Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die Zinsen sind nicht wegen der Notenbanken niedrig

| 19 Lesermeinungen

Auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann nennt schwaches Wirtschaftswachstum und niedrige Inflation als wichtigste Ursachen. Damit steht er nicht alleine.

 

In Deutschland ist die Ansicht verbreitet, die Zinsen für Bankeinlagen und die Renditen für Anleihen so niedrig, weil die Europäische Zentralbank (EZB) sie künstlich niedrig halte. Viele Ökonomen sind dagegen sicher, dass der seit Jahrzehnten beobachtbare Trend zu sehr niedrigen Zinsen wenig bis nichts mit der Geldpolitik zu tun hat, sondern auf einer Kombination aus sehr niedrigem Wirtschaftswachstum und sehr niedriger Inflationsrate beruht. 1) In diesem Sinne hat sich dieser Tage auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann in einer Rede geäußert.

Warum sind in vielen Ländern die Leitzinsen so niedrig und Geldpolitik so expansiv? Weidmann antwortete: „Kurz gefasst liegt der Grund hierfür in der Kombination aus verhaltenen Wachstumsaussichten und einem auf absehbare Zeit gedämpften Inflationsdruck – dies hat letztlich zu einer sehr lockeren Geldpolitik geführt. Folglich sind die ausgesprochen niedrigen Leit- und Kapitalmarktzinsen auch als eine Reaktion auf ökonomische Rahmenbedingungen anzusehen, selbst wenn sich über die Sinnhaftigkeit der konkreten geldpolitischen Maßnahmen im Einzelfall natürlich streiten lässt.“ Und er ergänzte: „Mit anderen Worten: Das Niedrigzinsniveau ist auch ein Symptom, das auf tieferliegende Ursachen zurückzuführen ist. Die maßgebliche Ursache liegt dabei in einer Wachstumsschwäche, nicht nur im Euro-Raum, sondern in vielen entwickelten Regionen der Welt.“ Dagegen erfordere eine dynamisch wachsende Wirtschaft auch höhere Leitzinsen der Notenbank.

Warum ist das Wachstum so schwach?

Weidmann verwies auf den Trend rückläufiger Wachstumsraten in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern, den er unter anderem mit der demografischen Entwicklung begründete: „Gerade die sich ändernde Altersstruktur vieler Volkswirtschaften wird zukünftig noch schwerer auf den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsmöglichkeiten lasten.“ Weidmann erwähnte aber auch andere Hemmnisse für das Wirtschaftswachstum: „Daneben mag es aber auch noch andere Gründe geben, die die Wachstumsaussichten dämpfen. So werden zum Beispiel für die Vereinigten Staaten neben der Alterung der Bevölkerung auch eine nachlassende Qualität der Schul- und Berufsausbildung, die steigende Ungleichheit in der Einkommensverteilung und die wachsenden Staatsschulden genannt.“

Für den Euroraum nannte Weidmann als Hemmnisse zudem auf die sehr hohe Staatsverschuldung sowie, in manchen Ländern, eine hohe Privatverschuldung. „Und auch die Verbesserung des Ausbildungssystems steht zu Recht in einzelnen Euro-Ländern auf der politischen Agenda“, sagte der Bundesbankpräsident, der gleichzeitig betonte, dass keines dieser Wachstumshemmnisse durch eine expansive Geldpolitik aus der Welt geschafft werden könne.

Welche Folgen haben die niedrigen Zinsen?

Mit den Folgen der sehr niedrigen Zinsen im Euroraum haben sich die drei deutschen Ökonomen Ulrich Bindseil, Clemens Domnick und Jörg Zeuner in einer von der Europäischen Zentralbank (EZB) veröffentlichten Untersuchung beschäftigt. Darin wenden sie sich gegen die ebenfalls in Deutschland verbreitete These, die Geldpolitik enteigne die Sparer – diese These ist unter anderem häufig von Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon vertreten worden. Eine solche Vorstellung sei irrig und beruhe auf einer Verwechslung von Nominalzins und Realzins, schreiben die Autoren. Wichtig sei der Realzins, also der um die Inflationsrate bereinigte Zins, auf den die Geldpolitik allenfalls einen kurzfristigen, aber keinen systematischen langfristigen Einfluss habe.

