Damit endet eine lange Phase, in der die Geldpolitik in einem Umfeld niedrigen Wirtschaftswachstums, niedriger Zinsen und niedriger Inflation darauf aus schien, die Konjunktur am Laufen und die Finanzmärkte in guter Stimmung zu halten. Heute nimmt die Geldpolitik in Kauf, dass nach entschlossenen Reden die Aktienkurse zurückgehen und die Anleiherenditen steigen. Schnabels Hinweis, längere Phasen hoher Inflation könnten den sozialen Frieden gefährden und selbst stabile Demokratien unter Druck setzen, verdeutlicht, dass die Geldpolitik derzeit ganz andere Risiken fürchtet als verdrießlich jammernde Finanzanalysten und Fondsmanager.
Das Symposium in Jackson Hole versammelt jedoch nicht nur Geldpolitiker, sondern auch Vertreter der Finanzbranche und Ökonomen, und zur über Jahrzehnte geübten Praxis gehört die Präsentation von vier Arbeiten durch in ihrer Zunft üblicherweise sehr angesehene Ökonomen. In diesem Jahr behandelten diese Arbeiten unterschiedliche Aspekte des Konferenzthemas „Neueinschätzung der Beschränkungen von Wirtschaft und Politik“.
Francesco Bianchi und Leonardo Melosi beschäftigten sich in einer interessanten Arbeit mit der Frage, welchen Beitrag die Finanzpolitik in der aktuellen Lage zur Stabilisierung der Wirtschaft leisten kann. In Deutschland wünschen sich manche Ökonomen ein Ende der Schuldenbremse. Auch auf europäischer Ebene finden Debatten über eine Reform der europäischen Schuldenregeln statt. Die Grundlinie ist immer gleich: Den Schuldenregeln wird ein schädlicher Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung zugesprochen. Stattdessen soll eine expansivere Finanzpolitik gerade in Zeiten steigender Zinsen helfen, Investitionen zu finanzieren.
Das Problem ist: Die Staatsschulden haben in vielen Ländern erheblich zugenommen. Für einige Länder stellt sich die Frage, ob diese Verschuldung überhaupt noch tragfähig ist. Ein lehrreiches Beispiel ist Italien: Angesichts der niedrigen durchschnittlichen Rendite italienischer Staatsanleihen sehen manche Ökonomen die Staatsverschuldung des Landes nicht als gefährlich hoch an. Andererseits sieht sich die EZB seit mehreren Jahren gezwungen, die gesamte italienische Neuverschuldung aufzukaufen und diese Anleihen in ihrem Bestand zu halten, weil private Kapitalgeber von diesen Papieren nichts wissen wollen. Ohne Unterstützung der EZB ist diese Verschuldung möglicherweise gar nicht mehr tragfähig.
Nun ist der Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Inflation nicht sehr eng, solange die Verschuldung als unproblematisch gilt. Ist die Staatsverschuldung aber gefährlich hoch, entsteht ein Zusammenhang mit der Inflation, wenn die Erwartung besteht, dass die Zentralbank einen Staatsbankrott verhindern muss und dafür Inflation akzeptiert. Notwendig wäre eine Finanzpolitik, die auf einen soliden Pfad zurückkehrt. Falls dies nicht geschieht, kann die Wirtschaft gleichzeitig hohe Inflation und Rezession erleben. Die Lehre aus diesen Analysen lautet: Schuldenregeln sind besser als ihr manchmal fragwürdiger Ruf. In Zeiten hoher Verschuldung reduziert sich der Spielraum für eine expansive Finanzpolitik.
Eine weitere in Jackson Hole vorgestellte Arbeit dreht sich um Zentralbankbilanzen. Deren außerordentliche Ausweitung war ein Ergebnis der seit der großen Finanzkrise in vielen Ländern betriebenen Geldpolitik, überwiegend durch Käufe von Anleihen und anderen Wertpapieren. In der Eurozone erklärt sich die größere Bilanzsumme der EZB durch eine Kombination aus Wertpapierkäufen und großzügigen Krediten der Zentralbank an die Geschäftsbanken. Die Folgen dieser großen Zentralbankbilanzen für die Geldpolitik und die Möglichkeiten ihrer Rückführung werden seit längerer Zeit diskutiert.
Mit Viral Acharya, Rahul Chauhan, Raghuram Rajan und Sascha Steffen haben vier Autoren eine innerhalb dieses Komplexes bisher weniger erörterte Frage aufgeworfen: Kann es sein, dass ein im Vergleich zu früheren Zeiten höherer Liquiditätsbedarf der Geschäftsbanken den Zentralbanken eine kräftige Reduzierung ihrer Bilanzsumme unmöglich macht? Ihr Beobachtungsfeld sind die Vereinigten Staaten. Nach ihren Untersuchungen weiten die Geschäftsbanken in Zeiten, in denen die Zentralbank Wertpapiere ankauft, ihre Kreditlinien an ihre Kunden aus. Aber sie reduzieren diese Kreditlinien auch dann nicht, wenn die Zentralbank ihren Kurs ändert und ihren Bestand an Wertpapieren verringert. Daraus schließen die Autoren auf die Möglichkeit von Liquiditätsengpässen von Geschäftsbanken in Zeiten schrumpfender Zentralbankbilanzen. An einer solchen Entwicklung kann eine Zentralbank kein Interesse haben. Die Autoren räumen ein, dass es weiterer Forschung bedarf, aber die Vermutung ist gestattet, dass die Reduzierung der gewaltigen Bilanzen der Zentralbanken nur langsam vonstattengehen wird und eine Rückkehr zu den goldenen Zeiten der Geldpolitik in den Jahren vor der Jahrtausendwende vermutlich Jahrzehnte beanspruchen wird, sofern sie überhaupt zustande kommt.
Schließlich ging es in Jackson Hole auch um den Arbeitsmarkt. Auf den wirft die moderne Geldpolitik gewöhnlich einen sehr genauen Blick. Als ein häufig verwendeter Indikator für die Verfassung des Arbeitsmarkts dient den Zentralbanken die Beschäftigungsquote, die das Verhältnis zwischen den Erwerbstätigen und der Bevölkerung beschreibt. Je höher die Beschäftigungsquote liegt, umso besser läuft die Wirtschaft und umso höher wird die Wahrscheinlichkeit von kräftigen Lohnsteigerungen.
Alexander Bick, Adam Blandin und Nicola Fuchs-Schündeln geben jedoch zu bedenken, dass in einer sorgfältigen Analyse des Arbeitsmarkts neben der Zahl der Beschäftigten auch die von diesen Beschäftigten geleisteten Arbeitsstunden betrachtet werden sollten. Die Autoren kommen in einer Betrachtung der Vereinigten Staaten und Europas zu einem interessanten Schluss: In den vergangenen 20 Jahren sind in vielen Ländern zwar die Beschäftigungsquoten gestiegen, die Zahl der Arbeitsstunden je Beschäftigtem ist allerdings zurückgegangen. Besonders stark ist dieser Rückgang in Deutschland ausgefallen. Es würde sich fraglos lohnen, dieser Entwicklung einmal nachzugehen.