Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das Anleihekaufprogramm der EZB treibt den Target-2-Saldo

Die Forderungen der Bundesbank könnten bald die Marke von 1000 Milliarden Euro überschreiten. Die Risiken werden häufig überschätzt.

Ende Mai betrugen die Forderungen der Deutschen Bundesbank im Target-2-Zahlungsystem 956 Milliarden Euro. Wahrscheinlich wird dieser Bestand in den kommenden Monaten weiter steigen und die Marke von 1000 Milliarden Euro übersteigen. Dafür dürfte das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgen, das seit mehr als drei Jahren ein wesentlicher Grund für den Anstieg der Forderungen der Bundesbank bildet.

Target ist ein elektronisches System, mit dem die Zentralbanken aus dem Eurosystem, darunter die EZB, die Deutsche Bundesbank, die Banca d’Italia oder die Nederlandsche Bank grenzüberschreitende Überweisungen in der Eurozone abwickeln. Damit sorgen sie dafür, dass Banken, Unternehmen und Privatpersonen Güter-, Kredit- und Wertpapiergeschäfte schnell und zuverlässig in der gesamten Eurozone abwickeln können. Nach Angaben der Bundesbank werden im Laufe eines Jahres über Target 2 annähernd 90 Millionen Zahlungen im Gegenwert von 450 Billionen Euro abgewickelt. Verrechnet werden diese Zahlungen über Konten, die von den nationalen Zentralbanken bei der EZB geführt werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bis zur Finanzkrise waren die Konten der nationalen Zentralbanken bei der EZB nahezu ausgeglichen. Mit der expansiven Geldpolitik nach der Finanzkrise und der damit verbundenen Schaffung neuen Geldes entstanden in den Jahren 2008 bis 2012 hohe Salden – erheblichen Forderungen der Deutschen Bundesbank sowie der Nederlandsche Bank und der Zentralbank von Luxemburg standen hohe Defizite vor allem der Banca d’Italia und der Banca D’España entgegen. Allgemein ausgedrückt, entstehen solche Salden, wenn die Schaffung und die Verwendung von bei der Zentralbank gehaltenem Geld regional auseinanderfallen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese hohen Salden führten zu einer lebhaften Diskussion in Deutschland über ihre Entstehung und ihre Dauerhaftigkeit. Im Nachhinein zeigen empirische Arbeiten, dass seinerzeit mit dem Ausbruch der Euro-Krise vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, erhebliche Kapitalflucht aus Südeuropa in den Norden der Währungsunion die Salden im Target-2-System getrieben hatte. So war es nicht erstaunlich, dass nach Mario Draghis berühmter Londoner Rede im Jahr 2012, in der er ankündigte, die EZB werde alles in ihrem Mandat Stehende tun, um den Euro zu erhalten (“whatever it takes”), die Target-2-Salden mit der nachfolgenden Beruhigung an den Finanzmärkten ein Stück weit zurückgingen.

Seit Anfang 2015 steigen die Salden wieder, und es dürfte kein Zufall sein, dass dieser Anstieg mit dem im März 2015 initiierten Anleihekaufprogramm der EZB zusammenfällt. Ein ähnlicher Zusammenhang ist seit Jahren aus Amerika bekannt. Auch dort existiert ein nationales, von den regionalen Distriktbanken der Federal Reserve (Fed) getragenes Zahlungssystem. Die wichtigste Distriktbank ist die Federal Reserve Bank of New York. Ihr Saldo zeigt zwischen 2008 und 2014, als die Fed drei Anleihekaufprogramme durchführte, in der Tendenz einen spürbaren Anstieg ihres Saldos. Die amerikanischen Salden sind nicht so hoch wie die Eurosalden, da einmal jährlich ein Ausgleich zwischen den regionalen Distriktbanken stattfindet, für den es in der Eurozone kein Pendant gibt. Aber der Ausgleich verhindert nicht, dass sich seit Beginn der expansiven Geldpolitik auch in den Vereinigten Staaten immer wieder beachtliche Salden gebildet haben.

Damit ist nicht gesagt, dass die Target-2-Salden in der Eurozone alleine von Anleihekäufen bestimmt werden. Es kursieren Gerüchte über Kapitalflucht aus Italien seit der Installierung der neuen Regierung. Unter Kapitalflucht wird üblicherweise die Verlagerung von Bankguthaben ins Ausland verstanden. Aber die Statistiken der Banca d’Italia über Bankeinlagen von Unternehmen und Privatpersonen können derzeit keine Hinweise auf eine eventuelle aktuelle Kapitalflucht liefern, da die neuesten Daten aus dem April stammen. In Notenbankkreisen ist zu hören, man habe aktuell keine Informationen über eine bedeutende Kapitalflucht aus Italien und in einer aktuellen Analyse gelangt auch die französische Investmentbank Natixis zu diesem Schluss. Was man seit Beginn des Anleihekaufprogramms beobachten kann, ist eine stärkere Internationalisierung in der Anlagepolitik von Großanlegern. So haben italienische Großanleger, die im Rahmen des Anleihekaufprogramms Papiere an die Banca d’Italia verkauft haben, einen Teil ihres Geldes in anderen europäischen Ländern investiert. Aber erstens läuft dieser Prozess seit mehr als zwei Jahren und zweitens wird auf ihn üblicherweise nicht der Begriff Kapitalflucht angewendet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für die Eurozone lässt sich seit 2015 ein bemerkenswert stabiler Zusammenhang feststellen: Mit jeder Milliarde Euro Anleihekäufe im Rahmen des EZB-Programms steigen die Salden im Target-2-System um rund 300 Millionen Euro, von denen rund 200 Millionen Euro auf die Bundesbank entfallen. Dies erklärt sich aus der traditionell führenden Rolle Frankfurts als kontinentaleuropäischem Finanzplatz für Finanzgeschäfte aus anderen Teilen der Welt. Im Rahmen des Anleihekaufprogramms werden Anleihen aus allen Eurostaaten mit Ausnahme Griechenlands erworben.

