Sparprogramme sind in Verruf geraten. Dabei tut Staaten Bescheidenheit manchmal gut.
Von Lars P. Feld
Austerität ist etwas Schreckliches. Verbunden wird damit die Politik von Reichskanzler Brüning, Massenarbeitslosigkeit und Armut, nicht zuletzt aber das Aufkommen des Nationalsozialismus. Abgesehen davon, ob solche Vereinfachungen gerechtfertigt sind – in der heutigen Zeit wird der Begriff regelrecht inflationär verwendet. Jegliche Konsolidierung der öffentlichen Finanzen wird zur Austerität, jede Ausgabenkürzung in irgendeinem Bereich.
Diese Begriffsverwirrung löst die Wissenschaft leider nicht auf. So geht es zum Beispiel in dem Buch „Austerity – The History of a Dangerous Idea“ des britischen Politökonomen Mark Blyth. Er beschreibt Austerität als eine Form freiwilliger Deflation, in der Löhne, Preise und Staatsausgaben gesenkt werden. Blyth’s Analyse dreht sich jedoch fast ausschließlich um die Staatsverschuldung. Löhne, Preise und Wettbewerbsfähigkeit werden kaum angesprochen. Die Unterschiede zwischen leichten Ausgabenkürzungen und harten, tief einschneidenden Konsolidierungsmaßnahmen werden nicht deutlich. Die Staatsverschuldung zu reduzieren erscheint durchgehend als gefährlich. Dabei ist dies zuweilen die einzige Möglichkeit, die staatliche Zahlungsfähigkeit und den Zugang zu den Kapitalmärkten zu sichern. Doch das lässt Blyth unberücksichtigt. Vielmehr beklagt er eine „unheilige Allianz“ von Ordoliberalen, der österreichischen Schule, dem Monetarismus, dem Washington Consensus, der Neuen Politischen Ökonomie und einer Gruppe von Absolventen der Universität Bocconi.
Die Frankfurter Politikwissenschaftler Thomas Biebricher und Frieder Vogelmann legen in „The Birth of Austerity“ nach. Sie schreiben insbesondere dem Ordoliberalismus eine bedeutende Rolle bei der Geburt der Austerität zu. Dabei haben viele Ordoliberale kaum etwas zur Fiskalpolitik geschrieben, für Walter Eucken haben wir das kürzlich in einem Arbeitspapier festgestellt. Vielmehr unterstützte Eucken auf einer Geheimkonferenz der List-Gesellschaft im September 1931 den Lautenbach-Plan, der höhere Staatsverschuldung vorsah, also expansive Fiskalpolitik, damit der Staat mit dem zusätzlichen Geld die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen könne. Biebricher und Vogelmann konstruieren Euckens vermeintliche Ablehnung expansiver Fiskalpolitik daraus, dass er sich für Preisstabilität einsetzte und das wettbewerbliche Preissystem lobte. Nach dem Krieg veranlasste ihn dies in einer ganz anderen Situation zu einer Warnung vor der Idee der Vollbeschäftigungspolitik.
Austerität ist mehr als einfache Konsolidierung
Die italienischen Ökonomen Alberto Alesina, Carlo Favero und Francesco Giavazzi klären in „Austerity“ hingegen auf, was unter Austerität zu verstehen ist, was sie von normalen Konsolidierungen unterscheidet, warum und in welchen Situationen sie nötig wird und unter welchen Umständen sie erfolgreich ist. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder die Methode ihre Analysen kritisiert. Jetzt stellen sie sich dieser Kritik und arbeiten mit einem umfangreichen Datensatz heraus, inwiefern man auch in so schwierigen makroökonomischen Fragen mit guten statistischen Techniken klären kann, welchen Einfluss Austerität auf die Wirtschaftsleistung hat.
Austerität ist nicht einfach Konsolidierung, sondern eine Politik, die auf einen deutlichen Abbau des Staatsdefizits abzielt. Diese Politik muss nicht auf der Ausgabenseite allein ansetzen, sondern kann durch Steuererhöhungen umgesetzt werden. Diese Politik ist nicht immer schädlich, denn in vielen Fällen sind das Steuersystem und die Ausgabenstruktur ineffizient und wenig zielgerichtet ausgestaltet. Alesina und seine Kollegen zeigen, dass Ausgabenkürzungen im Durchschnitt weniger schädlich sind und sogar das Wirtschaftswachstum steigern können, nämlich dann, wenn in anderen Bereichen der Wirtschaft die Güternachfrage schnell genug wächst. Dies kann geschehen, wenn die Nachfrage aus anderen Ländern kommt oder wenn Unternehmen mehr investieren, weil sie glauben, dass der Staat effizienter wird.
In der Diskussion um Austerität spielt die EU-Schuldenkrise eine große Rolle. Vernachlässigt wird dabei häufig, dass die Staatsverschuldung reduziert werden muss, wenn die Zahlungsfähigkeit eines Staates in Frage steht. Der Staat kann seine Schulden nicht vergrößern, wenn es niemanden gibt, der von außen als weißer Ritter einspringt. Bei einem Staatsbankrott sind die Auswirkungen auf die Wirtschaft eines Landes in der Regel desaströser, die resultierende Austerität viel stärker, als wenn sich ein Staat in einer Schuldenkrise durch geeignete Ausgabenkürzungen oder durch Steuererhöhungen in den Schuldenabbau begibt.
Sparen sollte man, bevor die Krise kommt
Dass die Staatsverschuldung zu hoch ist, sollte man nicht erst durch eine Schuldenkrise festlegen. Dann ist es häufig schon zu spät, um mit günstigeren Maßnahmen gegenzusteuern. Die Finanzmärkte reagieren oft spät auf übermäßige Verschuldung, dann aber mit starken Ausschlägen in den Zinsen auf die Staatsschuld. Umschuldungen oder Schuldenschnitte werden notwendig. Es ist bereits ein erstes Indiz, dass eine Konsolidierung nötig wird, wenn der Trend der Staatsschulden in Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Konjunkturverlauf ansteigt, ohne dass das durch besondere Ereignisse wie Kriege oder Naturkatastrophen bedingt ist.
Wie viel Zins der Staat zu zahlen hat, spielt dabei natürlich eine Rolle. Doch dass die Zinsen in einer Situation unter der Wachstumsrate liegen, erlaubt noch keine höheren Schulden. Beruhigung ist erst angezeigt, wenn dies langfristig der Fall ist, wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten, die die Reservewährung der Welt bereitstellen und sich deshalb leichter verschulden können. In allen Ländern ist das Zinsniveau abhängig von der Höhe der Staatsverschuldung. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion können nicht damit rechnen, in eine so gute Lage wie die Vereinigten Staaten zu kommen. Denn sie müssen ihre Schulden mit Geld bezahlen, das sie nicht selbst herstellen können. Das gilt sogar für Deutschland.