Dürfen die Gründer von BioNTech reich werden? Von Winand von Petersdorff
Einige Twitter-Seelen konnten ihre Aufregung darüber nicht bezähmen, dass das Unternehmen BioNTech, das den erfolgreichsten Covid-Impfstoff der Welt entwickelt hat, im ersten Quartal mehr als eine Milliarde Euro Gewinn verzeichnete. Das Mainzer Gründerehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci steuert unweigerlich auf ein Milliardenvermögen zu.
Der Nutzen, den die Forscher der Weltgemeinschaft stiften, ist unbestreitbar. Er ist sogar bezifferbar, zumindest für die Vereinigten Staaten. Wegen der schnellen Entwicklung der Impfstoffe von Moderna, BioNTech und etwas später Johnson & Johnson sind die Amerikaner sechs Monate früher geimpft worden als in den optimistischen Szenarien. Den ökonomischen Nutzen dieses Zeitgewinns beziffert Ökonom Casey Mulligan auf 1,8 Billionen Dollar, allein für die USA. Die meisten Amerikaner wurden mit BioNTech geimpft, ein ähnliches Bild zeigt sich in vielen Ländern. Die Entwickler haben der Weltgemeinschaft Billionen gestiftet. Selten waren privater Reichtumszuwachs und gesellschaftlicher Nutzen so offenkundig kongruent. Adam Smith hätte seine Freude.
Allerdings begründet die Kongruenz noch keine Kausalität. Wer die Interviews und Porträts der Forscher analysiert, kommt zum Schluss, dass die Maximierung des Vermögenszuwachses nicht ihr zentraler Antrieb ist. Sie hätten ihre Entwicklungen mit gleichem Eifer vorangetrieben, wenn sie nur die Hälfte damit verdient hätten, steht zu vermuten. Ob das für die Produktionsspezialisten, Logistikexperten, Juristen und kooperierenden Konzerne gesagt werden kann, die geholfen haben, den sensationellen Forschungserfolg in eine global spürbare Größenordnung zu hieven, ist schlicht nicht bekannt, aber nicht zwingend zu vermuten: Der größte Kooperationspartner, Pfizer, ist auf Gewinn aus und entlohnt seine Führungskräfte entsprechend. Das wirft am Rande die Forschungsfrage auf, ob entlang einer verschränkten Wertschöpfungskette alle zu Vermögensmaximierern werden müssen, wenn es ein Glied schon ist und eine angemessene Entlohnung für alle gewährleistet sein soll.
Oder es ist alles noch komplizierter: Pfizers jüngste Erlös- und Gewinnmeldungen haben kritische Reaktionen provoziert, trotz des zweifellos riesigen Beitrags des Unternehmens in der Prüfung, Produktion und globalen Verteilung des BioNTech-Impfstoffes. Im Investorenurteil dagegen macht Pfizer kein tolles Geschäft: Die Aktie steht tiefer als vor der Krise. Holt Pfizer doch nicht das Maximale heraus?
Unabhängig davon haben Forscher schon länger das größere Bild im Blick und damit die Frage: Dämpft die ungleiche Vermögensverteilung das Wirtschaftswachstum, beflügelt sie vielleicht sogar Armut? Wären weniger Milliardäre besser für den Wohlstand einer Gesellschaft?
Ökonomen sind sich nicht einig: Eine Fraktion argumentiert, dass Ungleichheit Wirtschaftswachstum beflügeln kann. Die Logik geht so: Weil Reiche mehr sparen können, haben sie größere Ressourcen, um Geschäftsaktivitäten zu finanzieren. Dazu kommt, dass die Aussicht, besonders reich zu werden, tüchtige Leute ins Land lockt und zu Höchstleistungen animiert. Die Opposition dagegen sagt, große Ungleichheit bremse das Wachstum, weil sie Arme daran hindere, eine finanzielle Basis zu bilden, die es ihnen erlaubt, zu studieren, ein Geschäft zu gründen oder ein Haus zu bauen.
