgeführt wird. Denn konkret angewendet wurde dieses Programm noch nie; noch keine einzige Anleihe wurde im Rahmen von OMT gekauft. Das ist ein bemerkenswerter Befund – auch für die Bewertung des aktuellen Ankaufprogramms.
Das aktuelle Ankaufprogramm begann im Frühjahr 2015 und in dessen Rahmen kaufen die nationalen Notenbanken des Eurosystems. Die EZB selbst kauft überhaupt keine Anleihen, worauf Gros zurecht verwies und was üblicherweise nicht erwähnt wird. Nach der üblichen Erzählung werden dadurch die Preise verzerrt und den Südländern die Finanzierung ihrer Staatsdefizite erleichtert.
Dann aber hätten nach dem Beginn des Ankaufprogramms die Renditeabstände zwischen Deutschland einerseits und Italien sowie Spanien andererseits sinken müssen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Sie sind in der Tendenz gestiegen!
Auf der Konferenz verwies der niederländische Ökonom Caspar de Vries darauf, dass hier ein Graben zwischen akademischen Ökonomen (jedenfalls solchen, die sich ernsthaft mit Geldpolitik befassen) und vielen Teilnehmern an den Finanzmärkten existiert. Die Ökonomen (jedenfalls diejenigen, die sich ernsthaft mit Geldpolitik befassen) wissen, dass die Effekte von Anleihekäufen gewöhnlich überschätzt werden, während viele Teilnehmer an den Finanzmärkten, die als Ergebnis der Anleihekäufe überall Spekulationsblasen wittern, die Effekte der Anleihekäufe grob überschätzen.
Was man von Finanzteilnehmern hört, sind gelegentlich, aber selten und dann gewöhnlich aus amerikanischen Häusern, ökonomisch bedenkenswerte Analysen (auf der Frankfurter Konferenz kraftvoll vorgetragen von Elga Bartsch). Häufig hört man hingegen aus der Finanzszene mit Blick auf die Anleihekaufprogramme jedoch kaum mehr als Verschwörungstheorien, theoretisch und/oder empirisch unfundierte Vermutungen oder schlicht und einfach Folklore.
Gros’ Grafik ist ein hübscher Beleg für diese These.
In einem späteren Panel trat mit Varadarayan Chari (University of Minnesota) ein international bekannter Makroökonom auf, in dessen Gepäck sich unter anderem auch Grafiken befanden, die im Gegensatz zu den Thesen der “Die-EZB-manipuliert-massiv-die-Renditen-nach-unten”-Truppe stehen. Dabei zeigte Chari mit diesen Grafiken im Grunde lange bekannte Sachverhalte, die aber gerne konsequent ignoriert werden: Die Renditen von Staatsanleihen sind nicht mit den Anleihekäufen in Europa gesunken, sondern schon vorher – und das über Jahrzehnte.
Ganz offensichtlich ist ein sich seit den frühen achtziger Jahren erkennbarer Trend zu sinkenden Renditen von Staatsanleihen in vielen Industrienationen zu beobachten. Die Renditen waren schon sehr niedrig, als das Kaufprogramm im Jahre 2015 begann und interessanterweise sind sie seitdem im Trend nicht mehr gesunken. Über die Gründe für die sinkenden Anleiherenditen seit Jahrzehnten haben wir in FAZIT über die Jahre viel geschrieben (zum Beispiel hier und hier und hier).
Das ist kein Geheimwissen, sondern wird seit Jahren international diskutiert. Auch wenn Anleihekaufprogramme bescheidene Wirkungen auf Renditen haben mögen: Für den säkularen Rückgang der Renditen gibt es andere Gründe.
Und um auch das zu betonen: Es wird hier nicht die These vertreten, Geldpolitik habe keinen Einfluss auf Finanzmärkte. Natürlich übt sie einen solchen aus, wie man zum Beispiel im Anschluss an den Sarko-Trade oder Darghis Londoner Rede sehen konnte. Nur werden halt die Wirkungen von Anleihekäufen durch Notenbanken häufig grob überschätzt.