Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Big Bio Data

„We don’t know a shit!“

Diese Worte sprach Craig Venter, Biologe, nach der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts. Viel hatte man sich versprochen, doch das das Humane Genomprojekt lieferte in erster Linie neue Fragen. Noch immer sind weite Teile von genetischen Störungen und Krankheiten unverstanden, noch immer sind die meisten davon unheilbar. Der Fortschritt machte die Genomanalyse immer billiger. Und so wurde weiter geforscht. Doch weshalb brechen bei manchen Menschen Krankheiten aus und bei anderen nicht? Wieso zeigen sie unterschiedliche Merkmale?

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Wie so oft ist alles nicht so einfach: Das Genom liegt in allen Körperzellen vor und es verändert sich dabei nur minimalst. Gleichzeitig haben wir aber eine Vielzahl von unterschiedlichen Zelltypen in unserem Körper: Eine Leberzelle ist keine Darmzelle ist keine Hautzelle. Aber sie alle haben dasselbe Genom, die gleiche DNA. Unsere Zellen werden nicht einzig und allein durch die DNA kontrolliert, auch die DNA selbst und damit auch die in ihr programmierten Produkte unterliegen einer Kontrolle. Diese zusätzliche Kontrollebene nennt sich Epigenetik, also all das, was wiederum die Gene an die Umweltbedingungen anpasst. Gene werden durch biochemische Veränderung der DNA an- und ausgeschaltet, Zellumgebung, Nachrichtenmoleküle und Stoffwechsel verändern die Schaltung je nach Bedarf. Diese aktivieren und deaktivieren sich wiederum gegenseitig. Während das Erbgut geschützt im Zellkern nur wenig davon mitbekommt, spielen sich drumherum ineinander verschaltete Signalketten ab. Wie wichtig das ist, lässt sich an einem Zitat meines Vaters einfach aufzeigen: „Der Mensch hat in etwa genauso viele Gene wie der Kugelfisch. Trotzdem sieht der Mensch etwas anders aus.“

Es geht also gar nicht so sehr um das Genom als um die Gesamtheit aller durch das Genom programmierten Produkte und Stoffwechselprodukte innerhalb der Zelle. Es ist wichtiger geworden, die Verschaltung der einzelnen Informationen zu erforschen als deren Informationsbasis. Denn Veränderungen unseres Erbguts werden am Menschen nicht immer sichtbar. Es muss schon eine Veränderung des Erbguts in der richtigen Zelle zur richtigen Zeit sein.

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Trotzdem werden – zu Recht – zu Forschungs- und Diagnostikzwecken immer noch ganze Genome sequenziert. Vor allem, weil es jetzt möglich ist. Diese Sequenzierungen werden immer günstiger und sie werden zukünftig Tests auf einzelne Gene, wie sie bislang üblich sind, ablösen. Die Tests bieten sich bei genetischer Vorbelastung von Patienten an oder um zu erforschen welche Gene welche Ausprägungen begünstigen. Es gibt tatsächlich diverse genetische Korrelationen mit Krankheiten (Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen, Alzheimer, Depressionen…) die zum Teil familiär gehäuft auftreten. Das bedeutet, sie können genetisch bedingt sein. Aber auch andere Korrelationen sind bekannt, die nicht im Kontext zu einer Krankheit stehen. Homosexualität zum Beispiel, oder Haut-, Augen- und Haarfarbe. Demnach könnte man demnächst vielleicht Krankheitsrisiken, Sexualität und Aussehen voraussagen, allerdings mit hoher Unsicherheit.

Genomsequenzierungen sind schon länger möglich und zumindest Google hat dort bereits kräftig investiert. Trainings- und Gesundheitsapps verfolgen und dokumentieren mit denen Trinkmenge, Schrittanzahl, Kalorienwert oder Fruchtbarkeit und sind längst ein riesiges Geschäft. „Selbstvermessung“ bzw. „self-tracking“ nennt sich das und viele Menschen wollen und nutzen sie. Mittlerweile sollen diese Apps außerdem die Forschung erleichtern und verbessern. Aber man misst ja nur die äußeren Werte. Was doch zählt ist das Innerste. Das Genom. Genau dorthin wollen die privaten Genomsequenzierer jetzt. Welche Vorteile und Risiken birgt das?

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Während es für die chronisch unterfinanzierte Forschung und die Patienten gut ist, wenn teure Verfahren immer günstiger werden, sind Gentests bei privaten Firmen für einen Laien kaum auszuwerten. Zum einen sind die verschiedenen privaten Gentests nicht standardisiert, Tests können also von Anbieter zu Anbieter unterschiedlich ausfallen. Zum anderen sind sie für sich alleine genommen nicht aussagekräftig. Denn nur weil etwas im Genom steht muss es nicht so passieren. Immerhin, der erste „Genom-Sequenzierungs-Service“ bietet für einen Preis von 999$ sogar zusätzlich genetische Beratung an.

