Auf der aktuellen Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik haben zwei junge Ökonomen einen Preis für eine Arbeit erhalten, in der sie sich empirisch mit einer sehr wichtigen Frage befassen: Inwieweit berücksichtigen Konsumenten Konjunkturprognosen für die Bildung eigener Erwartungen über ihre wirtschaftliche Zukunft?
In modernen makroökonomischen Modellen haben die Erwartungen der Menschen über die wirtschaftliche Zukunft eine große Bedeutung, weil sie – zumindest in der Theorie – schon das heutige wirtschaftliche Geschehen beeinflussen. Denn rationale Teilnehmer am Wirtschaftsleben, seien sie Unternehmer oder Konsumenten, werden bereits ihr heutiges Verhalten anpassen, wenn sie annehmen, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Zukunft ändern wird.
Dieser Zusammenhang zwischen Gegenwart und Zukunft ist ein Grund für die Attraktivität von Konjunkturprognosen. Aber eine wichtige Frage bleibt: Es ist zwar weitgehend unumstritten, dass professionelle Teilnehmer am Wirtschaftsleben wie Unternehmer, Manager oder Finanzmarktteilnehmer solche Prognosen zur Kenntnis nehmen. Aber gilt das auch für Konsumenten? Bekommen Konsumenten solche Prognosen überhaupt mit und, wenn ja, was tun sie damit?
Christopher Roth und Johannes Wohlfart haben im vergangenen Jahr diese Frage mithilfe eines Experiments untersucht, indem sie 1124 Amerikaner – alle vollbeschäftigt und durch ein spezialisiertes Forschungsinstitut ausgesucht und mit unterschiedlicher Ausbildung und Beschäftigung versehen – mit Konjunkturprognosen konfrontiert und ihre Reaktionen abgefragt haben.
Hier sind ein paar Ergebnisse der Arbeit:
- Die Prognosen wurden von vielen Personen für ihre eigene Erwartungsbildung genutzt. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass erstens diese Prognosen bisher nicht genutzt wurden und zweitens, dass diese Prognosen als nützlich angesehen wurden. Das heißt: Die Konsumenten sind rational in dem Sinne, in dem sie neue Informationen verarbeiten – das ist eine wesentliche Annahme in vielen ökonomischen Modellen. Aber eine zweite Annahme in vielen Modellen, nach denen Konsumenten alle wichtige Informationen sofort kennen und verarbeiten, bestätigt sich nicht, denn vielen Konsumenten waren die in dem Experiment zur Verfügung gestellten Konjunkturprognosen gar nicht bekannt. “Our findings are inconsistent with more traditional models of full-information rational expectations”, schreiben die Autoren. “Taken together, these findings are consistent with models in which agents form their expectations rationally upon receiving new informaton, but are imperfectly informed either due to infrequent updating of information sets as in models of sticky information.”
- Die befragten Konsumenten waren, bevor sie mit den Prognosen der Konjunkturforscher konfrontiert wurden, für die wirtschaftliche Entwicklung der Vereinigten Staaten im Durchschnitt sehr viel pessimistischer als der Durchschnitt der Konjunkturforscher.
- Zudem war die Streuung der Prognosen unter den Konsumenten deutlich größer als die Streuung unter den Konjunkturforschern. Nachdem die Konsumenten die Prognosen der Konjunkturforscher verarbeitet hatten, reduzierte sich die Streuung ihrer Prognosen erheblich. Daraus lässt sich nicht nur ableiten, dass die Konsumenten in der Lage sind, für sie bedeutende Informationen als solche zu erkennen (was im Widerspruch zu einem Teil der Literatur steht), es zeigt auch ein gewisses Vertrauen der Konsumenten in die Kompetenz der Konjunkturforscher. Hielten die Konsumenten die Forscher für inkompetent, würden sie ihre Erwartungen nicht anpassen.
- Die Konsumenten sehen offenbar, anders als in der Theorie angenommen (“Phillips-Kurve”), keinen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit. Die Erwartung einer Rezession mit höherer Arbeitslosigkeit geht bei ihnen nicht mit der Annahme einer rückläufigen Inflation einher.
- In einer anderen Hinsicht aber verhalten sich die Konsumenten so, wie es das Lehrbuch erwartet: Sie schließen aus Annahmen über die Gesamtwirtschaft konsistent auf ihre eigene Situation. Das heißt, Menschen mit einer niedrigeren Bildung/Ausbildung sehen in einer Wirtschaftsschwäche für ihren Job eine größere Gefahr als Menschen mit einer höheren Bildung/Ausbildung. Tatsächlich werden in einer Rezession üblicherweise zunächst Menschen mit einer schwächeren Qualifikation entlassen.
Gestern begann in Freiburg die Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik, der wichtigsten Vereinigung deutschsprachiger Ökonomen. Auf den Jahrestagungen werden mehrere Preise verliehen. Die vorliegende Arbeit erhielt den Reinhard-Selten-Preis, mit dem herausragende Arbeiten junger Ökonomen ausgezeichnet werden. “Well deserved – big fan of this paper”, kommentierte der Makroökonom Rüdiger Bachmann auf Twitter.