Allan Meltzer sieht die amerikanische Geldpolitik auf einem falschen Weg. Aber der ehemals streitbare amerikanische Ökonom ist nachsichtiger geworden. Es fällt ihm nicht schwer, eigene Fehleinschätzungen offen einzuräumen. Meltzer kann sich sogar eine schöne Zukunft für die Eurozone vorstellen – allerdings ohne Griechenland.
Allan Meltzer, Jahrgang 1928, ist der letzte lebende Vertreter des “Dreigestirns des Monetarismus“, das neben ihm aus dem Nobelpreisträger Milton Friedman und Karl Brunner bestand. Meltzer, von 2012 bis 2014 Vorsitzender der liberalen Mont Pèlerin-Gesellschaft, sprach auf Einladung Otmar Issings am Center for Financial Studies der Frankfurter Goethe-Universität. Meltzer hat unter anderem eine dreibändige Geschichte der Fed verfasst. Wir fassen den Vortrag und die anschließende Diskussion zusammen.
Der Befund: Große Kanone – kleine Wirkung
Meltzer erinnerte daran, dass die Bilanzsumme der Fed seit dem Jahre 2008 um sage und schreibe rund 4 Billionen Dollar gestiegen, aber die Wirkung auf die Konjunktur und den Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten gering geblieben sei. Den Rückgang der Arbeitslosigkeit erklärt er unter anderem mit einer großen Zahl jüngerer Menschen, die keine Chancen für sich auf dem Arbeitsmarkt sähen. Gleichzeitig ist aber auch die Inflationsrate nicht gestiegen – anders als Meltzer, wie er einräumte, prognostiziert hatte.
Die drei Irrtümer der Fed
Die Geldpolitik der amerikanischen Zentralbank sieht der an der Carnegie-Mellon-University in Pittsburgh lehrende Ökonom aus mehreren Gründen als verfehlt an.
Meltzer hat zwar Verständnis für die Bereitschaft der Fed, auf die Krise des Jahres 2008 mit einer expansiven Geldpolitik reagiert zu haben. Er ist auch kein grundsätzlicher Gegner von Wertpapierkäufen durch die Zentralbank (“Quantitative Easing”). Aber nach seiner Ansicht hätte die Fed spätestens ab 2010 erkennen müssen, dass ihre expansive Geldpolitik nicht wie gewünscht wirkt – und zum Schluss kommen müssen, dass die Ursachen des langsamen Wachstums in einer investitionsunfreundlichen Wirtschafts- und Regulierungspolitik zu suchen seien, gegen die Geldpolitik nicht wirksam sei. Dies ist der erste Irrtum der Fed. Nach Ansicht Meltzers führt eine unternehmerfeindliche Wirtschaftspolitik über eine Zurückhaltung der Unternehmen mit Investitionen über den damit verbundenen geringen Zuwachs der Produktivität zu der in Amerika oft diskutierten unbefriedigenden Entwicklung der Löhne besonders für die Mittelschicht.
Als zweiten Irrtum nannte Meltzer eine kurzatmige, an Monats- und Quartalsdaten aus Wirtschaftsstatistiken orientierte Geldpolitik. “Some of this is downright silly”, sagte Meltzer, denn es gäbe keine brauchbaren ökonomischen Modelle, um solche kurzfristigen Daten vernünftig für die Geldpolitik zu analysieren. Statt dessen sei eine längerfristig, an Regeln ausgerichtete Geldpolitik sinnvoller. Als Beispiele nannte Meltzer die Jahre 1923 bis 1928, als der Goldstandard herrschte, sowie, vielleicht etwas überraschend, die Amtszeit Alan Greenspans als Vorsitzender der Fed. 5)
Die Tatsache, dass die Fed ebenso wie andere Zentralbanken ihre Geldpolitik stark an theoretischen Konzeptionen des amerikanischen Ökonomen Michael Woodford ausgerichtet hat, betrachtet Meltzer als dritten Irrtum. 1) Denn Woodford habe die Betrachtung von Geld und Kredit aus geldpolitischen Analysen verbannt – für Meltzer eine groteske Entwicklung, da die Zentralbanken das von ihr hergestellte Gut – das Geld – aus der Analyse ihres Handelns herausnehmen. Meltzer vertritt nach wie vor den von ihm und Brunner wie auch von dem Nobelpreisträger James Tobin bevorzugten Ansatz, die Effekte von Geldpolitik über die Änderungen von Preisen an Finanzmärkten und sich daraus ableitende Änderungen des Bruttoinlandsprodukts zu analysieren. Diese sogenannten Portfoliomodelle sind zwar außer Mode gekommen, weil sie den heutigen technischen Anforderungen an den Bau von Modellen nicht mehr genügen. Meltzer hält aber die alten Grundgedanken nach wie vor für richtig. 2)
Auszüge aus der Diskussion:
In der anschließenden Diskussion wurde Meltzer gefragt, warum er nicht auf die hohe Verschuldung (öffentlich und/oder privat) in vielen Ländern eingegangen sei. Meltzer antwortete, dass aus seiner Sicht die hohe Verschuldung gesamtwirtschaftlich wenig bedeutend sei 3) Er gehe davon aus, dass nicht alle Schulden zurückgezahlt werden könnten und Schuldenstreichungen notwendig würden.