Auch die immer wieder einmal zu hörende Behauptung, die EZB enteigne den deutschen Sparer, während die Deutsche Bundesbank das früher nicht getan habe, ist nicht haltbar: Ausgerechnet die Bundesbank selbst hatte im vergangenen Jahr in einem Beitrag (“Negative reale Verzinsung von Einlagen ist kein neues Phänomen”) darauf verwiesen, dass zu Zeiten der D-Mark der Realzins auf Spareinlagen häufiger negativ war.

In ihrem Beitrag argumentieren die drei Ökonomen im Prinzip ebenso wie Weidmann:  Der Realzins hänge von der Dynamik wirtschaftlichen Wachstums und der damit verbundenen realen Ertragsrate auf Investitionen ab, nicht aber von der Geldpolitik. Der jahrzehntelange Rückgang des Realzinses ist nach dieser Untersuchung auf demografische Faktoren, auf ein geringeres Innovationstempo, auf rigide Arbeitsmärkte und andere Wettbewerbsbeschränkungen sowie auf finanzielle Regulierungen zurückzuführen, die eine Nachfrage nach sicheren Kapitalanlagen begünstigen: “Therefore, the only way to address saver depression (and the implied consumption strike) is to provide savers once again with a perspective of higher economic growth ratesand real interest rates over the relevant long-term horizon.” Und der Sinn der Geldpolitik kann nach Auffassung der drei Ökonomen nicht darin bestehen, die Zinsen über Gebühr zu erhöhen, um Kapitalanleger glücklich zu machen, aber die gesamtwirtschaftliche Stabilität zu riskieren: “The solution is not to temporarily produce high real interest rates on money investments through an arbitrary high monetary policy interest rate, at the price of subsequent deflation and recession.”

Niedrige Zinsen sind weiterhin zu befürchten

In Deutschland stehe zu befürchten, dass ohne eine andere Wirtschaftspolitik das Wirtschaftswachstum sowie der Realzins (und damit der Zins, den der Sparer bei stabilem Geld erwarten kann) niedrig bleiben werde, heißt es. Auf der wirtschaftspolitischen Agenda sollten Anreize für mehr Investitionen, für eine noch höhere Beschäftigung sowie für technischen Fortschritt stehen. Eine Geldpolitik, die sich an das Gebot der Preisstabilität halte, sei nicht in der Lage, den Realzins dauerhaft zu erhöhen. Mit anderen Worten: Wer als Sparer höhere Zinsen wünscht, sollte sich nicht an die EZB wenden, sondern an die Wirtschaftspolitik.

Niedrige kurzfristige Leitzinsen und langfristige Anleiherenditen sind auch in den Vereinigten Staaten zu beobachten. Ökonomen aus der Federal Reserve Bank of New York sind in einer Studie zu dem Schluss gelang, dass der Auslöser für das niedrige Zinsniveau im wirtschaftlichen Verhalten von Unternehmen und Konsumenten zu suchen ist, dem sich die Fed als Notenbank mit der Festlegung ihres kurzfristigen Leitzinsen nur angeschlossen habe.

Die Ökonomen der New York Fed führen an, dass der Realzins in den Vereinigten Staaten zwischen Anfang 2007 und Mitte 2009, also in der Finanzkrise, spektakulär von rund 6 Prozent auf minus 2 Prozent gefallen ist und seitdem sehr langsam wieder steigt. Derzeit dürfte er nahe Null liegen und Mitte 2017 ein Niveau von rund 2 Prozent erreichen. Da der Realzins mit derzeit rund null Prozent etwa auf dem Niveau des Leitzinses der Fed liegt, schließen die Autoren, dass die amerikanische Geldpolitik derzeit keineswegs sehr expansiv sei.

Wir lässt sich die Entwicklung des amerikanischen Realzinses erklären? Wiederum spielt die Geldpolitik keine aktive Rolle. Die Ökonomen der New York Fed verweisen unter anderem auf das sich ändernde Konsumverhalten. In den Jahren bis 2007 hatten die amerikanischen Privathaushalte sehr viel (oft auf Kredit) konsumiert und nur wenig gespart. Dies hatte den Realzins vorübergehend nach oben getrieben, aber mit dem Ausbruch der Finanzkrise nahm die Konsumneigung sehr stark ab. Statt dessen sparten die Haushalte mehr, unter anderem, um ihre Schulden abzubauen. Währenddessen reduzierten die amerikanischen Unternehmen in der Krise nach 2008 ihre Investitionen dramatisch. Diese Kombination aus zunehmender Ersparnis und rückläufiger Investition drückte den Realzins dramatisch. Sein langsamer Anstieg spiegelt die langsame Rückkehr der Investitionstätigkeit in den Vereinigten Staaten wider.

