Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Drückt Geldpolitik die Produktivität?

| 14 Lesermeinungen

Das geringe Wachstum der Produktivität trotz erheblichen technischen Fortschritts gehört zu den größten Wirtschaftsrätseln unserer Zeit. Eine neue Arbeit besagt: Die Geldpolitik kann zu dieser Entwicklung beitragen.

In den ersten Jahren nach der Einführung des Euros floss viel Geld aus Staaten nördlich der Alpen, darunter auch viel Geld aus Deutschland, in den spanischen Immobilienmarkt. Die Investoren erhofften sich dort höhere Renditen als in ihrer Heimat. Das Ergebnis war zunächst ein gewaltiger Bauboom in Spanien, der das Wirtschaftswachstum trieb und für viele neue Arbeitsplätze sorgte. Gleichzeitig vergaben spanische Banken, begünstigt durch niedrige Zinsen dank einer expansiven Geldpolitik, großzügige Kredite an Bauherren, von denen sich viele sehr hoch verschuldeten. Das Ergebnis ist bekannt: Der spanische Bauboom verwandelte sich in eine schwere Krise, die der spanischen Wirtschaft sehr schadete und viele regionale Banken in erhebliche Schwierigkeiten brachte. Manche Banken wie die Regionalbank Bankia haben sich bis heute nicht vollständig erholt. Spanien ist ein Musterbeispiel für eine Finanzkrise als Folge hoher Verschuldung. (Wir haben diese Prozesse hier ausführlich analysiert.)

Die jüngste Entwicklung in Spanien ist aber auch ein Beleg für ein Phänomen, das erst allmählich in das Bewusstsein der Fachleute rückt. Es handelt sich um die Beobachtung, dass in vielen Ländern trotz erheblichen technischen Fortschritts durch die Digitalisierung die Produktivität nur langsam wächst. Dieses Phänomen, für das es bis heute keine allgemein akzeptierte Erklärung gibt, gilt als eine wesentliche Ursache des wenig dynamischen Wirtschaftswachstums seit der Finanzkrise. Und dieses langsame Wachstum trägt zum hohen Stand der auf Banken und manchen Finanzmärkten lastenden Verschuldung bei.

Fachleute erwägen mehrere Ursachen für das auffallend langsame Wachstum der Produktivität, zum Beispiel eine nur langsame Ausbreitung technischen Fortschritts in der Wirtschaft. Eine denkbare Ursache des auffallend niedrigen Wachstums der Produktivität könnte eine falsche Geldpolitik sein, die zu sehr starkem Kreditwachstum in der Wirtschaft und daraus entstehenden Booms am Immobilienmarkt führt, die schließlich in schweren Finanz- und Wirtschaftskrisen enden. Dies behaupten Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, einer der wichtigsten Denkfabriken für Geldpolitik und Finanzmärkte. Sie haben eine große Zahl von Finanzkrisen aus den vergangenen Jahrzehnten untersucht, unter denen das spanische Beispiel ein besonders prominentes ist.

Ein Immobilienboom steigert die Produktivität kaum

Ein Ergebnis ist interessant, aber auch nicht völlig neu: Eine Geldpolitik, die zu einem Immobilienboom führt, senkt das Wachstum der Produktivität in dieser Phase um rund einen Viertelprozentpunkt im Jahr. Das hängt damit zusammen, dass im Boom viele neue Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft entstehen, deren Produktivität im Vergleich zur Gesamtwirtschaft unterdurchschnittlich ist. Gleichzeitig werden in einer solchen Phase überdurchschnittlich produktive Arbeitsplätze in der Industrie nur geringfügig ausgebaut. Das konnte man vor der Krise auch in Spanien sehen: Das Geld deutscher Banken und anderer deutscher Anleger floss in erster Linie in die Immobilienwirtschaft oder andere wenig effiziente binnenwirtschaftliche Branchen wie den Einzelhandel. Die sehr viel effizientere exportorientierte Industrie erhielt nicht viele Gelder aus dem Ausland. (Ein mittlerweile häufig zitiertes Papier von unter anderem Gita Gopinath ist hier.)