Genetische Daten sind nur unzulänglich anonymisierbar. Genome, die zu Forschungszwecken sequenziert und veröffentlicht wurden führten dazu, dass ein junger Mann seinen biologischen Vater, einen Samenspender, fand. Während das noch eine schöne Geschichte ist, kann man von genetischen Daten auch anderweitig Gebrauch machen, zum Beispiel wenn man DNA an einem Tatort findet und diese abgleichen will. Natürlich sind die Daten auch für Ihren Arbeitgeber und Ihre Krankenkasse nützlich. Und datenhungrige Werbefirmen können natürlich auch davon profitieren.

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Günstige Genomsequenzierungen gibt es auch für Ungeborene. Wieso nicht gleich das gesamte Genom des Nachwuchses erfahren? Tatsächlich: Das ist nicht nur möglich, sondern auch bald für jedermann finanzierbar. Es gibt mittlerweile auch eine Methode zur Genomsequenzierung von Embryonen vor der Implantation. Da sind wir tatsächlich nicht so weit weg von Designerbabys.

Und dieser Mann, den Sie da letzte Woche trafen. Ob er wohl lange genug leben wird, damit Sie gemeinsam alt werden? Er hat bei Ihnen übernachtet, am nächsten Morgen eine Einmalzahnbürste bei Ihnen benutzt. Jetzt rühren Sie die Zahnbürste etwas in salziger Lösung herum, tröpfeln sie in ein Gerät… Das Genom verrät: Er hat ein hohes Risiko für einen frühen Herzinfarkt und hohe Cholesterinwerte. Zu schade.

Aber was genau bedeutet es, wenn ich eine hohe Prädisposition für Herz-Kreislauferkrankungen habe? Was kann ich dagegen tun? Ist eine Prädisposition für eine Krankheit unausweichlich?

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Aber Statistiken sagen über das individuelle Risiko wenig aus. Nur weil statistisch gesehen viele Patienten einer Krankheit eine gewissen genetische Veränderung haben bedeutet das nicht, dass sie gerade bei mir ausbrechen muss. Der Glauben, in unseren Genen allein sei alles fest vorgeschrieben ist schlichtweg falsch und widerlegbar. Umgekehrt wird dann ein Schuh daraus: Nur weil ich keine genetische Prädisposition für eine Krankheit habe, bedeutet es nicht, dass ich sie nicht doch bekomme.

Aber immerhin, ein erhöhtes Risiko für die großen Volkskrankheiten sollte uns doch zum Nachdenken bewegen. Wir könnten unseren Lebensstil ändern, öfter zur Vorsorge gehen, mehr auf uns achten. Aber würden wir das wirklich? Es ist seit Jahren bekannt, dass der Konsum diverser Drogen und der lasterhafte moderne Lebensstil mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind. Lassen wir deswegen die Zigarette, den Wein, den Burger weg?

Günstige Sequenzierungsverfahren sind vor allem dann sinnvoll, wenn sie in der Forschung oder in der Medizin eingesetzt werden. Dort bieten sie große Vorteile. Ich denke dabei zunächst an Tumore, welche analysiert werden könnten. Ein Leberkrebs ist eben nicht wie der andere. Er ist genetisch auch oft anders als die Metastasen (Tochtergeschwulste) die er streut. Genetische Untersuchungen von Tumoren und Metastasen könnten nicht nur gemeinsame Schwachstellen der Tumore aufzeigen sondern, wenn man Behandlungen damit abgleicht, auch wirksamere Therapien. Personalisierte Medizin nennt man das und sie ist schwer im Kommen. Aber das ist leider auch nur dann möglich, wenn genetische Profile von Patienten zusammen mit der Therapie gespeichert werden, um später abzugleichen, bei wem welche Therapie wirkt.

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Das funktioniert wiederum nur, wenn die Daten so gut wie möglich geschützt werden. Bei den Krebsregistern die derzeit in ganz Deutschland aufgebaut werden, werden bereits Diagnosen und Behandlungsverläufe mit den Patientennamen gespeichert. Das sollte man eigentlich vermeiden um den Patienten größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten.

Der Schutz personenbezogener Daten ist wichtig. Wir müssen dort den biologischen Datenschutz miteinbinden, denn wir haben bereits begonnen, die Kontrolle zu verlieren. Genetische Daten können, genau wie Metadaten, unser Verhalten prognostizieren und beeinflussen. Sie sind dabei aber genauso fehlbar. Daher muss es schnellstens Richtlinien geben, wie diese Daten geschützt verarbeitet, die Informationen bewältigt und die Aussagekraft geprüft werden können.

Mit einer großen Macht kommt eben eine große Verantwortung.