Vor wenigen Monaten hatten andere Ökonomen eine Schätzung des gleichgewichtigen Realzinses, also des Realzinses bei Vollauslastung der Kapazitäten, in den Vereinigten Staaten vorgenommen. Sie waren zu einem Wert zwischen 1 und 2 Prozent gelangt. Wir hatten die Studie in einem FAZIT-Beitrag seinerzeit ausführlich vorgestellt.

———————————————————————————

1) Wir haben dieses Thema in FAZIT bereits mehrfach behandelt, zum Beispiel hier.


19 Lesermeinungen

  1. Nowakseb sagt:

    Jensis Welt ohne Binnennachfrage?
    In der Welt eines Herrn Weidmann scheinen die Wörter Binnennachfrage oder privater Konsum nicht vorzukommen. Sonst hätte er die gesunkene Lohnquote, stagnierende Realeinkommen, gekürzte Sozialleistungen und unser immer weniger umverteilend wirkendes Steuersystem als Hauptgrund für die niedrigen Zinsen ausgemacht. Es ist schlicht immer weniger Geld und weniger Lebenssicherheit in der Mittelschicht. Mehr Freiheit und Eigenverantwortung jedes Einzelnen führen mittlerweile dazu, dass man nach nur 1 Jahr Arbeitslosigkeit zum Sozialfall wird.
    Das führt dazu, dass die, die es sich leisten könnten, nicht konsumieren – schon gar nicht auf Kredit. Die betreiben private Vorsorge und Angstsparen.

    Wer das für Sozialklimbim hält, sollte mal die Unternehmerperspektive einnehmen: Ein Unternehmer investiert nicht, weil c.p. grad die Refinanzierungskosten günstig sind, sondern wenn er reale Absatzchancen für seine Produkte und eine Amortisation seiner Investition sieht. Hauptzielgruppe für Konsumgüter ist aber die Mittelschicht und die hält sich aus o.g. Gründen zurück.

    Was glaubt eigentlich Herr Weidmann, wie die Outputlücke zustandekommt, über die u.a. die Bundesbank regelmäßig berichtet?

  2. rum sagt:

    "Forderungszuwächse, die nur durch Spekulation am Finanzmarkt erzielt werden konnten"
    Wie entstehen Forderungen durch Spekulation? Durch wessen Spekulation? Der Anleihe-Gläubiger oder der fehl investierenden Schuldner? Oder wachsen die Forderungen nicht eher durch die Staatsverschuldung? Wird dieses Forderungswachstum nicht mit den immer langfristigeren, günstigen Krediten der Notenbank gefördert?
    Nicht vergessen: wo es Forderungen gibt, gibt es auch Verpflichtungen in derselben Höhe: können alle Schulden bedient werden? Das Recht, regelmäßig einige Krummen des Kuchens zu bekommen, wenn sehr viele große Ansprüche an den verhältnismäßigen kleinen Küchen haben, muss man teuer kaufen: ist das eine Blase?

  3. rum sagt:

    Betreibt die EZB jetzt eine konstatierende Geldpolitik?!
    Das klingt schon wie ein Scherz. Ist es ironisch gemeint? Die Zentralbank als großer Spieler wird nie nur reagieren: was sie tut, egal was, wird eine Wirkung haben. Man kann vielleicht nur über konstatierend und konstatierender reden, aber jetzt die manipulierende EZB als die Reichsbank zur Zeit von Reichsbankpräsident Richard Koch darzustellen, geht zu weit.

    • faz-gb sagt:

      In dem Beitrag wird nicht behauptet, dass Geldpolitik generell wirkungslos wäre. Es wird nur bestritten, dass die Geldpolitik einen spürbaren langfristigen Einfluss auf den Realzins hat. Ich würde vermuten, dass dies die meisten Ökonomen so sehen, die sich mit diesem Thema befassen. Kurz- und mittelfristige Einflüsse der Geldpolitik auf den Realzins sind eher wahrscheinlich und es gibt auch entsprechende empirische Untersuchungen. Ich komme sehr wahrscheinlich in der kommenden Woche auf dieses Thema zurück.