Dies klingt plausibel, aber der spanische Immobilienboom ist schon einige Jahre her. Warum wächst die Produktivität seit der Überwindung der heißen Phase der Krise ebenfalls unterdurchschnittlich? Eine ganz aktuelle Studie nennt für Großbritannien Eigenarten des Arbeitsmarktes als wesentlichen Grund für das “Produktivitätsrätsel”. Die Untersuchung aus der BIZ sieht wiederum einen mit der Geldpolitik verwandten Grund. Nach dieser Ansicht ist eine durch expansive Geldpolitik bewirkte wirtschaftliche Erholung nicht in der Lage, Arbeit von wenig produktiven in produktivere Verwendungen umzuleiten. Statt dessen sind Strukturreformen notwendig, um die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern. Das bedeutet aber auch, dass sich die BIZ-Ökonomen kritisch gegenüber der Theorie der säkularen Stagnation à la Larry Summers wenden, die das lasche Wirtschaftswachstum seit der Finanzkrise als ein Phänomen mangelnder gesamtwirtschaftlicher Nachfrage ansieht. Hier könnte man einwenden, dass die eine Erklärung die andere nicht zwingend ausschließt: Ein Wirtschaft kann gleichzeitig unter Angebots- wie unter Nachfrageproblemen leiden – und gerade Südeuropa wäre ein Ort, an dem sich diese These gut überprüfen ließe.


14 Lesermeinungen

  1. vcaspari sagt:

    Wenn es stimmt, dass Unternehmen noch immer hohe Liquditätsreserven halten,
    dann stellt sich die Frage, warum sie keine Sachinvestitionen, sondern Finanz- und Immobilieninvestitionen durchführen. Lohnt es sich nicht und dann warum? (institutionelle Hindernisse???) Wissen sie nicht in welche Richtung sie investieren sollen, welchen technologischen Trend sie aufgreifen sollen? (IT?????) Hemmt die IT die Arbeitsproduktivität????

    Klar ist, dass die Ausgaben für FuE nicht gesunken sind, aber aus der modernen endogenen Wachstumstheorie und entsprechenen empirischen Studien folgt, dass viele FuE Ausgaben sunk costs sind, weil Konkurrenten schneller waren. Nur die “Schnellen” können die Innovationsgewinne realisieren denen die FuE Ausgaben gegenüberstehen. Siehe als Beispiel die Pharmabranche! Manchmal ist beim Innovationswettbewerb “Design” (horizontale Produktdifferenzierung) billiger und gleich profitabel wie”Qualitätswettbewerb” (vertikale Produktdifferenzierung). Es gibt viele mikro- und makroökonomische Faktoren, die offensichtlich bremsend auf die Entwicklung der Arbeitsproduktivität aber auch auf die der totalen Faktorproduktivität wirkt. Letztere gilt als Maß des technischen Fortschritts und demnach sinkt dieser, obwohl viele glauben er nehme zu.

    • Gerald Braunberger sagt:

      Lieber Herr Caspari, ich habe vor einigen Monaten des amerikanischen Investmentbanker Ken Moelis gesprochen, der alle vier großen Wellen von Fusionen und Übernahmen in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten miterlebt hat. Er sagt, in der aktuellen Welle gehe es vor allem um Kosteneinsparungen durch Größe. Viele Unternehmen sehen sich in ihrer Branche in einem eher deflationären Umfeld und glauben auch nicht, durch fantastische Innovationen Produkte zu sehr attraktiven Preisen an den Markt bringen zu können. Deswegen sind nunmehr auch Zusammenschlüsse von Branchenriesen zu sehen – Kostensynergien lassen sich realisieren, sofern nur der Wille des Managements da ist, Ertragssynergien sind eine sehr viel schwierigere Aufgabe. Die von Ihnen erwähnte Pharmabranche ist ein Beispiel, aber wir haben zum Beispiel auch den Zusammenschluss der beiden größten Bierkonzerne der Welt gesehen. Ich stimme Ihnen zu, dass es eine Vielzahl von makro- und mikroökonomischen Einflüssen auf die Produktivitätsentwicklung geben dürfte.
      Viele Grüße
      gb

    • rum sagt:

      Warum sie keine Sachinvestitionen durchführen?
      Und ich frage mich, warum die Frage. Diese Frage setzt voraus, dass die Unternehmen lediglich die Liquidität benötigen, um besseres Geschäft zu machen. Das Predigt uns auch ununterbrochen die moderne Geldpolitik: wenn Notenbanken Geld aussondern, dann werden die Verbraucher mehr verbrauchen, die Produzenten mehr produzieren, die Wirtschaft mehr wirtschaften, usw. Für die Unternehmen sieht es offensichtlich anders aus: es lohnt sich eher, das zu erhalten, was man hat, als zu versuchen, es zu vermehren. Mehr werden sie so wie so nicht verkaufen: wozu mehr produzieren? Vielleicht, wenn sie billiger zu verkaufen versuchen, aber dann schreit die Notenbank “Deflation” und wirkt entgegen.

