Vor, während und nach militärischen Konflikten kommt es auf die Wirtschaft an.
Wenn es um Menschenleben geht, ist Geld zweitrangig. Das stimmt natürlich. Der Satz heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass beides – Krieg und Wirtschaft – nichts miteinander zu tun hat. Das Gegenteil ist wahr. Geld, Ressourcen und ökonomische Macht sind entscheidende Faktoren des Krieges, und zwar in allen Phasen militärischer Auseinandersetzungen: als Ursache für Angriffe auf andere Staaten, als Faktor für Sieg und Niederlage und im Nachhinein, wenn es darum geht, welche Folgen ein Krieg verursacht.
Der Wunsch nach Reichtum und Wohlstand ist als Auslöser von Kriegen in der Geschichte der Menschheit eher der Normalfall als die Ausnahme. Die Aussicht auf fruchtbare Böden und neue Anbaugebiete für Nahrung verleitete Völker schon in Frühzeit und Antike zum Angriffskrieg. Die Wikinger machten im Frühmittelalter Raub und Überfall zu ihrem Geschäftsmodell. Und auch später, beispielsweise in der Phase des Merkantilismus, in dem der Export von Edelmetallen oft untersagt war, war die Plünderung eine der wenigen Möglichkeiten, um an bestimmte Materialien zu gelangen.
Otto Neurath (1882–1945), ein in Wien geborener Nationalökonom, „Vollsozialist“ und Vordenker der Kriegswirtschaftslehre betonte stets, „dass Kriege keineswegs nur als wirtschaftsschädigend bewertet, sondern auch deren mögliche positive ökonomische Effekte diskutiert wurden“. So schreibt es Neurath-Biograph Günther Sandner. Die Dissertation des Kriegswirtschaftsökonomen Neurath, der von einer bargeldlosen Naturalwirtschaft in Friedenszeiten träumte, trug den Titel: „Der Krieg als Teil der Erwerbskunst“.
Irgendwie die Produktion aufrechterhalten
Ob wirtschaftliche Motive auch ausschlaggebend für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sind, weiß mit letzter Sicherheit nur Wladimir Putin. Offiziell nennt er die angebliche Nazi-Regierung in Kiew, den erdachten Völkermord im Osten der Ukraine und die vermeintliche Bedrohung für die Sicherheit seines Landes als Kriegsgründe. Zumindest die Ökonomen David Clowes und Jökull Hafthor Johannesson führen die schon viele Jahre andauernde russische Aggression gegen die Ukraine dagegen auf die russischen Interessen als Exporteur von Erdgas und Öl zurück. In einem schon vor der russischen Invasion erschienenen Beitrag argumentieren die beiden Forscher, „dass die Energievorkommen und das Pipelinesystem der Ukraine das Potential haben, eine direkte Wettbewerbsbedrohung für Russlands Energieexporte darzustellen“. Sie schlussfolgern, „dass dies der eigentliche Grund und die Hauptursache für die Annexion der Krim durch Russland und den anschließenden Krieg in der Ostukraine war“. Ob das stimmt? Vielleicht wird es sich niemals aufklären lassen.