      Gruß
      gb

    • rum sagt:

      Der langfristige Einfluss der Geldpolitik auf die Zinsen
      Die Geldpolitik hat großen Einfluss auf die Entwicklung der Wirtschaft. Die Wirtschaft wird sich ganz anders entwickeln bei einer konstatierenden Geldpolitik, die vorsichtig in Fühlung mit dem Geldmarkt ständig bleibt, als mit einer manipulativen Geldpolitik, die sich um Staaten, Banken, Finanzmärkten und angeblich um die Wirtschaft kümmert, als mit einer manipulativen Geldpolitik, die ständig mit ihrer eigenen negativen Folgen beschäftigt ist. Es ist doch trivial. Die Wirtschaft bei einer Geldpolitik, in der Inflation oder Deflation herrscht, wird sich auch ganz anders als bei einer gesunden Geldpolitik entwickeln. Auch bei einer Geldpolitik, die Handelswechsel diskontiert, sollte sich die Wirtschaft anders entwickeln, als bei einer Geldpolitik, die Staatspapiere als Pfand nimmt. Bei verschiedenen Entwicklungen wären langfristig gleiche Zinsen sehr großer Zufall. Oder?

    • faz-gb sagt:

      Es herrscht weder Inflation noch Deflation – in dieser Hinsicht sind die Zentralbanken in den vergangenen Jahren außergewöhnlich erfolgreich gewesen. Welche negativen Folgen sollten daraus entstehen? Mir scheint, dass in der Verdammnis moderner Geldpolitik durch viele Zeitgenossen die simpelste Tatsache völlig übersehen wird: In der Erfüllung ihrer Kernaufgabe sind die modernen Zentralbanken in den vergangenen Jahren jedenfalls seit Beginn des 20. Jahrhunderts konkurrenzlos gut gewesen.

      Handelswechsel sind am Markt als Finanzierungs- und Zahlungsinstrument so gut wie ausgestorben. Die Zeit ist darüber hinweggegangen und es ist auch nicht fernliegend, warum das geschehen ist. Schwer zu sehen, welche Vorteile es hätte, ein am Markt totes Finanzprodukt durch einen Staatseingriff künstlich wiederzubeleben.

      Gruß
      gb

    • rum sagt:

      Ich wollte nicht, eine konkrette Geldpolitik beurteilen, ...
      … sondern nur widerlegen, dass langfristig die Zinsen unabhängig von der Geldpolitik seien. Die Geldpolitik, egal ob gut oder schlecht, schafft Bedingungen für die Entwicklung der Wirtschaft, und die Zinsen hängen von der Wirtschaft ab. Wenn selbst kurzfristig einen großen Einfluss auf die Wirtschaft und Zinsen hat, dann desto mehr langfristig. Diese Theorie der Unabhängigkeit der Zinsen von der Geldpolitik ist vergleichbar mit der Behauptung: langfristig ist die Anzahl der Fische im See unabhängig von der Zuführung von Abwasser in den See. Es mag sein, denn Abwässer töten sicher nicht alle Fische, manche Arten sterben, andere ernähren sich davon, so dass am Ende die Anzahl der Fische [durch Zufall] gleich ist. Wieder: ich möchte nicht beurteilen, ob die Zuführung von Abwasser in den See gut oder schlecht ist.

    • rum sagt:

