Die Topverdiener in Amerika wollen alle in denselben Städten leben. Andere Orte haben das Nachsehen. Von Winand von Petersdorff
Als das Internet groß wurde, war die Entwicklung mit der Vorstellung verbunden, dass Tele-Arbeit die Zukunft sei: Die Leute würden zu Hause vor ihren Computern sitzen, Blaupausen und Software entwickeln und sich nur gelegentlich in der Firma blicken lassen. Diese Spezialisten würden über das Land verteilt wohnen, wo es ihnen gefällt. Die individuelle Ortswahl hätte eine Verteilung der Tele-Arbeiter über die Fläche begünstigt, so lautete die Vision.
Das Gegenteil ist eingetreten. Vor allem hochqualifizierte Spezialisten sind nach ihrem Studium in wenige ausgewählte Städte und Metropolregionen gezogen. In den Vereinigten Staaten sind das die Großräume um San Francisco, Los Angeles, New York, Boston und Washington. Diese Städte haben vor allem eines gemeinsam: In ihnen konzentriert sich das Wirtschaftswachstum der Vereinigten Staaten weitgehend. Während ganze Regionen zurückbleiben, geht in den sogenannten Superstar-Städten die Post ab.
Statt sich übers Land zu verteilen, ballen sich die Spezialisten in diesen wenigen Großstädten an den Küsten. Ein Beispiel für die Entwicklung liefert der Abschlussjahrgang 2017 der Eliteuniversität Yale: Mehr als die Hälfte der Absolventen zogen in die fünf genannten Superstar-Städte San Francisco, Los Angeles, Boston, New York und Washington. Die meisten von ihnen begannen ihre Karriere in einem besonderen Segment des Dienstleistungssektors, der sich durch mehrere Faktoren definiert.
Die Arbeitnehmer in diesem Sektor sind besonders qualifiziert. Sie können mindestens einen Hochschulabschluss vorweisen. Und ihre Kenntnisse und Dienstleistungen werden überdurchschnittlich häufig international gehandelt. Software-Ingenieure, Unternehmensberater, Rechtsanwälte und Finanzspezialisten sind prominente Beispiele für diese Spezialisten-Gruppe.
Diese Gruppe hat einen außergewöhnlichen Aufstieg erlebt. Ihre Gehälter sind seit 1980 deutlich stärker gewachsen als im Rest des Dienstleistungssektors.
Die Erwartung allerdings, dass wegen der guten Bezahlung insgesamt mehr Leute in diesen Sektor drängen würden, erfüllte sich nicht. Während vor allem die Beschäftigung in den niedrig bezahlten Service-Berufen anschwoll, blieben die Spezialisten weitgehend unter sich.
Eine Erklärung liefert dafür die “Superstar”-Theorie, die der Ökonom Sherwin Rosen zu Beginn der achtziger Jahre vorgeschlagen hat. Ihr zufolge bewirkt der technologische Wandel in der Kommunikationstechnologie, dass Superstars aus der Musik, dem Filmgeschäft oder dem Sport ein deutlich größeres Publikum bedienen und damit größere Anteile der Erlöse einsacken können. Weniger talentierte Sportler oder Künstler allerdings haben das Nachsehen. Sie werden von Superstars verdrängt. Analog können dank moderner Internettechnik die hochqualifizierten Dienstleister größere Märkte bedienen, höhere Einkommen beanspruchen und weniger talentierte Konkurrenten überflüssig machen. Sie werden reicher, ohne dass sich ihre Anzahl nennenswert vergrößert.
Ihre besondere Verdienstentwicklung spiegelt sich in der Einkommensverteilung. Im Jahr 1980 stellten die “Superstars” 25 Prozent der Spitzenverdiener in Amerika. 30 Jahre später gehörten schon 55 Prozent der Spitzenverdiener (gemeint ist, gemessen am Einkommen, das oberste Prozent der Beschäftigten) zu dieser ausgewählten Gruppe, während ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung in diesem Zeitraum gleich blieb. Die Fähigkeit dieser Gruppe, die modernen Informationstechniken zur Ausweitung ihrer Märkte zu nutzen, liefert zumindest eine Teilerklärung für die wachsende Ungleichheit in den Vereinigten Staaten.
