Wie neue Schläger alte Tennisprofis noch älter aussehen lassen – und was die Welt daraus lernen kann.
Von Winand von Petersdorff
Menschen bilden manchmal über viele Jahre spezielle Fertigkeiten heraus, die durch neue Technologien plötzlich überflüssig oder weniger wertvoll werden. Zwei Ökonomen haben das Phänomen genauer untersucht unter professionellen Tennisspielern. Die Gelegenheit gab ihnen eine Innovation, die sich sehr schnell durchsetzte.
In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren erhielt ein neuer Schläger-Typus Einzug auf den Tenniscourts: Der Composite-Schläger verdrängte in wenigen Jahren den Holzschläger, der seit der Erfindung des Spiels Standard gewesen war. Im Jahr 1976 betrat Harold Head, Luftfahrt-Ingenieur im Ruhestand, die Szene. Er fand sein eigenes Spiel erbärmlich und gab dem Schläger die Schuld. Head hatte als Luftwaffeningenieur bereits nebenher die Ski-Industrie revolutioniert. Er hatte für seine Prototypen Kunststoffe mit Aluminium verbunden und damit eine höhere Flexibilität erreicht als die Holzmodelle.
Er gründete die Firma Head Ski Company, die in ihren besten Jahren 25 Millionen Dollar Umsatz machte. Ende der Sechzigerjahre verkaufte Head die Firma und setzte sich zur Ruhe, um sich unter anderem dem Tennis zu widmen. Die ersten neuen Varianten entwickelte er in der eigenen Werkstatt, später in Kooperation mit der Firma Prince, die er schließlich aufkaufte.
Sein Modell Prince Classic hatte einen deutlich größeren Kopf als die Holzmodelle, war dafür aber leichter, wegen der verwendeten Materialien des Rahmens: Aluminium und Kunststoff. Der Schläger hatte aber vor allem einen größeren “Sweet Spot”, der es erlaubte, den Schlägen mehr Kraft und Drall zu geben. Der erste echte Composite-Schläger Prince Pro kam 1978 auf den Markt. Die Spielerin Pam Shriver war eine der ersten Profis, die das neue Gerät verwendeten und später eine große Karriere hinlegte. Schon 1981 gewann erstmals ein Spieler mit dem neuen Modell bei einem Grand-Slam-Turnier (Brian Teacher in Australien). 1983 war dann schon das letzte Mal, dass ein Spieler mit Holzracket ein Grand-Slam-Turnier gewann: Der Franzose Yannick Noah obsiegte bei den offenen französischen Meisterschaften in Roland Garros. Doch selbst sein Holzschläger hatte da schon Übergröße und Graphit-Bestandteile. Die Holzschläger verschwanden fast komplett und in Windeseile aus dem professionellen Sport.
Die neuen Schläger revolutionierten das Tennis, denn sie änderten das Spiel komplett: Weil die Schläger größer und leichter waren, konnten die Spielern den Bällen deutlich mehr Topspin geben. Die Bälle flogen höher übers Netz, fielen aber steiler herab und blieben so im Feld. Eine weitere Folge der neuen Schläger: Die Bälle hüpften nach dem Aufprall kräftig nach oben, sodass sie schwieriger zu returnieren waren.
Um das Potential des Schlägers allerdings komplett nutzen zu können, mussten die Spieler ihre Spielweise ändern: Sie musste die Position verändern und den Schwung verlängern, den Schläger anders greifen und sich selbst mehr bewegen, um früher bereit zu sein. Das Spiel wurde dadurch deutlich athletischer und schneller. Wer Spiele aus den Sechzigerjahren verfolgte, sah Spieler, die selbst auf professionellem Niveau kaum ins Schwitzen kamen. Mit dem neuen Schlägern kamen das Stöhnen, Ächzen und die ständigen Trink- und Handtuchpausen.
Die Ökonomen stellten gleich mehrere Effekte fest. Große Spieler hatten plötzlich Vorteile. Ihre Größe erlaubte ihnen, den Schwung für Topspin und für Aufschläge besser zu nutzen. In den Holzschlägerzeiten war Größe eher ein Nachteil, die Bälle wurden flacher geschlagen. Der zweite Effekt war, dass junge Spieler in den Ranglisten nach oben preschten. Sie hatten keine Zeit darauf verschwendet, alte Fertigkeiten der Holzschläger-Ära zu lernen. Nach der Einführung der neuen Schläger sank das Durchschnittsalter der 16 besten Grand-Slam-Teilnehmer. Junge Spieler verdrängten ältere Spiele für eine Zeit lang aus den lukrativen Turnieren. In späteren Jahren pendelte sich allerdings wieder die alte Altershierarchie ein. Der Effekt war also nicht von Dauer.
Das heißt, der neue Schläger begünstige nicht per se junge Sportler. Es verschaffte ihnen nur Vorteile, weil sie in ihrer Ausbildung keine Zeit auf die Erlernung von Holzschläger-Fertigkeiten vergeudet hatten im Gegensatz zu den älteren Generationen. Damit wurde ein wichtiges Prinzip der Humankapital-Bildung außer Kraft gesetzt, dem zufolge im professionellen Sport die Spieler mit den Jahren immer besser werden. Jedenfalls galt das bis dahin bis zum Erreichen einer gewissen Altersgrenze.
Erst zwischen 2005 und 2010 waren die alten Verhältnisse annähernd wiederhergestellt. Die Übergangsphase war damit sehr lange: Sie dauerte im professionellen Tennis rund 25 Jahre. Wenn man bedenkt, dass professionelle Spieler im Schnitt sechs Jahre, erfolgreiche Spieler aber im Schnitt 15 Jahre auf Tour sind, dann dauerte die Anpassungszeit an die neuen Schläger zwei bis vier Generationen. Die neue Schlägergeneration trug auch dazu bei, dass alte Profis früher in den Ruhestand gingen, obwohl die Zahl der bezahlten Tennisturniere wuchs.
Die Untersuchung aus der Welt des Tennis zeigt, wie disruptiv Innovationen sein können. Wenn neue Technologien den Arbeitsplatz erobern, dann sehen alte Arbeitnehmer ihre Kenntnisse entwertet. Die Ökonomen nennen als ein weiteres Beispiel für das Phänomen die Technisierung der Landwirtschaft durch Traktoren, die die Landwirtschaft deutlich produktiver machte. Landarbeiter allerdings, die sich auf den Umgang mit Pferden und Zug-Ochsen spezialisiert hatten, sahen ihren komparativen Vorteil schnell schwinden.
Als ähnlich erschütternd wurde von alten Architekten auch das Aufkommen von Computerprogrammen empfunden, die das Entwerfen unterstützten. Studien zeigen, dass jeweils nach dem Eintreffen der neuen Technologie das Durchschnittsalter der Beschäftigten sank. Auf den Bauernhöfen war das genauso wie in den Architekturbüros.
Dieses Phänomen blieb jeweils vorübergehend. Das gilt auch für den Tennissektor, wo im Moment noch alte männliche Profis die obersten Rangplätze einnehmen. Doch ein neuer Umbruch deutet sich nach jüngsten Turnieren an, von dem nicht klar ist, welchen Faktor Innovationen spielen.
Die Ökonomen der Tennisstudie werfen eine zusätzliche Frage auf: Wenn droht, dass sorgsam entwickelte Fähigkeiten entwertet werden im Laufe der Karriere, warum und inwieweit soll man dann überhaupt noch in ihre Aneignung investieren?
Technological Change and Obsolete Skills: Evidence from Men’s professional Tennis. Ian Fillmore/Jonathan Hall, 2021