      Warum sollen langfristig die Zinsen von der Geldpolitik unabhängig sein?
      Ich vermute, Herr Braunberger setzt eine magische Marktkraft voraus, die der Geldpolitik entgegenwirkt, so dass langfristig egal ist, was Notenbanker machen. Da man empirisch das Gegenteil nicht beweisen kann, soll es ja stimmen: wie soll man die Wirtschaft mit verschiedenen Gelpolitiken laufen lassen, um die verschiedenen Entwicklungen zu vergleichen? Wie es wäre, wenn die Geldpolitik anders gewesen wäre, ist schwer empirisch zu ermitteln. Wie es ist, wird als Schicksal akzeptiert, ob es anders gewesen wäre, spielt für die meisten keine Rolle: das ermöglicht den Missbrauch der Geldpolitik. Muss aber alle Argumentation empirisch sein? Für die deutsche Geldpolitik, so weit ich sie kenne, spielte immer die Qualität des Kredits eine Rolle, es ging nicht nur um Zahlen wie Zinsen und Geldmenge. Da liegt zum Beispiel der Unterschied zwischen Diskont von Handelswechseln und Verpfändung von Staatspapieren. War alles Irrglaube auf Grund analytischer Erwägungen? Moderne Geldpolitik mag die moderne “Kernaufgabe” gut erfüllen, aber nicht unbedingt ihre eigentliche Aufgabe: Zahlungsausgleich zu ermöglichen und erleichtern. Die Notenbank nimmt Staatspapiere anstatt Handelswechsel, die Staatsverschuldung blüht, die Handelswechsel sterben aus: ist diese von der Zentralbank herbeigeführte Entwicklung irrelevant für die Wirtschaft? So irrelevant, dass sie nicht mal Einfluss auf die Zinsen hat?

  4. kuehnlan sagt:

    Zinsen werden auf lange Sicht bestimmt durch die Höhe der Finanzanlagen im Verhältnis zum Einkomme
    Bei Finanzanlagen in Höhe von mehr als 300 Prozent des Weltsozialprodukts lässt sich eine Verzinsung dieser Forderungen auf lange Sicht eben nicht mehr aus der Realwirtschaft realisieren.

    In den vergangenen drei Jahren wuchs das Welteinkommen (also das Bruttosozialprodukt in der globalen Real- und Finanzwirtschaft) in nominalen Dollar gerechnet im Schnitt um 2,3 Prozent pro Jahr – also jährlich um eine Summe, die nicht einmal einem Prozent der globalen Finanzanlagen entspricht.

    Das heißt, eine für Anleger als angemessen empfundene Verzinsung lässt sich nur noch dann erreichen, wenn es tendenziell zu Finanzmarktblasen kommt und/oder tendenziell das Lohnniveau gedrückt wird.

    Das Zinsniveau hat bei Gewinnmargen von zehn und mehr Prozent wie bei den Unternehmen in den USA und Deutschland im Durchschnitt üblich natürlich nichts mit der Realwirtschaft zu tun – hatte es eh noch nie.

    • faz-gb sagt:

      “Zinsen werden auf lange Sicht bestimmt durch die Höhe der Finanzanlagen im Verhältnis zum Einkommen.”

      Lieber Kollege, haben Sie dazu empirische Untersuchungen zur Hand?

      Gruß
      gb.

    • kuehnlan sagt:

      Titel eingeben
      Sie verstehen das logische Argument? Einkommen müssen entweder erarbeitet werden (aufgeteilt in operative Gewinne und Löhne, von beiden fließt ein Teil als Steuern an den Staat) oder aber sie entstehen im Finanzwesen (Kredite, Wertpapiere, Derivate). Wobei Kredit- und Anleihezinsen, Dividenden, Mieten und Pachten natürlich direkt aus den operativen Gewinnen und zum Teil auch den Löhnen bedient werden (können), der Rest des Einkommens entsteht durch Spekulationsgewinne an den Finanzmärkten.

      Bei den erwähnten Zahlen geht es eher um die Dimension als den exakten empirischen Nachweis. Wir haben nach Schätzungen von McKinsey Finanzforderungen von mehr als 300 Prozent des jährlichen Einkommens auf der Welt. Zwischen 2008 und 2012 wuchsen die Forderungen um 36 Billionen $ auf 225 Billionen $ an. Das Weltsozialprodukt nach IWF-Zahlen aber nur um 10 Billionen $ auf 73 Billionen $. Während sich Finanzanlagen also im Schnitt um 4,5 Prozent pro Jahr vermehrten/verzinsten, wuchsen die Einkommen nur um 3,9 Prozent pro Jahr.

      Mindestens 26 Billionen $ (70 Prozent des Forderungszuwachses) sind in diesem Zeitraum also nicht durch Arbeit gedeckt sondern rein fiktive Forderungszuwächse, die nur durch Spekulation am Finanzmarkt erzielt werden konnten. Auch diese Forderungen wollen aber wiederum künftig verzinst werden durch die Erträge zukünftiger Arbeit.