Die Einkommensentwicklung dieser Gruppe ist nicht nur für sich genommen bemerkenswert in einer Volkswirtschaft, in der die Löhne in den vergangenen Jahrzehnten keine großen Fortschritte gemacht haben. Die Superstars haben die meisten anderen Arbeitnehmer vor allem in den Superstar-Städten abgehängt, in Städten also, in denen die Leute besonders eng nebeneinander leben. In San Francisco, New York und Washington sind die Löhne der Spezialisten um 50 Prozent schneller gewachsen als die Löhne von anderen dort wohnenden Beschäftigten. Mediziner beispielsweise verzeichneten zwar ebenfalls ein Einkommenswachstum, jedoch weitgehend unabhängig von der Geographie und von Faktoren wie dem Verdichtungsgrad der Stadt, in der sie wohnten.
Eine Erklärung dafür lautet, dass der dramatische Rückgang der Kommunikationskosten offenbar den Produktivitätsvorteil jener Superstar-Städte noch verstärkt hat, die sich ohnehin schon in den achtziger Jahren auf hochspezialisierte Dienstleistungen konzentriert hatten. Höhere Produktivitätszuwächse machen höhere Lohnsteigerungen möglich. Diese wiederum erklären die dramatisch steigenden Immobilienpreise in den auserwählten Städten. Die Entwicklung ist vermutlich noch nicht zu Ende. Mit Fortschreiten des Strukturwandels weg von der Produktion hin zu qualifizierten Dienstleistungen dürfte sich das Wirtschaftswachstum noch stärker auf wenige ausgewählte Regionen konzentrieren, denen es gelingt, die größten Talente der beschriebenen Sektoren anzulocken.
Parallel zum Aufstieg der Spezialisten am oberen Ende der Einkommensskala hat sich noch eine zweite Gruppe im Dienstleistungssektor dramatisch entwickelt. Es handelt sich um die Anbieter persönlicher Dienstleistungen. Sie helfen Personen, die sich das leisten können, die Hunde auszuführen, das Haus sauber zu halten, das Essen zu kochen oder die Fitness zu stärken. Sie putzen, massieren oder helfen, die Finanzen zu ordnen. Manche Autoren sprechen von der neuen Diener-Klasse, andere von Reichtumsdienstleistern. Drei Millionen Menschen arbeiten in diesem Sektor, darunter 280 000 Fitnesstrainer und 100 000 Masseure. Die Gruppe hat sich in den letzten Jahren stark vergrößert. Mit den Dienstleistungssuperstars haben sie gemeinsam, dass sie sich ebenfalls in den Superstar-Städten konzentrieren. Dort sind die Reichen, die ihnen Arbeit geben. Zudem sind sie dort anzutreffen, wo die Reichen Urlaub machen.
Im Unterschied zu den hochqualifizierten Spezialisten sind sie aber in der Regel schlecht bezahlt und können keinen guten Bildungsabschluss vorweisen. Die Entwicklung dieser Gruppe zeigt einerseits, dass sich für Personen ohne gute Ausbildung trotzdem noch Berufschancen ergeben. Zugleich allerdings werden die Chancen vor allem in Orten geboten, die sie sich wegen des geringen Einkommens kaum leisten können.
Literatur:
Fabian Eckert, Sharat Ganapati, Conor Walsh: Driving the superstar economy: Skilled tradable services, Vox CEPR Policy Portal, September 2019.
Mark Muro and Jacob Whiton: Who’s employed by the lifestyles of the rich and famous? Brookings-Blog The Avenue, Juli 2019.
Sherwin Rosen: The Economics of Superstars, American Economic Review, Dezember 1981.