Ob Frauen weniger Gehalt bekommen als Männer, das hängt auch von den Werten der Gesellschaft ab – aber nicht nur von den offensichtlichen.
Kann man über die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen noch etwas Neues herausfinden? Es geht! Ein amerikanisches Ökonomenteam hat einen internationalen Vergleich angestellt – und dabei möglicherweise auch einen Hinweis darauf gegeben, wie sich der Gehaltsunterschied verringern lässt.
Dabei ist schon so vieles bekannt. Vor dem 30. Geburtstag verdienen Männer und Frauen in Deutschland sehr ähnlich. Auseinander gehen die Gehälter erst danach, eben wenn die Kinder kommen. Insgesamt und ohne weitere Differenzierung verdienen Frauen in Deutschland je Stunde 18 Prozent weniger als Männer.
Das Statistische Bundesamt versucht auch, die Gehaltsunterschiede auf vergleichbaren Stellen zu berechnen, also wenn Frauen und Männer auf der gleichen Position im gleichen Beruf in gleich großen Unternehmen arbeiten. Danach gibt das Amt einen sogenannten „bereinigten Gender Pay Gap“ an, schränkt aber ein, dass auch diese Zahl die Lücke nicht unbedingt korrekt beziffert: „Der bereinigte Gender Pay Gap ist als Obergrenze für Verdienstdiskriminierung zu verstehen.“ Denn: Die Bundesstatistiker wissen nicht, wer wie viel Elternzeit genommen hat, sie können darum die Berufserfahrung von Männern und Frauen nicht zuverlässig vergleichen. Hamburger Forscher schlossen diese Kenntnislücke vor einigen Jahren und stellten fest: Am Ende betrug der bereinigte Gehaltsunterschied nur noch zwei Prozent.
Müssen sich die Frauen ändern – oder die Unternehmen?
Klar ist auch: Frauen entscheiden sich oft anders als Männer. Gehalt steht bei der Stellensuche für Frauen seltener an oberster Stelle als für Männer. Manchen Frauen sind flexible Arbeitszeiten wichtiger, manchen eine kurze Pendelstrecke, manchen ein gutes Arbeitsklima – all diese Prioritäten werden von Frauen häufiger genannt als von Männern. (Über eine von vielen derartigen Untersuchungen haben wir hier berichtet.)
Das gibt Anlass zur Debatte: Müssen sich Frauen eher so verhalten wie Männer, damit sich die Gehaltslücke vollends schließen kann? Das hieße, dass die Akzeptanz berufstätiger Mütter vor allem im Privatleben steigen muss. Es kommt hier nicht nur auf die Männer an, sondern auch auf Eltern, Hebammen und Erzieher. Oder müssen sich die Unternehmen verändern und beides bieten: sowohl konziliante Arbeitsbedingungen als auch ein höheres Gehalt?
Gesellschaftliche Werte beeinflussen den Gender Pay Gap
Mitten in diese Debatte hinein ist in der vergangenen Woche ein neuer Beitrag erschienen. Natasha Burns, Kristina Minnick, Jeffry Netter und Laura Starks arbeiten an unterschiedlichen Universitäten im Süden der Vereinigten Staaten und haben in einem internationalen Vergleich untersucht, wie der Gehaltsunterschied tatsächlich entsteht. Dazu betrachteten sie nicht nur die klassischen Daten wie Unternehmensgrößen und Branchen. Sie analysierten auch Kultur und Werte in den unterschiedlichen Ländern. Mit den klassischen Daten ließ sich nur knapp die Hälfte des Gehaltsunterschiedes erklären. Als Kultur und Werte hinzukamen, war die Erklärung praktisch komplett – doch in den Werten wartet eine Überraschung.
