Amerikanische Hochschulen sind weltweit führend. Woran liegt das? Von Jürgen Kaube
Seit längerem schon haben die meisten Spitzenuniversitäten der Welt ihren Standort in den Vereinigten Staaten. Gewiss kann Europa als vergleichbar großer Forschungsraum auf Oxford und Cambridge sowie die London School of Economics verweisen. Es gibt die ETH in Zürich und das Karolinska-Institut in Stockholm, es gibt die französischen Écoles und die TU München. Doch der Vergleich mit der langen Liste von Universitäten wie Princeton, Chicago, Stanford und Harvard, dem MIT und Yale, der Columbia University und Cornell, mit Berkeley, Duke und Pennsylvania State, bestätigt das maliziöse Wort, Amerikas Universitäten seien “durchschnittlich exzellent” (Niklas Luhmann).
Man mag in Deutschland die Leistungen der außeruniversitären Max-Planck-Institute den Universitäten zuschreiben, aus denen ihre Forscher hervorgingen. Das mildert den Abstand zu den Vereinigten Staaten ein wenig. Man mag auch den Preis beziffern, zu dem die amerikanische Exzellenz bewirkt wird: unglaubliche Studiengebühren und eine extreme soziale Ungleichheit beim Zugang zum Spitzenstudium. Die hochrangigen Universitäten geben mehr als 150 000 Dollar pro Student aus, sechsmal so viel wie die amerikanische Durchschnittshochschule. Das ermöglicht an der Spitze eine weltweit herausragende Studien- und Forschungslandschaft.
Wie ist es zu ihr gekommen? 1875 besaßen die Vereinigten Staaten nicht eine einzige Universität von Weltrang. Den ersten Platz nahm Ende des neunzehnten Jahrhunderts Deutschland ein. Eine gängige Erzählung davon, wie sich das änderte, betont den Exodus jüdischer Gelehrter aus dem zunehmend nationalsozialistisch beherrschten Europa nach 1933 und 1939. Zweifellos spielte diese Vertreibung eine Rolle. Aber kann man sich vorstellen, dass allein die österreichische und die deutsche Migration ausschlaggebend waren für den Erfolg eines ganzen Universitätssystems?
Oft wurde auch die gewaltige Forschungsfinanzierung im Zuge des Zweiten Weltkriegs als zusätzliche Erklärung bemüht. Doch tatsächlich beginnen die amerikanischen Universitäten schon vor dieser Zeit die europäischen zu überflügeln.
Zwei Ökonomen der New Yorker Columbia University haben jetzt länger wirkende Ursachen für den Aufstieg von Harvard und Co. ausgemacht. Von ihrer Gründung an dienten die amerikanischen Universitäten nämlich vor allem dem Zweck, Studenten homogenen Glaubens zu unterrichten. Das Studium wurde vom Gesichtspunkt überwölbt, ob man puritanisch (Harvard), presbyterianisch (Princeton) oder anglikanisch (Columbia) verpflichtet war. Die Lehrer hatten glaubensfest zu sein, was sie über Chemie wussten, war nachrangig. Manche unterrichteten fast alles. Die Colleges deckten überdies einen lokalen Bedarf. Die Kombination aus religiöser Zwecksetzung und lokalem Zuschnitt führte dazu, dass viele nordamerikanische Universitäten zum einen staatsfern waren, zum anderen, dass es sehr viele von ihnen gab.
Die Forschung kam an einige von ihnen erst mit dem Eintritt der Cornell und der Johns-Hopkins-Universität, 1865 und 1876. Beide waren finanzkräftig, sowohl durch ihre Gründer wie auch durch staatliche Unterstützung. Cornell stellte sich als erste Hochschule auf die studentische Nachfrage nach Fächern ein, Johns Hopkins rekrutierte nach der wissenschaftlichen Fähigkeit der Hochschullehrer.
Sofort reagierten die Platzhirsche auf diese Konkurrenz. In Harvard und an der Columbia wurden zügig Professionsschulen für Mediziner, Juristen und Geschäftsleute eingerichtet. Fächer wie “Naturphilosophie” wurden in Disziplinen aufgeteilt: von Astronomie über Biologie bis Physik. Aus “Politischer Ökonomie” wurde Wirtschaftswissenschaft, Politologie, Soziologie. Die Universitäten nahmen also die längst vollzogene Spezialisierung des Erkenntnisgewinns auf. Und sie konkurrierten hart um die wenigen Wissenschaftler, die es damals in den Vereinigten Staaten gab. Deren Gehälter stiegen, die Ausstattung verbesserte sich. Die Gründung von Universitäten bedurfte dabei Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Nordamerika nur finanzieller Ressourcen. Der Staat unterstützte, vor allem durch seine Zuwendung von Grundstücken an die Universitäten, er verwaltete die höhere Bildung aber nicht.
Das Wachstum der Universitäten an Zahl und Studenten führte allmählich zu neuen Sortierverfahren, jetzt nicht nach Konfession, sondern nach Status. Es entstanden “Clubs” innerhalb der Universitäten, durch die sich die Sprösslinge reicher Familien vom Rest und auch vom Studium absetzten. Antisemitismus führte zusätzlich zu internen Spannungen. Die Zusammensetzung der Studentenpopulation kam in den Blick. 1919 führte die Columbia University als Erste ein selektives Zulassungsverfahren ein, andere Universitäten folgten sofort. 1926 wurde erstmals ein allgemeiner Zugangstest ausprobiert. Das führte zu einer Häufung der wissenschaftlichen Talente an wenigen Orten und zu einer Rangordnung der Universitäten. Die Studenten kamen nun nicht mehr nur aus der lokalen Umgebung, sondern aus ganz Nordamerika.
Die meisten europäischen Staaten ließen die entsprechende Ungleichheit – und auch Willkür, man denke an den Umgang mit Sporttalenten oder mit Kindern Ehemaliger – nicht zu. Keine einzige spanische Universität findet sich unter den ersten einhundert des derzeitigen “Schanghai-Ranking”, aber vierzig amerikanische. Umgekehrt: Fast alle spanischen Universitäten (83 Prozent) kommen in jenem Ranking vor, aber nicht einmal ein Viertel der amerikanischen.
Bis heute kann darum der Gedanke einer grundsätzlichen Verschiedenheit von Universitäten in vielen europäischen Ländern nur über ungleiche Verteilungen von Forschungsgeldern zugelassen werden. Das Arbeitsrecht verwehrt es überdies oft, die Beschäftigung von den Forschungsleistungen abhängig zu machen. Anstrengungen, die Universität zu reformieren, gehen hier vom Staat aus und betreffen dann auch gleich alle Universitäten. Deshalb kann man sich hierzulande auch so etwas wie einen Exzellenzwettbewerb vorstellen, über dessen Ausgang ministeriell einberufene Kommissionen entscheiden.
In den Vereinigten Staaten hingegen, so die Autoren, handelt es sich beim Erfolg von Hochschulen nicht um “Erfolg durch Planung”, sondern um “Erfolg durch Konkurrenz”. Und zwar durch eine Konkurrenz, die ein sich selbst verstärkendes System der Verteilung der studentischen wie professoralen Talente auf vierzig ausschlaggebende Einrichtungen hervorbrachte. Der Forschung kommt diese Art, Ungleichheit zu akzeptieren, zugute.
Literatur:
W. Bentley MacLeod und Miguel Urquiola: Why Does the United States Have the Best Research Universities? Journal of Economic Perspectives Vol. 35 (Winter 2021).