Glück und Sinn allein machen das Leben noch nicht gut. Ein Teil fehlt.
Ein gutes Leben besteht nicht nur aus Geld – darauf können sich alle einigen, und das ist auch keine Überraschung. Ökonomen aber fragen immer wieder: Woraus denn noch? Und darauf gibt es jetzt eine neue Antwort.
Dass sich Ökonomen für das gute Leben interessieren, ist kein Wunder. Sie verstehen ihre Disziplin nicht als die Lehre vom Geld, sondern viel allgemeiner: als die Untersuchung dessen, wie man mit begrenzten Ressourcen möglichst gut lebt – und in einem weiten Sinn ist selbst die Lebenszeit eine begrenzte Ressource.
Eines der beliebtesten Missverständnisse dabei ist allerdings, dass der Nutzen von Geld begrenzt ist. Über einem Jahreseinkommen von etwa 60.000 Dollar oder ebenso vielen Euro, so heißt es oft, bringe den Menschen zusätzliches Geld nicht mehr so viel. Das stimmt nur zum Teil. Weil ein gutes Leben aus mehr besteht als nur dem Glück.
Wie wird man glücklich – und was ist Glück überhaupt?
Das englische “happy” wird auf Deutsch oft mit “glücklich” übersetzt. Dieses Glück aber ist oft sehr kurzfristig, besser beschrieben ist es vielleicht mit “gute Laune”. Diese gute Laune ist am Freitagabend besser als am Sonntagabend, wenn die neue Woche droht. Die Laune, die man sich von einem Vorhaben erwartet, unterscheidet sich sehr von der, die man erlebt und an die man sich erinnert. Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat das einst in einem berühmten Vortrag beschrieben: Wenn die Leute nach Kalifornien ziehen, erwarten sie, dass sie wegen des guten Wetters dort viel glücklicher sein werden als vorher. Wenn sie dann dort sind, gelingt das aber praktisch niemandem. Kahnemann erzählt auch von Darmspiegelungen: Die Menschen erinnern sich an diese Prozedur sehr viel freundlicher, wenn der Arzt sie etwas in die Länge zieht, indem er am Ende ohne weitere medizinische Erkenntnis sehr sanft weitermacht, obwohl er schon aufhören könnte.
Die Laune ist für jeden Menschen sehr unterschiedlich und kehrt immer wieder zum eigenen Grundniveau zurück. Es gibt zwar viele Schwankungen, aber sie halten nur kurz an. Diese Laune verbessert sich tatsächlich nicht mehr, wenn jemand mehr als 60.000 Euro verdient. Dauerhaft drücken kann man sie nur auf zwei Wegen: durch Arbeitslosigkeit und durch Kinder.
Dass Kinder die Laune drücken, ist jedem klar, der schon mal für seinen Nachwuchs auf Schlaf verzichtet hat. Es wird aber auch ganz deutlich: Die Laune kann für die Bewertung eines Lebens nicht alles sein.
Wenn man die Menschen fragt, wie sie ihr Leben insgesamt bewerten, dann bekommt man ganz andere Antworten: Sie hängen nicht vom Wochentag ab, Kinder verbessern das Leben, und vom Geld können die Menschen nie genug bekommen.
Die Psychologie kennt drei Dimensionen des Glücks
Was aber macht den Unterschied aus zwischen der reinen Laune und der Bewertung des ganzen Lebens? Da hilft ein Blick in die Psychologie. Sie kennt schon lange eine zweite Dimension des guten Lebens. Dazu nutzt sie Begriffe des Philosophen Aristoteles. Das bisher besprochene Glück nennt sie “hedonisches Wohlergehen”. Dazu kommt das sogenannte “eudaimonische Wohlergehen”. Dabei geht es darum, ob man sich an moralische Regeln hält und auf irgendeine Weise zum Wohl der Gesellschaft beiträgt.
Dieses Konzept vom guten Leben haben die Ökonomen bisher nicht ins Zentrum gestellt. Ganz unbekannt ist ihnen das Phänomen nicht. Unternehmen und ihre Mitarbeiter suchten jahrelang nach dem “Purpose”, dem Zweck ihrer Arbeit. Und jeder Ökonom kennt das Phänomen, dass Berufe mit einem leicht verständlichen “Purpose” relativ schlecht bezahlt werden, weil die Menschen sich eben auch in Sinn bezahlen lassen und einige lieber den schlechter bezahlten Beruf mit dem offensichtlichen Sinn annehmen als den besser bezahlten, dessen Sinn man lange suchen muss. Insofern hat es System: Berufe, die als besonders menschenfreundlich gelten, sind nicht immer gut bezahlt. Bei den Krankenpflegern in Deutschland ist dieses System zuletzt an Grenzen gestoßen, ihnen reicht der Beifall der Mitbürger nicht mehr aus.
Neu: der “psychologische Reichtum”
Psychologen haben jetzt noch einen dritten Aspekt des guten Lebens eingeführt: den “psychologischen Reichtum”. So nennen es Shigehiro Oishi an der Universität von Virginia und Erin Westgate an der Universität von Florida. Dieser psychologische Reichtum besteht aus Neugier, Spontanität, Abwechslung und interessanten Beschäftigungen.
Das Konzept haben sie ausgerechnet bei Friedrich Nietzsche entdeckt. Aus dessen Buch “Also sprach Zarathustra” zitieren sie den Titelhelden: “Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und loben; zum Tiktak des kleinen Glücks möchten sie meinen Fuss überreden. Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind kleiner geworden und werden immer kleiner: – das aber macht ihre Lehre von Glück und Tugend.” Zarathustra empfiehlt dagegen das Leben des Wanderers: “Gipfel und Abgrund – das ist jetzt in Eins beschlossen! Du gehst deinen Weg der Grösse.”
Bei der Lektüre beließen es die beiden Psychologen aber nicht, sondern sie testeten ihre These an der Realität. Sie befragten amerikanische Studenten nach Aspekten ihres Lebens und stellten fest: Wie gut die Leute ihr Leben finden, das erkennt man am besten durch die Kombination von Glück, Sinn und psychologischem Reichtum.
Alle drei Dimensionen des Glücks profitieren vom Einkommen
Sie analysierten die Nachrufe, die in Zeitungen anderer Länder anstelle von Todesanzeigen veröffentlicht werden. Neben der “New York Times” und einer amerikanische Regionalzeitung sahen sie sich auch die “Straight Times” aus Singapur an. Immer wieder stellten sie fest: Die drei Dimensionen des guten Lebens treten längst nicht immer zusammen auf. Wer im einfachen Sinn glücklich ist, dessen Leben ist sogar psychologisch tendenziell etwas ärmer.
Und die Forscher fragten Menschen in den USA und Indien, in Japan und Angola, was aus deren Sicht ein gutes Leben ausmacht. Auch deren Antworten zeigen, dass psychologischer Reichtum eine bedeutende Rolle spielt.
Und wie wichtig ist dafür am Ende das Geld? Es spielt zumindest eine nennenswerte Rolle. Die Autoren können zeigen: Alle drei Teile des guten Lebens werden zumindest etwas besser, wenn Menschen ein höheres Einkommen haben. Wie dieser Zusammenhang genau zustande kommt, das ist eine wunderbare Forschungsaufgabe für Ökonomen.