Alle italienischen Anleihen werden von der Banca d’Italia erworben. Die Bundesbank kauft ausschließlich Bundesanleihen, aber viele aus der Eurozone stammenden Banken, die der Banca d’Italia Anleihen verkaufen, haben in der Eurozone ein Bankkonto in Frankfurt. Das heißt, in Italien entsteht durch den Anleihekauf neues Geld, das aber von den Anleihe verkaufenden Banken in Frankfurt auf Konten bei der Bundesbank gehalten wird. Verrechnet wird dies durch das Zahlungsverkehrssystem Target 2, in dem die Forderungen der Bundesbank und die Verbindlichkeiten der Banca d’Italia gegenüber der EZB zunehmen.

Seit Jahren finden Diskussionen über die Werthaltigkeit von Target-2-Forderungen statt. Mit Debatten über einen Austritt Italiens haben sie Nahrung erhalten. Nach einem populären Irrtum müssten die Forderungen der Bundesbank nach einem Euroaustritt Italiens um mehrere hundert Milliarden Euro wertberichtigt werden. Dies ist unzutreffend; die Bundesbank hat aus Target-2 keine direkte Forderung gegen Italien. Es gilt das Prinzip: Target-2-Forderungen bestehen gegenüber der EZB und sind für die Höhe der potentiellen Risiken aus Target-2-Verbindlichkeiten anderer Länder unerheblich. Da die Bundesbank die Forderungen gegen die EZB hält, setzte eine Wertberichtigung den Untergang der EZB voraus.1)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das finanzielle Risiko der Bundesbank (und damit Deutschlands) ist ein indirektes. Die EZB hält aus einem alten Kaufprogramm italienische Anleihen über 50 Milliarden Euro, und sie besitzt eine Forderung aus Target-2 über zuletzt 465 Milliarden Euro gegenüber der Banca d’Italia. Nach einer interessanten Studie des Analysehauses Oxford Economics hätte die EZB selbst im Falle eines Austritts Italiens aus dem Euro keine Notwendigkeit, eine Wertberichtigung auf ihre Forderung gegenüber der Banca d’Italia vorzunehmen, denn diese Forderung ist zeitlich unbefristet – es existiert keine Tilgungspflicht – und sie ist unverzinst. Eine Target-2-Verbindlichkeit ähnelt einer Nullkuponanleihe mit ewiger Laufzeit.

Nach einer kräftigen Abwertung einer neuen Lira dürfte Italien als Standort dann so attraktiv sein, dass Kapital aus dem Norden der Eurozone ins Land fließt. Auf diese Weise würde sich der Target-2-Saldo reduzieren, kalkuliert Oxford Economics. Was der EZB bliebe, wären italienische Anleihen über 50 Milliarden Euro, die wertberichtigt werden müssten – und über ihren Anteil an der EZB wäre davon dann auch die Bundesbank betroffen. Es bliebe ein erheblicher Schaden, aber man wäre weit von Verlusten in dreistelliger Milliardenhöhe entfernt.2)
Nachtrag: 6. Juli: Ende Juni beliefen sich die Target-Forderungen der Deutschen Bundesbank auf 976 Milliarden Euro nach 956 Milliarden Euro Ende Mai. Die Marke von 1000 Milliarden Euro könnte schon Ende Juli überschritten werden – aber Vorsicht: Es ist auch schon vorgekommen, dass Target-Forderungen der Bundesbank vorübergehend gesunken sind.
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1. Dass aus den Bruttosalden für sich genommen keine Risiken entstehen, zeigt ein Gedankenexperiment. Wenn das Euro-System eine andere interne Neuorganisation seiner Aufgaben beschlossen hätte und Wertpapierkäufe sowie Zahlungen nicht mehr über nationale Zentralbanken, sondern alleine über die EZB im Frankfurter Ostend vorgenommen würden, hätte sich an der wirtschaftlichen Lage im Euroraum nichts geändert. Aber es gäbe keine nationalen Target-Salden! Vielmehr fänden sich alle Aktiva des Eurosystems und das von ihm geschaffene Geld komplett in der EZB-Bilanz. Und dann wäre offensichtlich, dass die Risiken nichts mit der Höhe der Bilanzsumme oder von Salden zu tun hätten, sondern alleine aus der Qualität der Aktiva entstammten. Die Risiken der Bundesbank (und damit Deutschlands) wären alleine aus ihrer Beteiligung an eventuellen Verlusten der EZB ableitbar.
2. Der bekannte italienische Ökonom Luigi Zingales hatte Ende Juni in einem Interview mit der F.A.Z. darauf verwiesen, dass deutsche Verluste aus Target 2 im Zusammenhang mit einem eventuellen italienischen Euro-Ausstieg in Deutschland überschätzt würden.