Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Kosten kurzfristigen Denkens in der Geldpolitik

Der Finanzzyklus ist ein modernes Konzept der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Es soll die Geldpolitik auf die Wahrung der Finanzstabilität verpflichten. Notenbanker streiten weiter heftig um die richtige Strategie - Mark Carney wirft der BIZ vor, in einem Vakuum zu leben.

© Andreas NiebelInfografik

Die moderne Geldpolitik richtet ihr Handeln oft am Konjunkturzyklus aus, aber sie sollte auch den Finanzzyklus beachten, um die Stabilität des Finanzsystems nicht zu riskieren. Das ist seit wenigen Jahren eine von Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vertretene Position, die in der aktuellen Debatte um die rechtzeitige Bekämpfung von Spekulationsblasen an Vermögensmärkten eine wesentliche Rolle spielt.

Der Konjunkturzyklus beschreibt das Auf und Ab in der Wirtschaft. Der Finanzzyklus beschreibt das Auf und Ab an den Finanzmärkten, und wie die Grafik für die Vereinigten Staaten zeigt, verlaufen beide Zyklen nicht synchron. “Die durchschnittliche Dauer eines Konjunkturzyklus beträgt ein Jahr bis acht Jahre”, heißt es im neuen Jahresbericht der Baseler Institution. “Im Gegenzug haben jene Finanzzyklen, die schwere Bankenkrisen und gesamtwirtschaftliche Schäden verursacht haben, eine Dauer von zwischen zehn und zwanzig Jahren.” Zur Berechnung des Finanzzyklus verwenden die Ökonomen der BIZ drei Größen: das reale Wachstum der Kredite in einer Wirtschaft, das Verhältnis der Kredite zum Bruttoinlandsprodukt sowie die Entwicklung der Immobilienpreise, weil viele Finanzkrisen an Immobilienmärkten entstehen.

Das Konzept des Finanzzyklus wurde von der BIZ erstmals vor rund eineinhalb Jahren präsentiert und seinerzeit auch in einem Beitrag in FAZIT vorgestellt. Anders als der Konjunkturzyklus ist der Finanzzyklus noch kein etabliertes Konzept; er bedarf weiterer Untersuchungen, da die führende ökonomische Theorie der vergangenen Jahrzehnte Analysen von Finanzmärkten vernachlässigt hatte.

Entscheidend ist aus Sicht der BIZ, dass wegen der unterschiedlichen Länge von Konjunktur- und Finanzzyklus eine vorwiegend an der Konjunktur ausgerichtete Geldpolitik Übertreibungen an den Finanzmärkten noch unterstützen kann und somit die Saat für die nächste schwere Krise legt. Denn niedrige Leitzinsen und reichlich vorhandenes Geld ermutigt viele Finanzhäuser dazu, auf der Suche nach attraktiven Kapitalanlagen Risiken von Kapitalanlagen zu unterschätzen. So sind die Renditen sogenannter Hochzinsanleihen, die von Schuldnern mit nicht erstklassiger Bonität begeben werden, stark gefallen. Im vergangenen Jahrzehnt haben vor allem Banken ihre Geschäfte als Folge niedriger Zinsen stark ausgeweitet. In den vergangenen Jahren haben viele Banken ihre Geschäfte reduziert, aber seitdem sind andere große Kapitalanleger wie Fondsgesellschaften und Versicherungen an ihre Stelle getreten. Dieses Verhalten von Kapitalanlegern als Folge einer expansiven Geldpolitik wird in der modernen Wirtschaftslehre als “Risikokanal der Geldpolitik” bezeichnet. Er wird derzeit von vielen Ökonomen genauer untersucht. 1)

Die Gefahr von Spekulationsblasen, die sich als Folge einer expansiven Geldpolitik bilden, sieht die BIZ derzeit, wie sie in ihrem jüngsten, in der Fachwelt sehr kontrovers diskutierten Jahresbericht dargelegt hat. Sie fürchtet, dass die Notenbanken in den Industrienationen in der aktuellen Lage angesichts eines oft noch schwachen Wirtschaftswachstums zu lange mit Leitzinserhöhungen zögern, während gleichzeitig an den Finanzmärkten viele Preise steigen.

