Die großen Digitalkonzerne investieren in Patente und Personal statt in Geräte und Fabriken. Das zahlt sich aus.
Mit dem Begriff Investitionen verbinden viele Menschen traditionell Ausgaben von Unternehmen in sicht- und greifbare Sachanlagen wie Gebäude und Maschinen oder, wenn es um die digitale Wirtschaft geht, in Server, Laptops oder Netze. Diese Vorstellung ist natürlich nicht falsch, aber sie ist zumindest zu einem Teil veraltet. Seit rund zwei Jahrzehnten nimmt die Bedeutung der sogenannten immateriellen Investitionen zu, die nicht greifbar sind. Dazu zählen zum Beispiel Software, Patente und Markenrechte, berufliche Weiterbildung sowie Investitionen in neue betriebliche Organisations- und Entscheidungsstrukturen. Vor rund drei Jahren haben die Ökonomen Jonathan Haskell und Sian Westlake diese neue Welt in ihrem Buch “Capitalism without Capital” einprägsam beschrieben.
Wie eine aktuelle Arbeit eines Forscherteams um den bekannten Stanford-Ökonomen Erik Brynjolfsson für amerikanische Unternehmen herausgefunden hat, machte das aus solchen Investitionen entstehende immaterielle Kapital im Jahre 2016 immerhin schon rund ein Viertel des gesamten Kapitals der Unternehmen aus. Eine besondere Bedeutung besitzt es in der Internetwirtschaft, in der vor allem die auch als Superstars bezeichneten Giganten der Branche wie Apple, Facebook, Amazon, Google und Microsoft hiervon profitieren. Diese Superstar-Unternehmen weisen durchweg sehr hohe Börsenwerte auf.
Zwischen dem traditionellen Sachkapital und dem modernen immateriellen Kapital bestehen Parallelen ebenso wie Unterschiede. (Mit immateriellem Kapital haben wir uns in FAZIT schon mehrfach befasst, unter anderem hier und hier und hier.) In beiden Fällen erwarten Unternehmen aus den Investitionen künftige Ströme von Zahlungen. Und in beiden Fällen sind Wertverluste im Zeitablauf erwartbar. So wie eine Maschine durch technischen Fortschritt veralten kann, so kann dies auch einer Software passieren. Freilich sind die Unterschiede auch bedeutsam. Viele Ausprägungen immateriellen Kapitals eignen sich im Unterschied zum Sachkapital nicht als Sicherheit für einen Kredit. Das begünstigt erfolgreiche und etablierte Unternehmen, die anders als viele Start-up-Unternehmen nicht auf die externe Finanzierung immaterieller Investitionen angewiesen sind. Zudem lassen sich Verfahren zur Bewertung traditionellen Sachkapitals und zur Ermittlung von Abschreibungsmöglichkeiten nicht einfach auf immaterielles Kapital anwenden, das nicht selten firmenspezifisch ist und häufig nicht auf Märkten gehandelt werden kann.
Brynjolfsson & Co. gelangen zu mehreren interessanten Schlussfolgerungen. Der Wert des immateriellen Kapitals in den untersuchten Unternehmen stieg in den späten neunziger Jahren deutlich und fiel nach der Jahrtausendwende. Diese Veränderungen reflektieren offensichtlich das damalige Auf und Ab der Preise in der “New Economy”. In einem zweiten Schritt nimmt der Wert des immateriellen Vermögens ab dem Jahr 2010 wieder deutlich zu. Doch dieses Mal dürften für den Anstieg weniger höhere Preise für bestehende Vermögensgüter verantwortlich sein, sondern eine steigende Mengennachfrage nach immateriellen Vermögensgütern, die von einer Reihe von Innovationen wie Künstlicher Intelligenz, mobilen Technologien, Big Data, Data Science und Cloud Computing angefeuert wurde.
Es fällt auf, dass sich in dieser Zeit manche Unternehmen sehr viel stärker für immaterielle Investitionen interessiert haben als andere. “Die Mehrzahl der Zunahme entfiel auf Superstar-Unternehmen”, heißt es in der Arbeit. “Diese Konzentration lässt sich nicht nur an der reinen Menge immaterieller Kapitalbildung beobachten, sondern auch für die Entwicklung des Verhältnisses von immateriellem Kapital je Mitarbeiter – und sie steht im Widerspruch zur Bildung von Kapital etwa in Form von Grundstücken, Fabriken und Maschinen.”
Schließlich gelangen die Autoren zu einer Erkenntnis, die aus anderen Studien bekannt ist: Die Unterschiede zwischen den Unternehmen, die viel in immaterielles Kapital investieren, und jenen, die sich zurückhalten, sind im Laufe der Jahre deutlich größer geworden. Vor allem profitieren jene Unternehmen von immateriellen Investitionen, deren Mitarbeiter nicht nur über eine gute Bildung verfügen, sondern die auch bereit sind, sich innerbetrieblich weiterzubilden. Natürlich sind große und finanzstarke Unternehmen eher bereit, eine intensive innerbetriebliche Weiterbildung zu organisieren und zu finanzieren als kleine und finanzschwache Unternehmen. Große Unternehmen werden auch eher von Netzwerkeffekten profitieren, die mit manchen immateriellen Investitionen einhergehen.
Nun sind Investitionen eine Sache. Eine andere Sache ist die Frage, was sie bringen. Wer die Aktienkursentwicklung von Superstar-Unternehmen betrachtet, erkennt die Bereitschaft der Börse, durch hohe Kursausschläge Erfolge von Investitionen auch dort anzunehmen, wo sie noch gar nicht vorliegen. Der Blick auf die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit legt den Schluss nahe, dass der Optimismus der Börsianer nicht völlig unbegründet ist.
Ein wichtiges Ergebnis von Brynjolfsson und seinen Ko-Autoren lautet: Investitionen in immaterielles Kapital tragen auf Sicht mehrerer Jahre nicht nur stärker zum Wachstum der Unternehmen bei als Sachinvestitionen in Informationstechnologie. “Zudem gibt das Niveau des immateriellen Kapitals im laufenden Jahr einen Hinweis auf das Produktivitätsniveau in drei Jahren. Das legt den Schluss nahe, dass sich der Wert immateriellen Kapitals sofort im Aktienkurs der Unternehmen ausdrückt, während es mehrere Jahre dauert, bis das immaterielle Kapital voll produktiv wirkt.” Nicht nur traditionelles Sachkapital benötigt Zeit, bis seine Wirkungen sichtbar werden. Das ist ein Grund, warum manche Volkswirte nicht verzagen, wenn sich die in Gang gekommene digitale Revolution noch nicht deutlich in einer Beschleunigung des Wachstums von Wirtschaft und Produktivität niedergeschlagen hat. Sie teilen nicht den Pessimismus, dass solche positive Wirkungen der digitalen Revolution ganz ausbleiben werden; stattdessen mahnen sie zu etwas mehr Geduld.
In zahlreichen amerikanischen Wirtschaftszweigen hat in den vergangenen Jahren die Konzentration zugenommen. Die Marktführer hängen die nachfolgenden Konkurrenten immer mehr ab. Was auf den ersten Blick wie ein aus höherer Produktivität stammender Gewinnzuwachs aussieht, erweist sich auf den zweiten Blick – zumindest zum Teil – als Rente, die aus der Macht eines Giganten stammt, Preise zu setzen. Ob und wie Wettbewerbspolitik auf diese Entwicklungen reagieren soll, ist eines der großen wirtschaftspolitischen Themen der kommenden Jahre.