      Genau das aber übt Druck auf die Zinsen aus, weil die Forderungen so groß geworden sind, dass der Verzinsungsanspruch mit den Erträgen menschlicher Arbeit nicht mehr bedient werden kann – außer wie erleben ein Wachstumswunder, das aber auch deswegen ausbleiben wird, weil der Verzinsungsdruck durch Finanzanlagen so ernorm gestiegen ist. (Natürlich nicht nur deswegen…)

      Wenn die Keynesianer also von negativen Realzinsen reden (und am besten dafür noch das Bargeld abschaffen wollen), hoffen sie damit bewusst oder unbewusst nur auf einen sanften Weg des Abbaus dieser Forderungen. Nur wissen wir wohl alle, dass es einen sanften Weg nicht geben wird und es eher mal wieder krachen wird.

    • faz-gb sagt:

      Das logische Argument habe ich unter Aufbietung aller Kräfte verstanden. Meine Frage war eher, ob es ökonometrische Untersuchungen dazu gibt.

    • rum sagt:

      Es ist viel einfacher als das
      Das Argument lautet: je mehr Menschen sich einen Kuchen teilen, desto weniger bekommt jeder im Durchschnitt. Man kann diese Trivialität leicht mit ein paar Formeln beweisen. Empirisch kann man immer wieder für verschiedene Fälle bestätigen, aber beweisen nicht. Also, das Einkommen (Kuchen) soll verteilt werden, jeder kommt mit Ansprüchen, die einen mit Lohnansprüchen, weil sie an der Produktion hart gearbeitet haben, die anderen als Inhaber der Firmen, die produzieren, die anderen, weil sie ein Papier haben, die ihnen dieses Recht geben, wie Aktien und Anleihen, die anderen, weil sie in einem Register stehen, wie das Grundbuch, die ihnen dieses Recht gibt, die anderen, weil sie Geld geliehen haben. Egal was der Grund ist, egal ob man den Anteil an der Produktion nach unserem Rechtsempfinden verdient oder nicht: der Kuchen wird geteilt. Die Anzahl der Finanzanlagen erhöht die Ansprüche an den Kuchen. Wird der Rest weniger bekommen, weil die Inhaber der Finanzanlagen mehr bekommen sollen?

  5. michaelstoecker sagt:

    Die Zinsmarie und andere monetäre Märchen
    Diese Erkenntnis ist so ganz neu nicht, aber wie so vieles wohl in Vergessenheit geraten. Wir leben leider immer noch im monetären Mittelalter. So hatte Wolfram Engels schon zu Beginn der 90er Jahre in seiner regelmäßigen Kolumne in der Wirtschaftswoche sinngemäß geschrieben, dass eine Leitzinsänderung immer nur eine Reaktion der Bundesbank auf Marktänderungen sei. Zentralbanken reagieren also mehr oder weniger passiv und sind nicht die handelnden Akteure hinsichtlich des Zinsniveaus: https://zinsfehler.wordpress.com/2013/09/06/allmachtsfantasien-zur-zinssetzungshoheit/

    Aber auch Herr Weidmann hat hierzu seine Position innerhalb der letzten 6 Monate angepasst. So hatte er noch am 13. November 2014 eine etwas andere Ansicht vertreten: https://zinsfehler.wordpress.com/2013/11/14/die-leiden-des-jungen-w/

    Und unser Sparkassenpräsident glaubt nicht nur an die Zinsmarie sondern auch daran, dass Sparkassen und Banken das Geld der Sparer verleihen: https://zinsfehler.wordpress.com/2014/09/04/bankmythen/

    Die kopernikanische Wende im Geldsystemverständnis steht immer noch aus. Hoffentlich brennen dieses Mal auf den Scheiterhaufen nur die fehlerhaften ökonomischen Theorien.

    LG Michael Stöcker

  6. luke123 sagt:

    Der Analyse kann man eigentlich nur zustimmen
    Der Beitrag wäre es wert, bei der FAZ an etwas herausgehobener Stelle (z.B. unter Finanzen und nicht nur im Wirtschaftsblog) veröffentlicht zu werden.

    • faz-gb sagt:

      Eine etwas kürzere Version dieses Beitrags findet sich heute im Finanzteil der Print-F.A.Z.
      Gruß
      gb

  7. […] Fazit: Die Zinsen sind nicht wegen der Notenbanken niedrig […]

Kommentare sind deaktiviert.