Fazit – das Wirtschaftsblog

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Geld ist entscheidend – Zum Tod von Anna Schwartz

Die Federal Reserve hat die große Depression in den dreißiger Jahren verschlimmert. Grund genug für das Misstrauen der Monetaristin Anna Schwartz gegen die scheinbare Kunst der Zentralbanken. Der Sonntagsökonom von Patrick Welter.

Die Federal Reserve hat die große Depression in den dreißiger Jahren verschlimmert. Grund genug für das Misstrauen der Monetaristin Anna Schwartz gegen die scheinbare Kunst der Zentralbanken.

Von Patrick Welter

Das einflussreichste ökonomische Buch des vergangenen Jahrhunderts stammt von John Maynard Keynes. Seine „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes” von 1936 hat den intellektuellen Grundstein gelegt für die große Inflation in den siebziger Jahren. In der jetzigen Wirtschaftskrise erleben  Keynes Theorien eine Renaissance, deren hässliche Spätfolgen sich in vollem Ausmaß erst noch zeigen werden. Das zweitwichtigste Buch zumindest für die Vereinigten Staaten ist wohl „Eine monetäre Geschichte der Vereinigten Staaten, 1867 – 1960″ von Milton Friedman und Anna Jacobson Schwartz aus dem Jahr 1963. Das Buch legte den Grundstein für den Monetarismus, dem wichtige Zentralbanken der Welt sich zumindest zeitweise verschrieben hatten.

Anna Schwartz Illustration: Alfons Holtgreve, die kongeniale Koautorin, ist am Donnerstag in New York im Alter von 96 Jahren gestorben. (Friedman starb 2006 mit 94 Jahren.) Schwartz, weitgehend nur in Fachkreisen bekannt, war eine der bedeutendsten Wissenschaftlerinnen des Geldes. Ihr Arbeitseinsatz war unermüdlich: Seit 1941 arbeitete sie am renommierten National Bureau of Economic Research. Noch in den letzten Jahren erforschte sie mit Koautoren die Geschichte der Interventionen am Devisenmarkt. Die zusammen mit Friedman verfasste fast 900 Seiten lange Studie zur amerikanischen Geldgeschichte beeindruckt als Ergebnis jahrelanger Analyse. Schwartz selbst begründete den großen Erfolg des Buches zum vierzigsten Jahrestag der Erstauflage bescheiden damit, dass das Werk viele Forschungsarbeiten angeregt habe.

Friedman und Schwartz belegen am historischen Beispiel immer und immer wieder, dass eine Ausdehnung oder eine Schrumpfung der Geldmenge die Wirtschaft anregte oder dämpfte. Das war ein Frontalangriff auf den Keynesianismus, nach dem die Geldpolitik in bestimmten Situationen ihre Kraft verliere. „Geld ist entscheidend”, sagte Friedman.

Die größte Aufmerksamkeit findet noch heute ihre Analyse der Großen Depression in den dreißiger Jahren. Friedman und Schwartz warfen der Notenbank Fed vor, dass sie die Krise zwar nicht ausgelöst, aber durch Fehlentscheidungen verschleppt und verschlimmert habe. Von August 1928 bis März 1933 fiel die Geldmenge um mehr als ein Drittel und riss die Wirtschaft mit in den Abgrund. Die nominale Wirtschaftsleistung schrumpfte um mehr als die Hälfte. Friedman und Schwartz analysieren diese Jahre als eine Reihe von Bankenpaniken, wo die verunsicherte Bevölkerung den Banken das Vertrauen und die Spareinlagen entzog. Die Federal Reserve kam ihrer Aufgabe nicht nach, die Liquiditätsklemme für die Banken etwa durch den Ankauf von Staatsanleihen zu beheben. Im Goldstandard gebunden, setzte sie den Diskontsatz noch herauf, um den Abfluss von Gold zu verhindern. Im Gegensatz zu Keynesianern sahen Friedman und Schwartz die Vereinigten Staaten damals in einer Liquiditätsklemme, nicht aber in einer Liquiditätsfalle. Der Unterschied ist bedeutsam: Eine Bankenpanik kann eine Zentralbank im Regelfall durch Liquiditätsgaben stoppen. In einer Liquiditätsfalle aber helfen nach keynesianischer Analyse nur noch schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Die monetaristische Analyse der Großen Depression wird auch von der Federal Reserve akzeptiert. Zum 90. Geburtstag von Friedman gestand der jetzige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke 2002 das Versagen ein. „Ich möchte Milton und Anna sagen: Was die Große Depression angeht, habt ihr recht, wir haben es getan. Das tut uns sehr leid, aber dank euch werden wir es nicht wieder tun.”

