Eine Studie zeigt: Das persönliche Gesundheitsrisiko erleichtert die Zustimmung zu Einschränkungen. Die Akzeptanz nimmt aber ab. Von Svea Junge
Ausgangssperren, Kontaktbeschränkungen, Versammlungsverbote, Sperrstunden – die Corona-Pandemie greift tief in unsere persönlichen Rechte und Freiheiten ein. Um die Gesundheit der Gesellschaft zu schützen, sind jedoch viele Menschen auf der ganzen Welt bereit, diese Einschränkungen zu akzeptieren. Das hat ein Team aus Wissenschaftlern rund um die Harvard-Ökonomin Stefanie Stantcheva herausgefunden.
Dazu befragten die Forscher mehr als 370.000 Personen aus 15 Ländern zwischen März und Oktober 2020. Ihren Ergebnissen zufolge sind vor allem Menschen in China bereit, ihre individuellen Rechte und Freiheiten aufzugeben. Anders in Amerika: Verglichen mit den Befragten in China sind dort viermal so viele Befragte selbst in Zeiten größerer Krisen nicht bereit, bürgerliche Freiheiten aufzugeben. Menschen in Australien, Spanien, Kanada, Indien, Großbritannien und Italien sind eher bereit, auf Freiheiten zu verzichten als in Deutschland, Frankreich und Japan.
Die Bereitschaft des Einzelnen ist den Forschern zufolge stark von seiner individuellen Betroffenheit abhängig. Personen, deren Gesundheit durch das Coronavirus gefährdet ist, zeigen nicht nur eine höhere Bereitschaft, ihre Rechte aufzugeben. Sie sind auch eher gewillt, den Schutz der Privatsphäre zu lockern und sogar demokratische Verfahren auszusetzen. Entscheidungen an Fachleute abzugeben und strenge Maßnahmen einzuführen, die die wirtschaftliche Aktivität und Mobilität einschränken, finden bei ihnen ebenfalls mehr Unterstützung.
Außerdem zeigen die Wissenschaftler, dass Informationen einen Einfluss darauf haben, wie der Einzelne das Gleichgewicht zwischen öffentlicher Gesundheit und bürgerlichen Freiheiten wahrnimmt. Informationen, die sich auf die Risiken einer langfristigen Erosion der Rechte und Freiheiten konzentrieren, verringern die Bereitschaft, Rechte aufzugeben. Das Forscherteam appelliert daher an die Politik, Informationen bereitzustellen, die erklären, warum die Einschränkungen nötig sind. Nur ein besseres Verständnis könne die Einhaltung ansonsten schwer zu tolerierender politischer Maßnahmen erhöhen.
Den Beobachtungen der Forscher zufolge haben die Gesundheitsbedenken der Menschen seit dem Beginn der Pandemie abgenommen und mit ihnen die Bereitschaft, auf Rechte und Freiheiten zu verzichten. Die Sorge, dass die Rechte nicht wiederhergestellt werden, nimmt zu. Um diesen Bedenken Rechnung zu tragen, plädieren die Forscher dafür, die Einschränkungen aufzuheben, sobald die Krise abgeklungen ist.