Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Knöllchenrassismus

Selbst bei Lappalien diskriminieren männliche, weiße Polizisten ethnische Minderheiten. Von Jürgen Kaube

 
Auf die Frage, in welchem Umfang es praktizierte Vorurteile der Polizei gegen ethnische Minderheiten gibt, ist derzeit mit zwei Antworten zu rechnen. Die eine spricht von Einzelfällen, die andere von strukturellem Rassismus. Beide Antworten haben Schwächen. Was die Einzelfälle angeht, so ist unklar, wie viele es davon geben kann, ohne dass auf ein Muster geschlossen werden darf. Insbesondere die nordamerikanischen Statistiken werfen Zweifel auf, ob sich polizeiliches Fehlverhalten – extrem im Fall George Floyd – als individuelle Normabweichung deuten lässt, oder ob es nicht vielmehr einer eigenen Norm folgt.
 
Die Verwendung des Begriffs “strukturell” hingegen lässt offen, worauf das Muster der Diskriminierung beruht. Um welche Strukturen genau handelt es sich? Melden sich zum Polizeidienst vorzugsweise Leute, die schon anfällig für einen “ethnisierenden” Blick auf Verdächtige sind? Oder sorgt erst die alltägliche Bestätigung ethnischer Unterscheidungen für statistische Fehlschlüsse des Typs: “Wenn der Drogenhandel in der Hand einer bestimmten Ethnie ist, dann ist jedes Mitglied dieser Ethnie des Drogenhandels besonders verdächtig”? Ist das Vorurteil also nur juristisch ein Vorurteil, weil die Unschuldsvermutung keine Hautfarben und Herkünfte kennt, aber kriminalistisch trotzdem deutliche Verteilungen vorliegen? Folgen beispielsweise Polizisten, die ihrerseits schwarz sind oder aus einer ethnischen Minderheit stammen, solchen Einstellungen, weil die Polizistenrolle sie nahelegt?
 
Solche Fragen deuten an, wie schwierig eine Überprüfung polizeilicher Vorurteile ist. Eine Studie zweier amerikanischer Ökonomen hat daraus Folgerungen gezogen. Sie hat nämlich vergleichsweise unspektakuläre Polizeientscheidungen untersucht: die Sanktionierung von Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr. Es geht also um Situationen, in denen zumeist kein Höchstmaß an Stress, Gefühlen und Gewalt im Spiel ist.
 
Außerdem geht es in ihr nicht um Verdächtigungen. Der Verstoß gegen das Recht ist vielmehr ganz unzweifelhaft: Die zulässige Geschwindigkeit wurde überschritten. Doch in welchem Ausmaß? Die Ökonomen nehmen in den Blick, dass Polizisten in vielen amerikanischen Bundesstaaten einen Spielraum bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung haben. Da Höhe und Art der Strafen direkt abhängig davon sind, um wie viele “Miles per hour” zu schnell gefahren wurde, hat sich die Praxis etabliert, dass auf den Straftickets oft Geschwindigkeiten angegeben werden, die gerade noch unterhalb der nächsten Schwelle im Strafkatalog liegen. Wer zehn Meilen pro Stunde zu schnell gefahren ist, zahlt 75 Dollar mehr als bei einer Überschreitung um neun Meilen.
Nachweislich häufen sich darum die von den Polizisten protokollierten Geschwindigkeiten unterhalb der kritischen Grenzen, also beispielsweise derjenigen von zehn Meilen. Umgekehrt gibt es nur sehr wenige Tickets, die für Geschwindigkeiten ausgeteilt werden, die knapp oberhalb einer solchen Schwelle liegen.
 
