Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Fahrverbote mit Kontrollinfrastruktur und Massenüberwachung

Ich mag es, wenn Deutsche ihre italienische Seite entdecken. Als Nebenwohnortsitaliener versöhnt mich eine offen zur schau getragene Italianita auch mit dem schlimmsten deutschen Winterwetter, und es freut mich natürlich, wenn Deutsche so findig sind, wenn es um das Herumwuseln um Probleme geht. Das drohende Dieselfahrverbot ist so eine Sache: Kaum hatte die Polizei im besonders stickoxidbelasteten Stuttgart erklärt, sie könnte unmöglich ein Fahrverbot für Diesel überprüfen, kamen hier im Blog auch schon erste Ideen des kreativen Umgangs mit ehernen Gerichtsentscheidungen: Man könnte am Heck des Fahrzeugs ein anderes Typenschild montieren, etwa ein schlichtes 420 statt eines 320TDI, und schon erscheint der Diesel als Benziner – akustisch ist da ohnehin kaum ein Unterschied mehr zu erkennen. Das macht doch nichts, das merkt doch keiner. Und wenn das jeder macht, ist der Staat machtlos.

Das ist ohne jeden Zweifel der italienische Weg im Umgang mit diversen Vergnügungen wie Sexarbeit. Steuerminderung, roten Ampeln in Rom, Bauaufträgen und Einbahnstraßen in Agrigent, und glauben Sie mir, Sie kommen da wirklich nicht ins Parkhaus über dem Fischmarkt, wenn Sie sich wie ein Deutscher verhalten. Das macht jeder so, das fällt keinem auf. Aber Agrigent und Rom und Neapel sind Städte, die für sich stehen, und Italien hat auch noch einen Norden. Und wie es der Zufall will, lebe ich desöfteren im schönen Mantua, durch das man früher nach Belieben fahren konnte. Das ist gut 20 Jahre her, und dann entschied man sich, dem Vorbild von Ferrara zu folgen, und die Innenstadt vom Durchgangsverkehr zu befreien. Wie früher üblich, wurde das mit versenkbaren Pollern gemacht: Wer in die Stadt durfte, hatte einen Infrarotsender, um den Poller zu versenken. Alle anderen mussten draußen bleiben. Oder, wie mir das einmal bei der Hatz hoch zur Citta Alta in Bergamo passiert ist, das macht doch nichts, das merkt doch keiner, hinter einem Einwohner noch schnell über den aufsteigenden Poller durchhuschen.

So eine Lösung taugt für eine kleine Altstadt, in der ohnehin nicht viele Autobesitzer wohnen, und hat viele Nachteile: Behinderte können nicht zum Arzt, Hotels können nicht direkt von Touristen angesteuert werden, der Lieferverkehr sorgt an den Pollern am Morgen für Staus, zu viele deutsche Touristen mit Italienkomplex halten sich für Wahlitaliener und brausen noch schnell durch, solange es geht. Das System war starr, unflexibel, erlaubte keine Ausnahmen, und war Stand der Technik der mittleren 90er Jahre. Wer einen Schlüssel wollte, musste einen beantragen, wer ihn verlor, hatte ein Problem, und das alles war kompliziert und teuer in der Verwaltung. Wer italienische Beamte kennt: Sie sind nicht wirklich Freunde komplexer Arbeitsvorgänge, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb ist das alte Pollersystem zwar im innersten Bereich des Weltkulturerbes Mantua noch in Kraft, aber daneben gibt es eine erheblich grössere Schutzzone vor Autos und ihrem Lärm und Abgasen, die sogenannte “Zone des beschränkten Verkehrs”, ZTL. Mit so wenig Verkehr, dass eine Nonne eine Einbahnstraße ignorieren kann, aber das macht doch nichts, das merkt doch keiner.

Denn man muss sich so eine ZTL wie eine permanente Verbotszone vorstellen, in die nur gewisse Fahrzeuge fahren dürfen. Unterschieden wird nicht anhand des Brennstoffs in den Motoren, sondern nach Bedürfnissen: Rein darf mit Verbrennungsmotor lediglich, wer innerhalb der Zone wohnt, drinnen in einem Hotel wohnt, den Markt beliefert, Geschäfte versorgt, nicht anders einen Arzt aufsuchen kann, medizinische Notfälle versorgt, den Müll abholt, und so weiter und so fort – also jeder, der in der Stadt wirklich etwas Sinnvolles zu tun hat, oder darin wohnt. Der Rest muss draußen bleiben, darf nicht durch die Stadt fahren, muss sich einen anderen Weg suchen und außerhalb parken. Oder, wie ich das immer mache, mit dem Rad fahren, wenn ich in Cittadella auf der anderen Seite des Sees von Mantua wohne, daher macht mir das nichts, das merkt in Cittadella keiner.