  2. Radergummi sagt:

    Geldpolitik ist ineffektiv
    “Das geringe Wachstum der Produktivität trotz erheblichen technischen Fortschritts gehört zu den größten Wirtschaftsrätseln unserer Zeit.”

    Geld- sowie Fiskalpolitik ist wenigstens implizit darauf ausgerichtet die gesamtwirtschaftliche Auslastung des Inputs Arbeit wenigstens konstant zu halten oder besser noch zu erhöhen. Damit wird aktiv eine produktivitätssteigernde Konsequenz aus technologischem Fortschritt unterdrückt: Die Ersparnis des Faktors Arbeit bei gleichbleibenden Output. Oder, was dasselbe ist: gesamtwirtschaftliche Effektivität wird aktiv unterdrückt.
    Man könnte ebenfalls plakativ und mit weniger Fokus auf nur diesen einen Faktor sagen, dass Wirtschaftspolitik nicht darauf ausgerichtet ist, die produktivsten Faktoren zu beschäftigen, sondern soviele wie nur irgend möglich – also auch relativ unproduktive Faktoren, die im Aggregat gemessen, die produktivitätssteigernde Wirkung der produktivsten Faktoren überlagern.

    Je erfolgreicher Wirtschaftspolitik hinsichtlich der Erreichung dieses Ziels ist, desto schwächer der messbare Produktitvitätszuwachs.

    Worin besteht also das Rätsel? Oder resultiert dieses Rätsel mal wieder aus dem “wohlfahrtsmakroökonomischen” Kalkül von Arbeit und Beschäftigung als Produkt einer Wirtschaft, dass es zu maximieren gilt, statt als Input, den es wenn dann zu minimieren gilt?

    • bodo3000 sagt:

      Definition - Präzision
      Was ist “Produktivität”? Ein offensichtlich nicht exakt konsolidierter terminus technicus bringt Verwirrung. Warte amüsiert auf belastbare Antworten!

    • Gerald Braunberger sagt:

      Arbeitsproduktivität
      Mit Produktivität ist hier die Arbeitsproduktivität gemeint – wie üblicherweise in solchen Studien. Aber es ist richtig, dass ich das hätte präzisieren sollen.

      In mehreren früheren FAZIT-Beiträgen haben wir die Totale Faktorproduktivität behandelt. Das hatte ich seinerzeit aber auch explizit angegeben.

      Gruß
      gb

  3. […] Fazit: Drückt Geldpolitik die Produktivität? […]

  4. Gerald Braunberger sagt:

    Positiver Einfluss der Geldpolitik auf Produktivität
    Diese Studie aus der Kansas Fed identifiziert einen vorübergehenden positiven Einfluss expansiver Geldpolitik auf die Produktivität, der allerdings nicht lange andauert:

    https://www.kansascityfed.org/~/media/files/publicat/research/macrobulletins/mb15vanzandweghe0810.pdf?la=en

  5. rum sagt:

    "Denkfabrik für Geldpolitik"
    Die ehrwürdige BIZ verdient so eine Bezeichnung für Ideologen nicht, eher die EZB und die FED.

  6. bodo3000 sagt:

    "Der spanische Fall" ...
    … ist (so korrekt von Herrn Braunberger vermerkt) ein Produktivitätsdrücker (wenn man denn mal die schillernde Definition von “Produktivität” im Kopfe behält). Hier ein Beitrag zur assymptotischen Erläuterung des “Spanischen Falls”: https://www.deutschlandfunk.de/der-spanische-fall.1170.de.html?dram:article_id=240089
    B. Behrendt

    • Gerald Braunberger sagt:

      In dem verlinkten Beitrag von Brunnermeier/Reis/Braunberger hatten wir deutlich beschrieben, dass der “spanische Fall” nicht nur spanische Ursachen besaß. Wir hatten betont, dass diese in Deutschland häufig erzählte Geschichte unvollständig ist.
      Gruß
      gb

