“The key challenge for the central bank in crisis management is to prevent the economy from falling into deflation.” (Otmar Issing)
Wir kehren noch einmal zur großen EZB-Konferenz im portugiesichen Sintra zurück. Zu den aktiven Teilnehmern dort gehörte der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing, der die im Rahmen eines Panels geäußerten Gedanken nunmehr in einem Arbeitspapier veröffentlicht hat. Hier ist eine Zusammenfassung:
In der Frage der aktuellen Krisenbekämpfung waren sich viele Ökonomen einig. So besteht die wichtigste Aufgabe der Geldpolitik in einer Krise in der Verhinderung einer Deflation.
Dabei ist die Gefahr einer Deflation nicht eigentlich das Auftauchen einer negativen Inflationsrate, sondern eine sich beschleunigende Bildung von Deflationserwartungen in Verbindung mit dem von Irving Fisher schon vor Jahrzehnten beschriebenen Phänomen einer “Schuldendeflation”.
Die jüngste Krise ist aber keine “normale” Rezession, wie sie immer mal wieder vorkommt, sondern eine durch in vielen Bereichen beobachtbare hohe Verschuldung gekennzeichnete Krise. Daher ist eine Reduzierung der Bilanzen vieler Wirtschaftsteilnehmer notwendig – Richard Koo hat für diese Form von Krise den Begriff “Bilanzrezession” geprägt.
In der Frage der nachhaltigen Überwindung einer solchen Krise gehen die Ansichten in der Fachwelt nach Ansicht Issings in einem überaus starken Maße auseinander: “Though the nature of the crisis was understood relatively early on, policy prescriptions for how to deal with its consequences have continued to diverge.” An anderer Stelle schreibt Issing: “… the harmony is gone and unusually strong disagreements have emerged.”
Hierfür gibt es zwei Gründe. Erstens liegen aus neuerer Zeit kaum Erfahrungen mit Bilanzrezessionen vor. Und Vergleiche mit den Erfahrungen der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts sind schwierig, weil das Finanzsystem heute ein ganz anderes ist. Zweitens fehlt es schlichtweg an einer ausgereiften makroökonomischen Theorie, mit der die heutige Situation analysiert werden kann. Die traditionelle Makrotheorie wollte vom Finanzsektor nichts wissen und die neuen Ansätze – Issing nennt Brunnermeier/Sannikov und Christiano/Eichenbaum/Trabandt – sind noch nicht ausgereift. Insofern darf man derzeit vom Rat der Ökonomen nicht zu viel erwarten.
Andererseits muss es aber auch in einer solchen Zeit in der Praxis weiter gehen. Issings Empfehlungen lauten:
1. Die unmittelbare Reaktion der Geld- und Fiskalpolitik auf eine Krise sollte schnell und mächtig sein.
2. Nach einer erfolgreichen Behandlung der unmittelbaren Krise sollte man sich nicht die Illusion machen, rasch zur Normalität zurückzukehren.
3. Eine Reduzierung der Bilanzen ist notwendig und muss alle Bereiche der Wirtschaft umfassen. Dazu gehören eine Stärkung des Eigenkapitals von Banken, die über ein sinnvolles Geschäftsmodell verfügen, sowie der Marktaustritt von Banken ohne Geschäftsmodell.
4. In Volkswirtschaften mit einer großen Bedeutung des Bankkredits sollten finanzielle Innovationen außerhalb des Bankensektors die Gesundung begleiten.
5. Je länger die Geldpolitik sehr locker bleibt, umso größer werden ihre Kosten. Zentralbanken müssen daher rechtzeitig über einen geordneten Exit aus dieser Politik nachdenken.
6. Die Geldpolitik darf nicht als einzige Form der Krisenbekämpfung angesehen werden. Aus einer solchen Wahrnehmung folgen Gefahren für ihre Unabhängigkeit.
7. Die Geldpolitik muss künftig dazu beitragen, dass nicht wieder große Krisen entstehen. Dazu gehört die Erkenntnis, dass Geldpolitik rechtzeitig gegen Krisensymptome vorzugehen hat.
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Die bisherigen Beiträge in der Sintra-Reihe:
Sind wachsende Zentralbankbilanzen gefährlich? Nicht unbedingt. (Sintra 3)
Macht Unternehmens- und Konsumkredite handelbar! (Sintra 2)
Wie Banken Krisen verschärfen (Sintra 1)