Die Motive für einen Krieg spielen keine Rolle, wenn es um den Begriff der „Kriegswirtschaft“ geht. Er bezeichnet vielmehr die innere Organisation eines Landes, das Krieg führt. Alles soll dann ganz darauf ausgerichtet sein, die Produktion und Versorgung unter den erschwerten Bedingungen aufrechtzuerhalten. Nachdem diese Gedanken lange keine Rolle gespielt hatten, tauchten sie während der Corona-Krise plötzlich wieder auf. „Wir sind im Krieg“, befand Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu Beginn der Pandemie. Donald Trump befahl Autoherstellern, in ihren Fabriken Beatmungsgeräte herzustellen. Und der Bonner Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick mahnte im Zusammenhang mit der aus seiner Sicht zu schleppenden Impfstoffproduktion: „Wenn wir wirklich ,im Krieg‘ mit dem Virus wären, dann würde der Staat die Regie übernehmen und alle Ressourcen auf diese zentrale Aufgabe bündeln, Patente übernehmen und die Produktion lizenzieren.“
Die Geschichte, nicht zuletzt die deutsche, ist voll von Beispielen, wie eine Volkswirtschaft in Zeiten echter militärischer Kriege umgekrempelt wird. Zentrale Planung, zum Beispiel in einem Kriegsministerium, ist ein typisches Merkmal. Männer werden von ihren Arbeitsplätzen ab- und in die Armee eingezogen. Dadurch sinkt die Arbeitskraft in der Wirtschaft und oft auch die Produktivität der Industrie. Unternehmen, die dazu in der Lage sind, werden zwangsmäßig oder vor der Drohkulisse einer drohenden Kriegsniederlage darauf ausgerichtet, Waffen, Uniformen und anderes Kriegsgerät zu produzieren. Der Verbrauch von Rohstoffen wird reglementiert und Branchen entzogen, die nichts mit dem Krieg zu tun haben, der Preismechanismus wird ausgesetzt. Es entsteht eine Missallokation, die für Kriegszwecke Sinn ergeben kann, aber die Wirtschaft ansonsten schwächt. Die Nahrungsmittelproduktion wird zudem möglichst hochgefahren, denn ohne gut versorgte Soldaten und eine hinreichend ernährte Bevölkerung ist kein Krieg zu gewinnen.
Jahrelange Wirtschaftsfolgen
Kurzfristig genügen kampfbereite Soldaten, Waffen, gewisse finanzielle Reserven und eine funktionierende Landwirtschaft, um einen Krieg zu führen, wie das aktuelle Beispiel Russland zeigt. Mittel- und langfristig verursacht die Kriegswirtschaft oft Folgen, die zur Krise führen, was für Putin nichts Gutes verheißt: Weil während des Krieges Steuereinnahmen wegbrechen, die Ausgaben aber explodieren, verschulden sich Kriegsregierungen massiv. Sie drucken Geld und nehmen dafür eine höhere Inflation in Kauf. Später müssen sie dann die zusätzlichen Anleihen bedienen und Steuern erhöhen, was die Wirtschaft lähmen kann. Das alles führt zu einem Krisencocktail, der nur durch schmerzhafte Einschnitte, Staatspleiten oder Währungsreformen entschärft werden kann.
Nirgends weiß man das besser als in Deutschland. „Der Erste Weltkrieg bedeutete in der Tat einen schweren und anhaltenden Schlag für die deutsche Produktion, den Arbeitseinsatz und Produktivität“, schreibt der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl (London School of Economics) in einer seiner Kriegsstudien. Die Gesamtproduktion habe einen anhaltenden Rückgang erlitten, „der sich bis weit in die Hyperinflation von 1920-23 hinein nicht umkehren sollte“. Er fasst zusammen, dass eine falsch angewandte Wirtschaftsanalyse kombiniert mit einer Überschätzung der wirtschaftlichen Kriegsführung zur Entstehung eines deutschen Imperialismus beigetragen habe, „die den zweiten deutschen Krieg von 1939 vorwegnahm“. Ein Krieg bereitet also im schlimmsten Fall dem nächsten den Weg – bleibt zu hoffen, dass die für Russland auch wirtschaftlich desaströse Invasion den gegenteiligen Effekt haben wird.
Günther Sandner: Zur politischen Ökonomie des Krieges. Otto Neuraths Kriegswirtschaftslehre als Friedensutopie? In: Die erhoffte „Verbrüderung der Völker“ (2015).
Jökull Hafthor Johannesson, David Clowes: Energy Resources and Markets – Perspectives on the Russia–Ukraine War. European Review, 1–20. (2020).
Albrecht Ritschl: The Pity of Peace: Germany’s Economy at War, 1914–1918 and Beyond, Cambridge University Press, 2005.