  7. rum sagt:

    Drückt Geldpolitik die Produktivität?
    Ja. Dessen bin ich 100% sicher. Allein aus Bauchgefühl: wenn die Geldpolitik zweckentfremdet und ihre Wirkung überschätzt wird, wie zum Beispiel unten im Beitrag von Frau Buchholz, wie es ständig gemacht wird, dann nicht ohne einen Preis. Das ist wie ein physikalisches Erhaltungsprinzip. Ich wies hier auch mehrmals auf die alte Kritik der Indexwährung hin, die eben der Wirkung des technischen Fortschritts entgegenwirkt. Herr Stöcker mag recht haben, dass Produktivitäts- und Wachstumsraten in gesättigten Märkten gegen Null laufen müssen, aber gesättigt sind wir nicht. Mit dem technischen Fortschritt brauchten wir zum Beispiel viel weniger zu arbeiten, es geschieht aber das Gegenteil.

  8. cheronnac sagt:

    Die Geldpolitik kann fehlendes Eigenkapital ersetzen und Investitionen ermöglichen
    die im Idealfall Produktivität esteigern oder sogar Arbeitsplätze schaffen.
    In Spanien wurde dieser Prozess durch die Bankenkrise die uns die Wallstreet Leman Brothers) beschert hat schmerzhaft unterbrochen.
    Wenn also in Spanien alles nach Plan gelaufen wäre, hätte man die Häuser und Wohnungen fertig gebaut und säße haute nicht auf einem riesigen Berg von Immobilienruinen und Milliarden totem Kapital das sich nicht verzinst und dem Land und seiner Bevölkerung immensen Schaden zugefügt hat.
    Es wird noch mindestens 1 bis 2 Jahrzehnte dauern bis das vielleicht wieder bereingt ist.
    Das Problem ist daß heute alles nur kurzfristig gemanagt wird, Die langfristige Perspektiven fehlen und zuwenig Leute in der Politik etwas von Geld verstehen, außer viel davon auszugeben.

  9. michaelstoecker sagt:

    Produktivität drückt Produktivität
    Produktivitäts- und Wachstumsraten müssen in gesättigten Märkten gegen Null laufen. Das ist die Logik der Exponentialfunktion in einer Welt mit physischen Grenzen. Mit Geldpolitik hat das alles nichts zu tun. Wir sollten uns eher Gedanken darüber machen, warum so viele unbewohnte Immobilien als illusionärer ‘store of value’ gebaut werden. Adair Turner hatte die Immobilienbooms als einen zentralen Trigger für Finanzkrisen herausgearbeitet. David Harvey hatte dies schon lange zuvor erkannt: https://www.youtube.com/watch?v=9cXyxdVu9H8. Aber auch dies sind nur die letzten verzweifelten Versuche, den Kapitalismus, der nach über 500 Jahren nun an seine logische Grenze gestoßen ist, als System zu erhalten: https://www.youtube.com/watch?v=rTG5TQSZ1FY.

    Am Anfang der kapitalistischen Zahlungsökonomie steht auf aggregierter Ebene immer der Bankkredit. Das ist das Wesen des Kapitalismus! Und wo befindet sich das Kapital in einer Bilanz? Richtig, auf der Passivseite mit Eigen- und Fremdkapital; denn Geld/Giralgeld ist ein Schuldverhältnis. Volkswirte verorten das Kapital immer noch auf der Aktivseite. Die haben seit Adam Smith immer noch nicht den Sprung aus der Tauschwirtschaft in die Geld- bzw. Zahlungswirtschaft hinbekommen und scheitern zugleich am methodologischen Individualismus: faz.net/aktuell/gesellschaft/oekonomie-ist-eigentlich-keine-wissenschaft-11418489.html.

    Die Ökonomie sollte endlich mal beginnen, wissenschaftlich zu arbeiten: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/oekonomie-ist-eigentlich-keine-wissenschaft-11418489.html. Dann lösen sich viele große Rätsel in Wohlgefallen auf. Bis dahin geht aber die babylonische Sprachverwirrung weiter: https://zinsfehler.wordpress.com/2013/10/30/tapering-liquidity-a-trap-yet-a-tapering-in-the-dark-of-economic-theory-2/

    LG Michael Stöcker

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