Zur Lage in der Eurozone sagte Meltzer, dass man von der expansiven Geldpolitik der EZB nicht zu viel erwarten sollte, auch wenn er sie nicht für unwirksam hält. 4) Langfristig komme es aber vor allem auf Flexibilierungen an Märkten an, die interne Abwertungen erlaubten. Deshalb besäßen reformfreudige Länder wie Spanien und Irland heute bessere Wachstumsperspektiven als Frankreich oder Italien, wo es mit Reformen langsamer vorangeht. Die größte Gefahr sieht Meltzer derzeit im möglichen Aufkommen politischer Stimmungen, die sich gegen solche Reformen äußerten. Aber er sieht auch keine Ursache für Euro-Defätismus: “The future of Europe is bright.” Griechenland allerdings hat nach Meltzers Ansicht keinen Platz in der Währungsunion, da das Land korrupt und auch nach Reformen nicht in der Lage sein, mit Deutschland in einer Währungsunion zu bestehen. Die Aufnahme Griechenlands in den Euro sei ein Fehler gewesen. Fehler seien menschlich, aber man müsse in der Lage sein, sie zu korrigieren.
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1) Es ist wahrscheinlich nicht übertrieben, Michael Woodford als einflussreichsten Ökonomen für die Gestaltung von Geldpolitik seit Milton Friedman zu bezeichnen. Mit seinem Hauptwerk, dem Buch “Interest and Prices”, machte er die neokeynesianische Makroökonomik für die Analyse der Geldpolitik nutzbar. Heute orientieren sich wohl die meisten Zentralbanken in den Industrienationen und viele Zentralbanken in Schwellenländern an neokeynesianischen Konzepten. Widerstand kommt unter anderem von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.
2) In den in FAZIT häufig behandelten Arbeiten moderner Ökonomen, die Makroökonomik und Finanzmärkte miteinander verbinden (“Macrofinance”), werden diese Gedanken wieder aufgenommen.
3) Die Monetaristen haben immer hauptsächlich die Rolle des Geldes analysiert und die Rolle des Kredits nie für sehr bedeutsam gehalten.
4) Zahlreiche liberale amerikanische Ökonomen sehen Wertpapierkäufe der Zentralbank im Unterschied zu vielen ihrer deutschen Kollegen nicht als gefährlich oder schädlich an, sondern lediglich als vermutlich nicht sehr wirksam. Bilanztechnisch sind Wertpapierkäufe einer staatlichen Zentralbank wenig anderes als Laufzeitenmanagement staatlicher Verbindlichkeiten: Die Zentralbank nimmt mittel- oder längerfristige staatliche Verbindlichkeiten (Staatsanleihen) aus dem Markt und emittiert im Gegenzug kurzfristige staatliche Verbindlichkeiten (Zentralbankgeld). Dieses Argument verwendete auch Meltzer in seinem Vortrag. Eine ökonomische Folge von Wertpapierkäufen einer Zentralbank – positive oder negative – muss sich aus diesen Laufzeitenveränderungen ableiten lassen. In einem reinen Marktmodell sind diese Wirkungen Null (“Wallace-Neutralität”), angesichts unvollkommener Märkte in der Realität können sich ökonomische Effekte einstellen. Ben Bernanke hat einmal sinngemäß gesagt, in den Vereinigten Staaten hätte “Quantitative Easing” funktioniert, obwohl es aus theoretischer Sicht eigentlich nicht funktionieren dürfte.
5) Eine ganz andere Einschätzung der Greenspan-Ära hat Martin Hellwig in diesen Tagen auf einer Konferenz der Atlanta-Fed vorgetragen: “When I read the book ‘Maestro’, Bob Woodward’s account of Alan Greenspan’s 1980s and 1990s record as Chairman of the Federal Reserve, I got the impression that, over time, Greenspan was a master at intervening to counteract the damaging effects of his previous interventions: After the stock market crash of 1987, he flooded the system with liquidity in order to avert a financial crisis. When the expansion of the money supply created strong inflationary pressures in 1988 and 1989, he sharply reversed the policy, raising interest rates again to levels unseen since the early 1980s. When the fallout from this measure threatened to bankrupt the big money center banks in 1990, he again reversed his policy, sharply lowering short-term interest rates and allowing the banks to play the yield curve, using the very large difference between long-term and short-term interest rates to earn record profits four years in a row and rebuild their equity. This stop-and-go routine seems to have been driven by alternating concerns about financial stability and inflation, without much of an attempt to take a comprehensive view.”