Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Bücherkiste (10): Weg mit den Schulden!

Der Konsument - und nicht die Banken - gehört in die Zentrum einer Krisenanalyse.

“As is turns out, we think debt is dangerous. If this is correct, and large increases in household debt really do generate severe recessions, we must fundamentally rethink the financial system.” (Mian/Sufi)

Dieses Buch hat eine klare Botschaft: Eine Krisenbewältigung, die in erster Linie die Banken unterstützt, ist falsch. Ursache der jüngsten Finanzkrise waren nicht die Banken, sondern hoch verschuldete Konsumenten. Es hat keinen Sinn, die Banken zu weiteren Krediten bewegen zu wollen, wenn die potentiellen Kreditnehmer bereits hoch verschuldet sind. Wer die Krise beseitigen will, muss die Konsumenten entschulden. Wer künftige Krisen verhindern will, sollte langfristige Kreditverträge flexibilisieren und mit eigenkapitalähnlichen Elementen anreichern. Das knapp 200 Seiten umfassende Buch enthält somit eine wuchtige Agenda. Taugt sie etwas?

Moderne Ökonomen lesen vielleicht nicht mehr Hayek, aber dafür Holmes. „Es ist ein schwerer Fehler, Theorien aufzustellen, bevor man Tatsachen hat. Dann fängt man unmerklich an, die Tatsachen zu verdrehen, bis sie zu den Theorien passen, statt die Theorien den Tatsachen anzupassen“, sagt Sherlock Holmes in Arthur Conan Doyles bekannter Kriminalgeschichte „Ein Skandal in Böhmen“. Atif Mian (Jahrgang 1975) und Amir Sufi (Jahrgang 1977) haben dieses Holmes-Zitat bewusst an den Anfang ihres Buches über die jüngste Finanzkrise in den Vereinigten Staaten gestellt: Aus der Empirie sollen die Ökonomen lernen und daraus Theorien ableiten. Mian (Princeton University) und Sufi (Chicago Booth School) mögen jung sein, aber sie haben Professuren an erstklassigen Hochschulen und sie sind auf ihrem Fachgebiet erfahren. Ihr Buch „House of Debt“ ist eine popularisierte Version mehrjähriger Forschungen über das Verhalten amerikanischer Konsumenten in den vergangenen Jahren, das mehrere Veröffentlichungen in Fachzeitschriften zur Folge hatte.  Sehr lesenswert ist auch ein ebenfalls “House of Debt” genanntes Blog von Mian/Sufi.

Dabei entwickeln Mian und Sufi die Fähigkeit, moderne Theorie und Empirie auf eine sehr eingängige Weise zu schildern. In dieser Hinsicht ist „House of Debt“ vorbildlich und die Widerlegung der These, moderne Ökonomen könnten nur noch in Formeln und nicht mehr in verständlicher Sprache kommunizieren. Larry Summers, der nicht gerade mit Lob für andere Ökonomen um sich wirft, hat „House of Debt“ als das möglicherweise beste Buch über die amerikanische Finanzkrise bezeichnet. *)

Gleichwohl muss sich natürlich auch ein  flüssig geschriebenes Buch versierter Autoren der kritischen Überprüfung stellen. Ausgangspunkt der Analyse ist die Beobachtung, dass schweren Finanzkrisen meist eine hohe Verschuldung von Konsumenten – oft als Folge von Immobilienkäufen – vorausgeht. Dies war auch in der jüngsten amerikanischen Krise so: Zwischen 2000 und 2007 verdoppelte sich die Verschuldung der amerikanischen Privathaushalte auf 14 Billionen Dollar. Mian ud Sufi zeigen, dass besonders in den Jahren 2004 und 2007 alle Dämme brachen und gerade in sehr armen Regionen viele Kredite an Haushalte vergeben wurden, die seinerzeit fallende Einkommen verzeichneten. Diese Kredite wurden dann nicht an die halbstaatlichen Finanzierer Fannie Mae oder Freddie Mac weiter geleitet, sondern von privaten Banken in Wertpapiere eingebracht und weiter verkauft.

Nach dem Beginn der Krise brach zwischen 2007 und 2010 das durchschnittliche Vermögen eines Mitglied des ärmsten Fünftels der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten von rund 30 000 Dollar auf Null ein. Für das durchschnittliche Mitglied der reichsten 20 Prozent der Bevölkerung errechnet sich ein Rückgang des Vermögens von 3,2 auf 2,9 Millionen Dollar – was in absoluten Beträgen viel ist, in Prozent gerechnet aber nicht entsetzlich. Nach Mian und Sufi zeigte sich gerade der Vermögensverlust der ärmeren Schichten in einem deutlichen Rückgang der Konsumausgaben, der die gesamte Wirtschaft in die Rezession fallen ließ: “From 2006 to 2009, large net-worth decline counties cut back on consumption by almost 20 percent. This was massive.” Dass die amerikanische Wirtschaft bis heute nicht dynamisch wächst, erklären die Autoren mit der Schuldenlast, die immer noch auf den Privathaushalten ruht.