Letztes Jahr musste ich wegen einiger Verwicklungen aber einige Zeit eine Wohnung innerhalb der ZTL buchen, und natürlich auch mit dem Auto hinein fahren. Es war im Randbereich der ZTL, und das Kontrollsystem funktioniert dort so: An allen Einlass- und Ausfallstrassen der ZTL sind Videokameras angebracht. Fährt ein Auto in die Strasse, wird ein Sensor ausgelöst, und die Kamera macht ein Bild. Dieses Bild wird automatisch digital mit einer Erkennung des Nummernschilds verarbeitet. Das System weiss dann, dass ein deutsches Auto mit dem Kennzeichen MB-DA 666 am Mittwoch, den 17. Mai, um 19.52 Uhr in die Via Vespucci hinein gefahren ist. Es gleicht das Nummernschild mit der Datenbank der für die ZTL zugelassenen Fahrzeuge ab und ahnt, dass ich im Glauben, das sei Italien, das mache doch sicher nichts, das merke doch keiner, verbotenerweise die vielen Schilder mit dem Befahrverbot ignoriert habe.

Das System weiß nun, dass ich mich illegal verhalten habe, und wartet nun geduldig darauf, dass mein Auto die ZTL bei einer anderen Kamera, die wieder ein Bild macht, verlässt. Dann weiß das System genau, wann ich kam und wann ich wieder gefahren bin. Wenn vor mir Antonio della Viamala als Anwohner sein Fahrzeug in die gleiche Zone gesteuert hat, macht das System ebenso ein Bild, gleicht es mit der Datenbank ab, und vergisst es sofort wieder, wenn es das passende Nummernschild gefunden hat. Das ´Scheiden der italienischen Lämmer von den deutschen Böcken läuft vollautomatisch, kein Beamter muss deshalb seinen Kaffee kalt werden lassen, das macht ihm nichts, das merkt gar keiner, so digital, wie das abläuft.

Nun bin ich also drin, aber möglicherweise habe ich ja einen guten Grund dafür – nämlich eine entzückende Mietwohnung, von der aus ich die Geschäfte der Stadt bereichere. Das sieht dann so aus, dass der Vermieter sich ebenfalls mein Autokennzeichen und den Typ des Fahrzeugs notiert, mir für die Dauer des Aufenthalts eine Lizenz für die ZTL ausfertigt, und das online bei der Stadt über ein Internetformular meldet. Das System weiß dann, dass ich nicht illegal dort bin, und würde allenfalls aktiv werden, wenn ich erst einen Tag nach Ende meines Aufenthalts die ZTL verlassen würde. Dann bekäme ich, ebenfalls vollautomatisch durch den EU-Abgleich, jene saftige Rechnung, die ich auch ohne Meldung beim Hotel bekäme. Mantua ist ziemlich penibel, Ravenna hat ein ganz ähnliches System, das aber dem Vernehmen nach aber deutlich toleranter sein soll. Das ganze System besteht nur aus Kameras, einer Bildanalyse und einer Datenbank, in die neben den festen Nummern von Geschäftsleuten flexibel weitere Nummern eingetragen werden können – und einem Strafsystem, das garantiert etwas macht, das jeder bemerkt, selbst wenn er nach Deutschland entkommen sollte..

Es wäre überhaupt kein Problem, so ein System auf stark befahrene Strassen und Motortypen umzurüsten. Die Kameras müssten die aufgenommenen Nummern nur mit dem Zulassungsverzeichnis abgleichen, aber was tut man nicht alles für die saubere Luft. Die Kennzeichen, die zu Autos mit den theoretisch erträglichen Schadstoffmengen gehören, wie mein in der Stadt schnell mal 17 Liter saufender 3,5Liter-V6 mit 272 PS, dürften dann straffrei fahren, während die verpeilte Oma mit ihrem Fiesta 1,2D mit 54 PS und Minimalrente eine satte Strafe bekommt, dass sie sich einen Monat kein Essen mehr leisten kann. So ist das eben, wenn man flächendeckend Überwachung einführt und Bürger automatisch kontrolliert. Mein privater Vorschlag wäre angesichts des orwellschen Irrsinns übrigens das Propagieren des Radverkehrs für faule Innenstadtbewohner, die Italiener schaffen das schließlich auch, und dazu testweise ein Stopp der Diesel-LKW-Nahrungsanlieferung aus dem Umland für vier Wochen. Danach diskutieren urbane Hipster von sich aus gern die Anhebung der Grenzwerte auf längerfristige Mittelwerte und über das Verbot der Deutschen Umwelthilfe, aber das ist nur meine private Meinung und jedes Volk bekommt die Regierung und ihre Privilegierten, gegen die es nicht auf die Barrikaden geht. Aber prinzipiell ist es natürlich möglich, Zonen mit Verkehrsbegrenzung auszuweisen und mit Zugriff auf die Zulassungen zu überwachen: Wer sich korrekt verhält – ich brauche 2,3 Sekunden auf Tempo 50 mit enormer Geräuschprachtentfaltung bei 6500 UpM – wird zwar abgelichtet, aber auch gleich wieder vergessen. Überwacht werden nur die Sünder mit Diesel, die aber total.