Dazu muss man wissen, dass gut vergleichbare Gehaltsdaten aus vielen Ländern schwer zu bekommen sind. Die Ökonomen entschieden sich dafür, veröffentlichte Gehälter aus dem Topmanagement zusammenzutragen und zu vergleichen, und zwar aus den Jahren 2004 bis 2016. Die Daten aus dem Topmanagement haben einen Vorteil: Die Aufgaben von Männern und Frauen lassen sich sehr gut vergleichen. Die Aufgaben von Firmenchefs oder Finanzvorständen sind relativ klar, die Verantwortung ist umfassend. Über das Engagement einzelner auf ihren Posten muss man auch nicht länger nachdenken – wer auf der Arbeit nur seine Stunden absitzt, bekommt solche Stellen nicht.
Kultur und Werte ermittelten die Forscher über den „World Values Survey“. Das ist eine internationale Umfrage, für die alle paar Jahre repräsentative Bevölkerungsgruppen in Dutzenden, ganz unterschiedlichen Ländern nach ihren Werten und Einstellungen gefragt werden.
Harte Arbeit senkt den Gender Pay Gap
Die ersten Ergebnisse sind nicht weiter überraschend. Frauen werden besser bezahlt, wenn in ihrem Land die Bildung von Frauen hohes Ansehen genießt. Wenn es gesellschaftlich akzeptiert ist, dass Frauen arbeiten. Ebenfalls nicht überraschend: Wenn in einem Land die Auffassung vorherrscht, dass Männer Frauen und Kinder schlagen dürfen, dann sind auch die Gehälter von Frauen schlecht.
Spannender wird es bei zwei anderen Typen von Werten, die Einfluss auf die Gehaltsunterschiede haben. Der erste ist Individualismus. „Ich möchte lieber ich selbst sein, als anderen zu folgen“ oder „Ich glaube, dass man komplette Kontrolle darüber hat, wie das eigene Leben ausgeht“ lauten die Aussagen, zu denen die Befragten ihre Zustimmung oder Ablehnung äußern konnten. Dabei zeigt sich eine klare Tendenz: Je mehr Zustimmung solche Sätze finden, desto besser werden Frauen bezahlt. Die Forscher erklären das damit, dass Frauen in Ländern mit großem Individualismus eher in der Lage sind, aus alten Rollenmustern auszubrechen. Solche Ausbrüche werden vom Rest der Gesellschaft auch eher anerkannt, der dann wiederum eher bereit ist, die Leistung des Individuums anzuerkennen, unabhängig vom Geschlecht.
Der zweite Wert ist der von harter Arbeit. „Arbeit ist in meinem Leben wichtig“ und „Die Arbeit macht das Leben lebenswert, nicht die Freizeit“ sowie „Harte Arbeit ist eine wichtige Eigenschaft, die Kinder zu Hause lernen sollten“ lauten die Sätze in dieser Kategorie – und je mehr Zustimmung sie in einem Land finden, desto eher schließen die Frauen mit ihren Gehältern zu den Männern auf.
Deutschland arbeitet nicht sehr hart
Etwas spekuliert ließe sich daraus folgern: Die Gesellschaft sollte nicht darauf warten, dass Unternehmen die Arbeit leichter machen. Wenn die Bürger stattdessen bereit sind, selbst mehr Arbeit in ihren beruflichen Erfolg zu investieren, dann schließt sich auch die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen schneller.
Was den Wert harter Arbeit angeht, liegt Deutschland auch nur im Mittelfeld, zwar vor Spanien und Italien, aber hinter Irland, Großbritannien und Neuseeland. In den vergangenen Jahren ist ihr Stellenwert auch nicht gewachsen – auch das zeigt die neue Ausgabe des Surveys, die vor wenigen Wochen kam. Das passt zu dem, was in Deutschland schon seit einigen Jahren offensichtlich geworden ist: Viele Arbeitnehmer können sich die Stellen aussuchen. Sie haben ihren Marktwert erkannt und münzen ihn in bessere Arbeitsbedingungen um. Mehr und mehr bemühen sich Unternehmen darum, die Arbeit flexibler zu machen – schlicht weil sie auch mehr Frauen gewinnen wollen.
Gleichzeitig hat sich die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen in Deutschland in den vergangenen Jahren nur sehr langsam geschlossen. Die neue Studie legt nahe: Schneller könnte es gehen, wenn harte Arbeit in Deutschland an Bedeutung gewinnen würde.