Die ersten beiden Teile, in denen Mian und Sufi ihre Schilderung der Krise bieten und ihre Daten sowie einen theoretischen Rahmen mit dem Konsumenten im Zentrum präsentieren, bilden den Höhepunkt des Buches. Danach wird die Analyse etwas fahrig. Die Ursachenforschung des Kreditbooms gerät zu knapp: Die Autoren erklären ihn, ähnlich wie Ben Bernanke mit seinem Verweis auf eine „Ersparnisschwemme“, mit einer starken Nachfrage asiatischer Großanleger nach verzinslichen Dollaranlagen. Diese Auslandsnachfrage nicht zuletzt durch europäische Banken spielte fraglos eine Rolle im Aufbau der Krise, aber ganz sollten die Geldpolitik der Fed und die durch den Staat geförderten Hauskäufe auch für ärmere Amerikaner nicht vergessen werden.

Des weiteren halten die Autoren ihre Kernthese nicht ganz durch. Sie räumen im zweiten Teil ihres Buches ein, dass die Stützung durch Banken kein Fehler gewesen und ein Zusammenbruch des Finanzsystems keine Alternative sei. Was sie stört, ist die starke Ausrichtung der Politik und von Teilen der Wissenschaft auf die Rolle der Banken in der Krise. **) Kritiker haben Mian und Sufi vorgehalten, dass sie die Rolle der Banken unterschätzen, denn in den Vereinigten Staaten brach die Konjunktur erst nach dem Fall von Lehman Brothers ein; andererseits erhalten die beiden Autoren Unterstützung durch Adair Turner, den früheren Chef der britischen Finanzaufsicht.

Kontrovers ist sicherlich auch der Vorschlag einer Entlastung hoch verschuldeter Privathaushalte. Nicht nur muss diese Entlastung finanziert werden. Es stellt sich auch die von Mian und Sufi vielleicht etwas leichthändig zurückgewiesene Frage, ob hier nicht Trittbrettfahrerverhalten („Moral Hazard“) begünstigt würde. Wahr ist allerdings, dass amerikanische Ökonomen unterschiedlicher politischer Couleur in den vergangenen Jahren eine solche Entschuldung befördert haben. Aktuell gibt es Meldungen aus den Vereinigten Staaten, wonach die Bank of America im Zuge eines Vergleichs mit der amerikanischen Justiz mehrere Milliarden Dollar an hochverschuldete Haushalte zahlen könnte.

Die Zukunft sehen Mian und Sufi in Verträgen zwischen Gläubiger und Schuldner, die flexibler gestaltet und Elemente von Eigenkapital besitzen sollen. Solche Verträge, genannt “Shared-Responsibility Mortgages”, sollen bei Hausfinanzierungen vorsehen, dass in einer schweren Krise die Rückzahlung reduziert wird, andererseits beim Verkauf eines Hauses mit Gewinn der Gläubiger einen Teil des Gewinns erhält. Das klingt ungewohnt und erscheint vielleicht auch nicht naheliegend, aber derartige Überlegungen hatte für Studentenkredite früher schon Milton Friedman angestellt. Mian/Sufi räumen aber ein, dass in der Praxis Schulden beliebt sind – so fördert sie der Staat oft steuerlich und auch aus der Sicht des Haushalts ist eine Schuld mit klar definierter Finanzierung beliebt, einfacher kalkulierbarer als eine Finanzierung mit möglicherweise variablen Zahlungsströmen.

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*) Summers ist wegen seiner Rezension in der “FT” und angesichts seiner Rolle als Berater Präsident Obamas in den Krisenjahren selbst schwer unter Beschuss geraten, zum Beispiel hier.

**) Nicht zufällig war Amir Sufi auf der geldpolitischen Konferenz in Jackson Hole 2012 als Diskutant eines Papiers von Brunnermeier/Sannikov eingeladen, in deren Analysen die Banken eine wesentliche Rolle spielen.Eine kürzere Version dieses Beitrags ist am 10. Juni 2014 im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

Die bisherigen Beiträge der Reihe “Bücherkiste”:

Bücherkiste (1): Wie uns Ökonomen vom Dunkel ins Licht führen – Anmerkungen zum neuen Buch von Sylvia Nasar

Bücherkiste (2): Ökonomen für jedermann – Eine Reihe im F.A.Z.-Buchverlag nimmt Gestalt an

Bücherkiste (3): Warum Nationen scheitern

Bücherkiste (4): Die Bankenlobby redet Schwachsinn

Bücherkiste (5): Geld hilft selten aus der Armut

Bücherkiste (6): Die Rückkehr der Meister (Smith, Marx, Hayek)

Bücherkiste (7): Die Rückkehr der Erben

Bücherkiste (8): Dollar-Dominanz

Bücherkiste (9): Die Festung der Makroökonomen