Das System gibt es, es ist technisch ausgereift, es ist ausreichend flexibel, wenn die Mille Miglia durch die Stadt röhrt und Öl verspritzt, und stellt keinerlei Behinderung des Verkehrs dar. Wer sich nun wundert, warum die Polizei sagt, sie könnte das alles gar nicht überwachen, obwohl es technisch viel einfacher zu machen wäre, kennt lediglich die frühere Debatte nicht. Tatsächlich hat sich das grüne Verkehrsministerium in Baden-Württemberg wirklich überlegt, so ein System im Falle von Fahrverboten anzuschaffen. Die Folge war ein Aufschrei angesichts der datenschutzrechtlichen Konsequenzen und der faktischen Totalüberwachung des Verkehrs. Das Ministerium ruderte danach schnell zurück, aber heute stellt sich die Frage erneut und dringlicher denn je. Das unreflektierte Mitkreischen der Medien wird 2018 unter Vorzeigung der gepeinigten Kinderlungen in den gentrifizierten Stadtteilen nach meinem Empfinden für den nötigen Stimmungsumschwung sorgen und eine Überwachung erlauben, die 2017 noch ein Skandal gewesen wäre. Als es mit ähnlichen Tricks um die Einführung von Internetsperren wegen Kinderpornographie ging, hat das vielen schließlich auch nichts ausgemacht. Der Dieselmörder steht da in einer Sündenbocklinie mit dem Pornokonsumenten, der etwas Illegales sehen könnte, und dem Netzteilnehmer, der eine juristisch schwammige Hatespeech begeht.

Selbstverständlich wird durch den Aufbau einer kompletten Kontrollinfrastruktur auf der anderen Seite kein Stadtbewohner aufgehalten, seine Karre in die Provinz zu bewegen und dort die Luft mit jenen Abgasen zu verpesten, die er daheim nicht haben will. In den italienischen ZTLs geht es vorrangig um das Gemeingut der Konservierung von historischen Bausubstanz eines Weltkulturerbes, in Deutschland dagegen um eine privilegierte Gruppe, die mit Überwachung von den Nachteilen ihrer zentrumsnahen Wohnlage befreit werden will, während sie selbst innerhalb ihrer Wohnbereiche selbst oft, zu oft, das Auto benutzt. Die ZTL der italienischen Städte reduziert jeden Verkehr auf das absolute Minimum und ist nur ein durchdachtes Instrument unter vielen, um eine lebenswerte Stadt zu erschaffen. Die überwachten Dieselverbote dagegen werden lediglich bestimmte Gruppen benachteiligen, ohne die Städte grundsätzlich zu verbessern. Mit der permamenten Kontrollinfrastruktur der Kameras, den Datenbanken und einem Meinungsumschwung in der Bevölkerung geht das.

Aber nur die Italiener bekommen am Ende eine lebenswerte Stadt, durch die man sich zu Fuß und mit dem Rad so bewegt, wie es für Städte eigentlich angemessen wäre. Es wäre die Zeit für eine entspannte und lebensbejahende Radfahrdebatte. Statt dessen werden wir über orwellsche Kameras und Totalüberwachung reden müssen, weil die deutschen Verbotspolitiker und Verbände nun mal Deutsche sind, und das italienische System sehr deutsch als umfassendes Überwachungsinstrument pervertieren werden, ohne sich um den Segen so einer ZTL im Verbund mit anderen Stadtkonzepten zu kümmern. Die Grundlagen für dieses ignorante Herumwurschteln an Symptomen auf Kosten der Bürgerrechte werden momentan in den Medien geschaffen, das grundrechtsfeindliche NetzDG von Heiko Maas lässt grüssen.

Das macht denen nichts. Das merkt bei uns keiner. Das Rad rechts gehört übrigens mir, mit dem fahre ich durch Mantua.