Einen Beitrag zur Debatte liefern die Wissenschaftler Sutirtha Bagchi und Jan Svejnar, die in einer älteren Studie zum Ergebnis kamen, dass weniger das Niveau der Ungleichheit ausschlaggebend ist als die Art und Weise, wie die Ungleichheit und die Vermögensakkumulation in den Händen weniger zustande kam. Wenn die Milliardäre ihr Vermögen ihren politischen Verbindungen verdankten, dann drückte die Vermögensungleichheit auf Wohlstand und Wachstum. Wenn die Milliardäre sich dagegen in Märkten durchsetzen mussten ohne Hilfe von Regierungen, ließ sich dieser dämpfende Effekt nicht registrieren.
Die Forscher hatten für ihre Studie die internationalen Milliardärslisten der Zeitschrift Forbes über 20 Jahre ausgewertet. Sie fanden für den untersuchten Zeitraum von 1987 bis 2007, dass die Vermögensungleichheit in 17 der 23 untersuchten Länder gestiegen war und das hohe Vermögensungleichheit generell einen dämpfenden Effekt aufs Wachstum hatte: je größer der Anteil der Milliardäre am Vermögen eines Landes war, desto schwächer das Wirtschaftswachstum. Einkommensungleichheit oder Armut hatte dagegen keinen negativen Effekt.
Die Forscher fanden, dass in manchen Ländern der Anteil der Milliardäre, die ihren Reichtum politischen Verbindungen verdankten, viel höher war als in anderen Ländern. Als Beispiel nennen sie den mexikanischen Milliardär Carlos Slim Helú, der vorübergehend einer der reichsten Menschen der Welt war. Dank Regierungslizenzen beherrschte er zeitweise den Telefonmarkt und verlangte laut OECD-Analyse höhere Preise für seine Dienstleistung, als in anderen Ländern üblich war. Milliardäre dagegen, die ihren Reichtum ihrem Erfolg im Markt verdankten, hatten dagegen keinen signifikanten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum.
Für den Wohlstand einer Gesellschaft komme es darauf an, wie Vermögen entstehen und wachsen, durch fairen Wettbewerb oder Varianten politischer Korruption, sagen die Forscher. Unproblematisch ist ihr Ansatz nicht. Denn gute und schlechte Milliardäre sind nicht leicht zu trennen. Man mag zustimmen, dass russische und indonesische Oligarchen in die Kategorie der Milliardäre fallen, die dank ihrer Nähe zur Regierung reich geworden sind. Aber verdanken amerikanische Milliardäre ihren Aufstieg nur ihrem Markterfolg?
Die Vereinigten Staaten schneiden in der Studie relativ gut ab, obwohl hier die Vermögenskonzentration besonders groß ist. Die obersten zehn Prozent der Amerikaner vereinigen knapp 80 Prozent des Vermögens auf sich. Besserverdiener konnten ihr Vermögen im Mittel um ein Drittel vergrößern zwischen 2001 und 2016, während die Mittel- und Unterschicht ihr Vermögen schrumpfen sah.
Ein Faktor deutet auf erfolgreiche politische Einflussnahme der Reichen: In den USA hat die Progressivität des Steuersystems in den letzten 50 Jahren abgenommen, zuletzt noch einmal mit der Steuersenkung unter Präsident Donald Trump. Damit ist die Ungleichheit weiter gestiegen. Zudem beklagt der Fiskus selbst, dass ihm die Mittel fehlen, die Steuergesetze gegenüber Reichen durchzusetzen. Amazon konnte über Jahrzehnte Umsatzsteuern vermeiden, indem es Jurisdiktionen gegeneinander ausspielte, schreibt der Ökonom Karthik Ramanna. Kleine Firmen dagegen entrichten die Umsatzsteuern.
Sutirtha Bagchi / Jan Svejnar: “Does Wealth Inequality Matter for Growth? The Effect of Billionaire Wealth, Income Distribution, and Poverty” 2015 Bykarthik Ramanna: The Case for Optimism About America 2021