Finanzzyklen dauern zwar oft länger als Konjunkturzyklen, aber ihre Länge ist nicht vorbestimmt. 2) In der aktuellen Lage lässt sich in vielen Ländern eine sogenannte Bilanzrezession beobachten. Damit ist gemeint, dass sich Staaten, aber auch private Institutionen wie Unternehmen, Banken und Privathaushalte in den vergangenen Jahren sehr stark verschuldet haben und nun versuchen müssen, ihre Verschuldung auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Die Reduzierung von Schulden ist in einem Umfeld mit niedrigem Wirtschaftswachstum und niedrigen Inflationsraten ein langer und mühsamer Prozess.

In einer früheren Arbeit hat BIZ-Ökonom Claudio Borio als Maßnahmen unter anderem eine höhere Ausstattung der Banken mit Eigenkapital, den Marktaustritt von Banken ohne Geschäftsmodell sowie die Ausgliederung und Abschreibung fauler Kredite vorgeschlagen. Die Geldpolitik kann die Wirtschaft in einer solchen Situation kaum stimulieren: “Die expansive Geldpolitik hat eine widersprüchliche Rolle beim Abbau von Verschuldungen gespielt”, heißt es bei der BIZ. “Sie hat Anpassungen unterstützt, indem sie die Wirtschaft angeregt und durch höhere Einkommen viele Schuldner in die Lage versetzt hat, ihre Schulden zurückzuzahlen. Aber die rekordniedrigen Zinsen haben es auch erlaubt, Schuldenstände zu unterhalten, die bei normalen Zinssätzen unerträglich hoch gewesen wären. Dies führt zu einer Verzögerung des notwendigen Schuldenabbaus, was wiederum das Wirtschaftswachstum belasten kann.”

Wichtig ist allerdings auch, dass sich nach Ansicht der BIZ keineswegs alle Länder und Regionen in einer identischen Phase des Finanzzyklus befinden. Insofern wäre es auch falsch, der BIZ zu unterstellen, sie forderte von mehr oder weniger allen Notenbanken in Bälde Leitzinserhöhungen zur Bekämpfung von Spekulationsblasen. Wir zitieren für ein paar Länder/Regionen aus dem jüngsten Jahresbericht:

– “Many euro area countries are in a financial downswing. … But downward pressures appear to be receding somewhat, as the decline in credit and house prices has slowed in recent quarters.”
– “Financial cycles in other economies that experienced a crisis seem to have bottomed out. The United States saw a large run-up in credit and asset prices that ended with the onset of the financial crisis. The subsequent downswing in asset prices and non-financial corporate borrowing ended in 2011, and household borrowing started to pick up in 2013.

“The picture is less clear-cut for the United Kingdom and many central and eastern European economies – countries that also experienced boom-bust cycles in the last decade. Deleveraging in these countries continues, but the pace is slowing and property prices have started to rise again, suggesting that the downward trend in the financial cycle may have reversed.”
– “Booms are clearly evident in several other countries, in particular EMEs.”

Aber nach Ansicht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist die Geldpolitik generell ein unersetzliches Element, wenn es darum geht, einen in Entstehung befindlichen Boom an den Finanzmärkten zu bremsen. Die Alternative, durch Regulierungen wie höhere Eigenkapitalanforderungen für Banken Spekulationen zu bremsen, hält man in Basel für weniger effizient, weil es Möglichkeiten gäbe, solchen Regulierungen auszuweichen.

Ob im Angesicht wachsender Gefahren von Spekulationsblasen Leitzinserhöhungen oder Regulierungen empfehlenswert sind, bleibt unter Fachleuten denn auch heftig umstritten. (Über eine “erste Runde” in der Kontroverse hatten wir in FAZIT hier berichtet.) Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, sagte dieser Tage in einer Anhörung vor einem Ausschuss des britischen Unterhauses, die BIZ befinde sich in einem “Vakuum”. Über den neuen Jahresbericht der BIZ, der ein Plädoyer für baldige Zinserhöhungen enthielt, sagte Carney: “Es ist ein interessanter Bericht. Allerdings ist der Bericht in einem Vakuum entstanden, dem Baseler Vakuum; in einer Welt, in der eine Notenbank kein Mandat besitzt und in der eine Notenbank gegenüber einem Parlament und damit gegenüber der Bevölkerung keine Verpflichtung besitzt, bestimmte Ziele zu erreichen.”

