Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Duell der Ökonomen

 
Wie sieht eine optimale Finanzpolitik aus? Darüber streitet der Rat der Sachverständigen.
 

Ökonomen streiten über alle wirtschaftliche Fragen, aber in der Finanzpolitik hat es im deutschen Sprachraum lange Zeit einen sehr weitreichenden Konsens gegeben. Er besagte: Eine die Verschuldung begrenzende langfristige Regel sichert eine notwendige Disziplinierung, um politisch motivierte Schuldenexzesse zu vermeiden. Gleichzeitig sollte eine Regel der Regierung in begründeten Ausnahmefällen wie Naturkatastrophen oder schweren Wirtschaftskrisen die Möglichkeit geben, zumindest in begrenztem Maße durch eine Neuverschuldung der Konjunktur einen notwendigen Schub zu geben. Kurzum: Es geht um die alte wirtschaftspolitische Frage, wie Regelbindung und Flexibilität miteinander versöhnt werden können.
 
Über die Frage der besten finanzpolitischen Regel ist im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage (“Fünf Weise”) ein sehr lehrreicher Konflikt ausgebrochen. Auf der einen Seite verteidigen Christoph M. Schmidt, Lars Feld und Volker Wieland im neuen Jahresgutachten die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Auf der anderen Seite sehen Isabel Schnabel und Achim Truger einen erheblichen Reformbedarf bei der Schuldenbremse, der sie veranlasst, mit der “Goldenen Regel” ein älteres finanzpolitisches Konzept zu reaktivieren. Pikant: Die “Goldene Regel” hatte im Gutachten von 2007 in einem damals anders besetzten Rat noch eine günstige Aufnahme gefunden.
 
Worum geht es? Die vor zehn Jahren im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse will die Dynamik einer stetig wachsenden Verschuldung des Staates brechen. Sie fordert grundsätzlich ausgeglichene Haushalte von Bund und Ländern. Dem Bund wird ein sogenanntes strukturelles, also nicht von der Entwicklung der Konjunktur abhängiges Haushaltsdefizit bis 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) zugestanden. Außerdem ist eine höhere Neuverschuldung in einer schwachen Konjunktur möglich, wobei sich die Höhe der konjunkturell bedingten Neuverschuldung auf der Basis eines unter Ökonomen nicht unumstrittenen Indikators berechnet: der sogenannten Produktionslücke. Sie soll angeben, wie weit sich die Wirtschaft von ihrer maximalen Auslastung entfernt befindet.
 
Kritiker halten dieses Verfahren für unzuverlässig, weil sich die maximale Auslastung einer Volkswirtschaft vermutlich nicht sehr präzise berechnen lässt. So könne es in einem Abschwung zu einer nicht genügend expansiven Finanzpolitik kommen, sagen vor allem jene Ökonomen, die sich für die Zukunft angesichts einer weitgehend ausgepowerten Geldpolitik eine sehr viel aktivere Finanzpolitik wünschen.
 
Diese Schwierigkeiten werden von den drei Befürwortern der Schuldenbremse nicht bestritten. “Die Schätzung von Produktionslücken ist in Echtzeit mit relativ großen Fehlern behaftet”, schreiben Schmidt, Feld und Wieland. Sie sehen Fortschritte in der Verwendung modernster Messverfahren, räumen aber ein, dass eine Unsicherheit über die tatsächliche Auslastung einer Volkswirtschaft weiterbestehen wird. Auch wenn sie Schwächen einräumen, halten die drei Ökonomen die Schuldenbremse weiterhin für eine Regel, an der festgehalten werden sollte. Vor allem weisen sie den von Kritikern erhobenen Vorwurf zurück, die Schuldenbremse beschränke den finanzpolitischen Spielraum einer Regierung zu stark und verhindere dringend notwendige staatliche Investitionen. Hierfür gebe es keinen Beweis, schreiben Schmidt, Feld und Wieland.
 
Wie argumentiert die andere Seite? Schnabel und Truger sehen zwar ganz erhebliche konzeptionelle Probleme der Schuldenbremse, nehmen aber keine Fundamentalopposition ein. “Wir sprechen uns nicht für eine Abschaffung der Schuldenbremse oder gar der europäischen Fiskalregeln aus”, schreiben die beiden Ökonomen. “Ebenso wenig geht es um eine Erhöhung der Verschuldung als Selbstzweck. Es geht uns vielmehr längerfristig um konzeptionelle Verbesserungen und kurzfristig um eine sinnvolle Anwendung der Schuldenbremse im bestehenden rechtlichen Rahmen.”
 
Schnabel und Truger halten die Schuldenbremse für zu starr und erinnern alternativ an die “Goldene Regel für Investitionen”, die früher mehrere Studentengenerationen an Universitäten gelernt haben und die in Deutschland lange für die Politik verbindlich war. Nach diesem “Konzept für den Umgang mit Haushaltsdefiziten” ist es nicht nur zulässig, sondern im Sinne der Generationengerechtigkeit auch geboten, staatliche Investitionen durch Verschuldung zu finanzieren. Denn wenn auch künftige Generationen mit den Schulden belastet werden, so profitieren sie doch auch vom Nutzen öffentlicher Investitionen zum Beispiel in die Infrastruktur. Schnabel und Truger fürchten, dass eine Orientierung an der heutigen Schuldenbremse Anreize “für zu geringe öffentliche Investitionen zum Nachteil künftiger Generationen schafft”.
 
Das klingt gut, aber leider Gottes wohnen auch dem Konzept der “Goldenen Regel” Schwächen inne, die sich zum Teil aus der Unschärfe von Begriffen speisen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um den Begriff “Investitionen”. Er ist nicht nur nicht eindeutig definiert; hinzu kommt die Erfahrung, dass Investitionen nicht per Definition Nutzen stiften. In diesem Fall werden sie auch kaum zum Wirtschaftswachstum beitragen. Zudem schützt nach Ansicht der Ratsmehrheit die Anwendung einer “Goldenen Regel” nicht vor einer Unterversorgung mit öffentlichen Investitionen. So ließ sich zu Zeiten, als in der Bundesrepublik die Finanzpolitik an der “Goldenen Regel” offiziell ausgerichtet war, ein Rückgang der öffentlichen Investitionen beobachten.
 
Schnabel und Truger räumen ein, dass die Bedenken ihrer Kollegen gegen Schwächen der “Goldenen Regel” ernst zu nehmen seien. Allerdings halten sie die Belege für die Nützlichkeit öffentlicher Investitionen für ausreichend, um Finanzpolitik an der “Goldenen Regel” auszurichten. Um Sorgen vor einer zu großen Neuverschuldung zu verdrängen, regen sie zudem an, im Rahmen der “Goldenen Regel” eine maximal zulässige Neuverschuldung festzulegen.
 
Die Debatte zwischen den Sachverständigen belegt eine Erkenntnis, die seit Jahrzehnten aus der Geldpolitik bekannt ist. Regelgebundenes Handeln kann in der Wirtschaftspolitik sehr nützlich, ja sogar notwendig sein. Aber die Definition guter Regeln ist häufig alles andere als einfach. Zudem zeigen gesunder Menschenverstand und die Erfahrung, dass die Steuerung eines so komplexen Gebildes wie einer modernen Volkswirtschaft auf der Basis simpler, starr zu interpretierender Regeln zumindest auf die Dauer nicht funktioniert. Gute Finanz- und Geldpolitik benötigt einen ökonomisch gut fundierten Rahmen, in dem sie sich bewegt. Aber sie bleibt immer auch Politik, die in Ungewissheit über die Zukunft handelt.