Gefragt wurde nun anhand von Daten der Autobahnpolizei von Florida, wer in den Genuss dieser strafmildernden Behandlung kommt. Wichtig für die Antwort ist, dass es Polizisten gibt, die nichts von dieser Praxis halten. Etwa ein Drittel der amerikanischen Beamten schreibt Tickets, ohne dass sich dabei auffällige Häufungen unterhalb einer Bestrafungsschwelle zeigen. Das lässt den Schluss zu, dass diese Ordnungshüter die tatsächlichen Geschwindigkeiten festhalten. Untersucht man anhand solcher unnachsichtiger Polizisten die Geschwindigkeitsüberschreitungen von weißen Autofahrern und solchen aus Minderheiten, so lässt sich nur eine leicht schnellere Fahrweise der Minderheiten feststellen.
 
Die Ungleichheit in ihrer Bestrafung geht also nur zu einem geringen Ausmaß auf die Ungleichheit ihres Verhaltens zurück. Vielmehr erklärt die Praxis von etwa vierzig Prozent der Beamten das gesamte Ausmaß der ungleichen Bestrafung. Denn Beamte, die nachsichtig sind, neigen dazu, nicht nur, aber vor allem gegenüber weißen Fahrern nachsichtig zu sein. Achtzig Prozent des Unterschieds zwischen der jeweiligen Vergabe von Strafzetteln geht so auf die Polizisten und nicht auf die Fahrer zurück.
 
Anders verhalten sich vor allem weibliche Polizisten und solche, die selbst aus einer Minderheit stammen. Besonders schwarze Polizisten diskriminieren weniger. Wie die Autoren anmerken, schlägt auch das zuungunsten der Autofahrer aus ethnischen Minderheiten aus. Denn weibliche und schwarze Polizisten werden vorzugsweise in Gegenden eingesetzt, in denen der Straßenverkehr stärker von Minderheiten bestimmt ist. Während dort also die Geschwindigkeitsüberschreitungen relativ neutral behandelt werden, treffen in weiß dominierten Gegenden die Autofahrer eher auf weiße, nachsichtigere Polizisten. Es ist mithin die Kombination von Nachsicht und “ethnischer” Begünstigung, die das Problem darstellt.
 
Was lässt sich vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse tun, um diskriminierendem Verhalten entgegenzutreten? Ob Schulung hilft? Die Entlassung derjenigen Polizisten, die am stärksten diskriminieren, würde der Studie zufolge jedenfalls nicht sehr viel ergeben. Deutlich mehr bewirkt, sagen ihre Modellrechnungen, die Erhöhung des Anteils von Polizisten, die aus einer ethnischen Minderheit stammen. Das bestätigt Befunde aus anderen Untersuchungen, dass der Einsatz von mehr schwarzen Polizisten vor allem zu weniger Nachsicht gegenüber weißen Tatverdächtigen führt, während er auf den Umgang mit schwarzen Tatverdächtigen keinen Einfluss hat.
 
Die stärkste Reduktion der ungleichen Behandlung von weißen und minoritären Geschwindigkeitsüberschreitern hätte, den Ökonomen zufolge, aber eine ganz andere und, rechtlich betrachtet, zweifelhafte Maßnahme. Würden nämlich die nachsichtigsten Polizisten stärker in Gebieten mit hohem Minderheitenanteil eingesetzt, wären dort weiße Autofahrer zwar nach wie vor begünstigt, aber die hohe Nachsicht wirkte sich zugleich anti-diskriminierend aus.
Zugespitzt formuliert: Der nachsichtige Polizist ist nachsichtiger als er diskriminierend ist. Jedenfalls im Modell, in dem es einfach ist, Polizisten zu versetzen. In der Wirklichkeit dürfte es schwierig sein, “ist nachsichtig” in eine Personalakte einzutragen und Maßnahmen daran zu knüpfen. Dennoch hat der Hinweis auf die Verflechtung von allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen wie Konzilianz mit diskriminierendem Verhalten seinen Sinn. Ob Polizisten beispielsweise ihre Nachsicht mitnehmen, wenn sie ihre Tätigkeit gegenüber einer anders zusammengesetzten Bevölkerung in einem anderen Quartier ausüben, müsste untersucht werden.
 
 
Felipe Goncalves und Steven Mello: A Few Bad Apples? Racial Bias in Policing, American Economic Review, Vol. 111, 5 (2020)