Carney sieht vor allem einen Verstoß gegen das Mandat einer Notenbank, wenn eine mit Blick auf eventuelle Spekulationsblasen vorgenommene Leitzinserhöhung eine Notenbank davon abhalten, zügig ihr Inflationsziel zu erreichen. “Mein grundlegender Punkt ist, dass sich die Analyse der BIZ außerhalb der Realität der Politik und der Realität der politischen Ökonomie befindet”, sagte Carney. “Wir nehmen unser Mandat sehr ernst.” Vertreter der Bank of England hatten vor Parlamentariern für mehr Regulierungen geworben, darunter für eine flexible Festlegung von Eigenkapitalquoten für die Banken.

Dagegen sprach sich der Vorsitzende der Federal Reserve Bank of Dallas, Richard Fisher, gegen ein zu großes Vertrauen in Regulierungen und gegen einen Verzicht auf frühzeitige Erhöhungen des Leitzinses aus. Das Vertrauen in makroprudentielle Politik heute erinnere ihn an das Vertrauen der französischen Militärs vor dem Zweiten Weltkrieg in die gut befestigte Maginot-Linie, sagte Fisher in einer Rede in Kalifornien. Die Deutschen hätten die Maginot-Linie dann einfach umgangen. Genau so könne es mit Regulierungen von Banken gehen, sagte Fisher, der darauf verwies, dass die Banken nur einen kleinen Teil der Finanzbranche in den Vereinigten Staaten ausmachten. Fisher warnte: “Ich glaube, wir sind in der Gefahr, einen Fehler zu begehen, den die Fed schon oft begangen hat: Wir betreiben zu lange eine lockere Geldpolitik.”

Ob nun eher Geldpolitik oder Regulierungen das geeignetere Mittel zur Bekämpfung von Spekulationsblasen sind – wichtig ist, dass rechtzeitig gehandelt wird. Daran erinnert der Nobelpreisträger Robert Shiller in einem von “Project Syndicate” veröffentlichten Beitrag: “Jene haben recht, die vor ernsten Gefahren warnen, falls der spekulative Anstieg von Vermögenspreisen ungebremst weiter geht. Sie haben auch dann recht, wenn sie nicht beweisen können, dass es Grund zur Sorge gibt. Ihre Warnungen können dazu beitragen, dass die Booms, die wir derzeit sehen, nicht noch viel länger dauern werden.”

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1) Der Begriff findet sich erstmals in einem 2008 von den BIZ-Ökonomen Claudio Borio und Haibin Zhu veröffentlichten Arbeitspapier. Daran hat sich eine Fülle von Arbeiten angeschlossen, von denen wir in FAZIT vor allem auf ein Paper von Valentina Bruno und Hyun Song Shin hingewiesen haben, das sich mit der internationalen Dimension des Risikokanals befasst. Die aktuelle, keineswegs abgeschlossene Debatte befasst sich weniger mit der Frage, ob es den Risikokanal überhaupt gibt, als vielmehr mit der Frage, wie wichtig er ist. Aktuell ist eine Arbeit von Oliver de Groot mit einer breit angelegten Diskussion durch Javier Bianchi.

2) Für eine Verlängerung kann die in den vergangenen Jahren beobachtbare Neigung stehen, in der Finanzierung vor allem von Schwellenländern Bankkredite durch Anleihen zu ersetzen. BIZ-Chefökonom Hyun Song Shin hat diesen Prozess als “zweite Phase der globalen Liquidität” bezeichnet und wir haben dieses Thema in FAZIT ausführlich behandelt. Im neuen BIZ-Bericht heißt es hierzu: “The growth of new funding sources has changed the character of risks. In the so-called second phase of global liquidity, corporations in emerging market economies (EMEs) have tapped international securities markets for much of their funding. In part, this has been done through their affiliates abroad, whose debt is typically off authorities’ radar screens. Market finance tends to have longer maturities than bank finance, thus reducing rollover risks. But it is notoriously procyclical. It is cheap and ample when conditions are good, but can evaporate at the first sign of problems. This could also have knock-on effects on domestic financial institutions, which have relied on the domestic corporate sector for an important part of their funding. Finally, the vast majority of EME private sector external debt remains in foreign currency, thus exposing borrowers to currency risk.”

Eine kürzere Version dieses Beitrags ist am 18. Juli 2014 im Finanzteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.