In Washington fand gerade eine zweitägige Konferenz zur Zukunft der Makroökonomik statt. Dort präsentierte die Harvard-Ökonomin Gita Gopinath zehn interessante Thesen zur internationalen Makroökonomik.
Wir beschränken uns auf die Nennung der zehn Thesen und kurzen Erläuterungen zu sechs dieser Thesen.
- 1. Flexible Wechselkurse bringen weniger Vorteile als erwartet
- Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen aus den vergangenen Jahren werfen einen Schatten auf die These von der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit flexibler Wechselkurse, weil es keinen starken Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Austauschverhältnisses von Export- und Importgütern (“Terms of Trade”) und den Veränderungen von Wechselkursen der meisten Währungen gibt. Dementsprechend steht auch die empirische Überprüfung der traditionellen These, wonach die Abwertung einer Währung von einer Zunahme der Exporte gefolgt wird, auf schwankendem Grund. Daraus folgt nicht im Umkehrschluss, dass flexible Wechselkurse über Bord geworfen werden müssen und feste Wechselkurse ein Allheilmittel wären. Das zeigt schon der nächste Punkt.
- 2. Das Trilemma existiert weiterhin
- Das in der Außenwirtschaftstheorie seit langem bekannte “Trilemma” besagt, dass ein Land nicht gleichzeitig freien Kapitalverkehr, einen festen Wechselkurs und eine Unabhängigkeit seiner nationalen Geldpolitik anstreben kann. Vielmehr muss ein Land bereit sein, eines der Ziele aufzugeben – zum Beispiel können die Ziele fester Wechselkurs und unabhängige Geldpolitik miteinander in Konflikt geraten. Die französische Ökonomin Hélène Rey hat in den vergangenen Jahren argumentiert, dass in einer Welt integrierter Kapitalmärkte auch die Flexibilität des Wechselkurses nicht mehr ausreicht, um einem Land (gemeint sind alle Länder außer den Vereinigten Staaten) geldpolitische Autonomie zu sichern. Statt eines “Trilemmas” entstehe ein “Dilemma”. Gopinath teilt diese Auffassung nicht. Auch wenn flexible Wechselkurse insgesamt weniger vorteilhaft seien als früher gedacht, seien sie für die geldpolitische Autonomie eines Landes nicht irrelevant.
- 3. Der Dollar hat einen starken Einfluss auf den gesamten Welthandel
- Gopinath hat in eigenen empirischen Forschungen eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht. Für den Außenhandel zwischen zwei beliebigen Ländern ist nicht so sehr der Wechselkurs zwischen diesen beiden Ländern wichtig, sondern der Außenwert des Dollars: Empirisch folgt auf eine Aufwertung des Dollars um 1 Prozent ein Rückgang des Außenhandels im Rest der Welt um 0,6 bis 0,8 Prozent. In der Diskussion während der Konferenz bezeichnete Larry Summers diese Erkenntnis als die überraschendste in Gopinaths Vortrag. Die starke Rolle des Dollars erklärt sich aus der Tatsache, dass ein Großteil des internationalen Handels in Dollar abgewickelt wird.
- 4. Globale Banken exportieren die amerikanische Geldpolitik. Generell müssen Brutto-Kapitalströme stärker betrachtet werden.
- Wenn manche Ökonomen noch heutzutage meinen, mit der Betrachtung des Saldos der Kapitalverkehrsbilanz von Ländern sei es in internationalen Betrachtungen getan, schütteln andere Ökonomen nur mehr verzweifelt den Kopf. Der Saldo der Kapitalverkehrsbilanz beschreibt nur Nettokapitalströme, aber es ist wichtig, die Bruttoströme anzuschauen. Ein wichtiges Beispiel brachte vor Jahren BIZ-Chefökonom Hyun Song Shin, als er auf das Verhalten europäischer Banken hinwies, die vor der Krise in großem Stil kurzfristig Dollar aufgenommen und langfristig Dollar investiert hatten. In einer Analyse von Nettokapitalströmen waren diese Bewegungen nicht erkennbar.
- 5. Die Ursünde ist nicht mehr so wichtig
- Das ist vielleicht die umstrittenste These Gopinaths. In der Diskussion von Gopinaths Vortrag äußerten Barry Eichengreen – von dem das “Ursünde”-Konzept in der Außenwirtschaftsökonomik stammt, sowie Carmen Reinhardt – deutliche Vorbehalte. Mit dem Begriff “Ursünde” ist die Tatsache gemeint, dass Schwellenländer in der Vergangenheit oft gezwungen waren, sich in Dollar zu verschulden, weil sie wegen früherer wirtschaftspolitischer Fehlleistungen nicht in der Lage waren, genug Käufer für Anleihen in lokaler Währung zu finden. Damit wurden diese Länder aber auch abhängig von den Dollarzinsen und dem Dollarwechselkurs. Gopinath sieht dieses Problem mittlerweile als ziemlich entschärft an – während zum Beispiel Shin seit Jahren vor der hohen Dollarverschuldung vieler Unternehmen aus den Schwellenländern warnt.
- 6. Niedrige Zinsen können Fehlallokationen von Kapital und niedrige Produktivität verursachen.
- In den Jahren bis 2008 floss viel Geld von Deutschland nach Südeuropa. Gleichzeitig stieg die Produktivität in Deutschland, während sie in Südeuropa nachließ. Auf den ersten Blick widerspricht dies jeder sinnvollen ökonomischen Theorie, weil eigentlich Geld dorthin fließen sollte, wo Produktivitätssteigerungen zu erwarten sind. Für Gopinath handelt es sich um eine Frage der Kausalität, denn das Geld wurde in Südeuropa wenig effizient verwendet. Dazu gibt es eine interessante Untersuchung von Gopinath, aber das Thema ist natürlich nicht neu. In FAZIT hatten wir es unter anderem hier gestreift.
- 7. Der Zusammenhang zwischen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten, dem Aufbau von Währungsreserven und Wechselkursmanipulationen muss klarer erarbeitet werden.
- 8. Einheitliche Steuern auf den Außenhandel sind nicht neutral.
- 9. Der Außenhandel ist nicht die wichtigste Ursache der Ungleichheit von Einkommen, aber die Politik hat die Umverteilungswirkungen des Außenhandels unterschätzt.
- 10. Es bedarf einer globalen Koordination der Finanzregulierung ebenso wie die Möglichkeit individueller nationaler Regulierungspolitik.