Das Meisterwerk darauf zu verkürzen ist richtig und falsch zugleich. Meistens wird verschwiegen, dass Friedman und Schwartz noch auf etwas anderes herauswollten. Der Beginn der Großen Depression war die erste Probe für das Federal Reserve System, das 1913 als Reaktion auf die Bankenpanik von 1907 errichtet worden war. Die Autoren argumentierten, dass nicht nur das Fehlverhalten der Fed, sondern schon ihre Existenz die Krise verschleppt habe. 1907 wurde die Bankenpanik dadurch gestoppt, dass private Clearinghäuser, die Zahlungen zwischen den Banken abwickeln, Wechsel bereitstellten und die Liquiditätsklemme linderten. Zudem blockierten Banken rasch den Austausch von Spargeld in Bargeld, um ihre eigene Liquidität und Zahlungsfähigkeit zu sichern.

1928 und in den Folgejahren aber blieben solche „Bankenfeiertage” zunächst aus. Die Banken verließen sich auf das Diskontfenster der Fed und bemühten sich weniger, ihre Liquidität selbst zu sichern. Mit der Federal Reserve schien das Finanzsystem ja abgesichert. Die Bankenpanik flammte so schubweise immer wieder auf, bis sie im März 1933 in einem nationalen „Bankenfeiertag” endete. In manchen Bundesstaaten blieben die Banken für volle sechs Geschäftstage ganz geschlossen. Mehr als zweitausend Institute machten danach gar nicht mehr auf. Eigentlich war die Fed gegründet worden, um Bankenpaniken und „Bankenfeiertage” zu verhindern. Ironischerweise trug sie in der ersten großen Krise dazu bei, dass alles noch schlimmer kam als früher.

Ihr fehlendes Vertrauen in die Fähigkeiten von Zentralbankern zur wirtschaftlichen Feinsteuerung begründet zu einem guten Teil, warum Friedman und Schwartz empfahlen, Zentralbanken sollten die Geldmenge einfach konstant wachsen lassen. Dieser Vorschlag hat sich nicht durchgesetzt, ebenso wie Versuche einer rein monetaristischen Geldmengen-steuerung sich als nicht praktikabel erwiesen. Die Grunderkenntnis aber, dass die Geldmenge entscheidend ist, bleibt davon unberührt. Auch das Misstrauen in die Zentralbanken lebt zu Recht fort.

Schwartz witterte in ihren letzten Lebensjahren abermals eine Fehldiagnose der Fed. Bernanke behandle die Finanzkrise als eine Liquiditätsklemme und verfehle die Ursache der Krise, sagte sie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Oktober 2008. Das Grundproblem sei, dass niemand wisse, welche Bank noch solvent sei oder nicht. Mit den willkürlichen Entscheidungen, Bear Stearns zu retten und Lehman Brothers untergehen zu lassen, verstärke die Fed die Unsicherheit nur. Finanzinstitute, die falsche Entscheidungen getroffen hätten, müssten untergehen und dürften nicht rekapitalisiert werden. Die von Bernanke damals eingeleitete und bis heute forcierte Liquiditätsflut war ihr ein Greuel. „Das Ergebnis sind Übertreibungen”, warnte Schwartz 2009, dass die Fed schon die nächste Luftblase an den Finanzmärkten aufpumpe.

Der Beitrag erschien als Sonntagsökonom in der F.A.S. vom 24. Juni. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.

 

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