Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Der Staat, die Macht und das Virus

Die Politik hat noch keine Krise als Chance ausgelassen, um ihren Einfluss auf das Leben der Bürger zu weiten. Mit dem Coronavirus droht eine neue Sperrklinke. 

Mit gro­ßer Wucht haben die Re­gie­run­gen Eu­ro­pas und Ame­ri­kas in das Leben ihrer Bür­ger ein­ge­grif­fen, um die Aus­brei­tung des neuen Co­ro­na­vi­rus zu ver­lang­sa­men: Aus­gangs­sper­ren, Schlie­ßun­gen von Ge­schäf­ten, Ein­rei­se­ver­bo­te. Die An­ord­nun­gen er­in­nern an Kriegs­zei­ten. Nicht um­sonst be­mü­hen man­che Po­li­ti­ker mar­tia­li­sches Vo­ka­bu­lar, um die Ein­grif­fe zu recht­fer­ti­gen. 

Trotz vie­ler Un­ter­schie­de fol­gen Po­li­tik und staat­li­che Bü­ro­kra­tie über­all im Kern den Emp­feh­lun­gen von Epi­de­mie­for­schern. Diese lau­fen ver­ein­facht ge­sagt dar­auf her­aus, durch so­zia­le Di­stanz und eine zeit­wei­se Aus­trock­nung des ge­sell­schaft­li­chen Le­bens die Aus­brei­tung des Virus zu ver­lang­sa­men. Ziel ist es, das Ge­sund­heits­sys­tem nicht zu über­las­ten und Zeit zu ge­win­nen, um Me­di­ka­men­te oder einen schüt­zen­den Impf­stoff zu fin­den und zu ent­wi­ckeln. Die Emp­feh­lun­gen set­zen viel Ver­trau­en in die Fä­hig­kei­ten der For­scher und der Po­li­tik vor­aus, als quasi wohl­mei­nen­de Dik­ta­to­ren Ri­si­ken zu er­ken­nen und rich­tig ein­zu­schät­zen.

Vom Angebots- zum Nachfrageschock

Öko­no­men waren auf die Pan­de­mie we­ni­ger gut vor­be­rei­tet, doch erste Ana­ly­sen wer­den ver­öf­fent­licht. So­lan­ge das Virus über­wie­gend noch in China wü­te­te, wurde die Krise vor allem als An­ge­bots­schock wahr­ge­nom­men. Die Zer­brech­lich­keit der glo­ba­len Lie­fer­ket­ten stand im Vor­der­grund der Sor­gen. Mit der aus­grei­fen­den Po­li­tik der Ab­schot­tung und so­zia­len Di­stan­zie­rung ste­hen die Län­der nun vor einem An­ge­bots- und vor einem Nach­fra­ge­schock, wie die Öko­no­men Ei­chen­baum, Re­be­lo und Tra­bandt be­to­nen. Die drei Öko­no­men gehen davon aus, dass es immer einen Ge­gen­satz geben werde zwi­schen Pan­de­mie­be­kämp­fung und wirt­schaft­li­cher Ent­wick­lung. Der Ge­dan­ken­gang ist leicht nach­zu­voll­zie­hen. Kom­men immer mehr Men­schen aus Angst vor dem Virus immer sel­te­ner zu­sam­men, dann gibt es we­ni­ger In­fek­tio­nen. Doch zu­gleich schrumpft die Pro­duk­ti­on, und es sinkt die Nach­fra­ge nach Gü­tern.

Einen Kon­tra­punkt da­ge­gen setz­ten die drei Öko­no­men Cor­reia, Luck und Ver­ner in einer his­to­ri­schen, da­ten­ba­sier­ten Ana­ly­se. Sie bli­cken zu­rück auf die Spa­ni­sche Grip­pe, die von 1918 bis 1920 schät­zungs­wei­se zu mehr als 50 Mil­lio­nen To­des­fäl­len welt­weit führ­te. In den Ver­ei­nig­ten Staa­ten brei­te­te sich die Grip­pe grob ge­sagt von Ost nach West aus. Die Städ­te im Wes­ten sahen, was auf sie zukam, und re­agier­ten schnel­ler und ag­gres­si­ver mit Ge­schäfts­schlie­ßun­gen und so­zia­ler Di­stanz auf die Epi­de­mie. Im Ver­gleich der Städ­te zeigt sich, dass das schnel­le Ein­grei­fen gegen das Grip­pe­vi­rus die Wirt­schaft nicht stär­ker be­las­te­te. Im Ge­gen­teil zeig­ten die Städ­te, die sich der Epi­de­mie ent­schlos­sen ent­ge­gen­stell­ten, eine bes­se­re wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung nach dem Ende der Grip­pe­wel­le als die an­de­ren. Den Grund muss man wohl darin ver­mu­ten, dass ein schnel­les Ein­grei­fen we­ni­ger Men­schen­le­ben kos­te­te und so spä­ter eine schnel­le­re Wie­der­be­le­bung der Wirt­schaft er­mög­lich­te.

Die Spanische Grippe im Vergleich

Die Ana­ly­se lässt hof­fen, dass die heu­ti­gen dras­ti­schen Ein­grif­fe we­ni­ger schäd­li­che Ne­ben­wir­kun­gen auf die Wirt­schaft haben wer­den als be­fürch­tet. Doch mah­nen die Au­to­ren vor zu weit rei­chen­den Schlüs­sen. Die Spa­ni­sche Grip­pe ver­lief er­heb­lich töd­li­cher, als es die Ster­be­da­ten für das neue Co­ro­na­vi­rus an­zei­gen. Der ver­mu­te­te wirt­schaft­li­che Vor­teil einer um­fas­sen­den Kon­takt­sper­re schwin­det aber dahin, wenn das Virus ge­ra­de in den Jahr­gän­gen im ar­beits­fä­hi­gen Alter nicht oder nur wenig mit der Sense wütet.

Zu­gleich dürf­ten die wirt­schaft­li­chen Kos­ten der Ab­schot­tung heute unter an­de­rem wegen der glo­ba­len Lie­fer­ket­ten grö­ßer sein als zur Zeit der Spa­ni­schen Grip­pe. Frei­lich sind die Volks­wirt­schaf­ten heute stär­ker als da­mals von Dienst­leis­tun­gen ab­hän­gig, die auch über das In­ter­net aus der Ferne aus­ge­übt wer­den kön­nen. Das min­dert im Ver­gleich zu vor 100 Jah­ren die wirt­schaft­li­chen Kos­ten einer Pan­de­mie­be­kämp­fung durch so­zia­le Di­stanz. Alles in allem sind die Un­ter­schie­de zwi­schen Spa­ni­scher Grip­pe da­mals und Co­ro­na­vi­rus heute wohl zu groß, um die Er­geb­nis­se der his­to­ri­schen Ana­ly­se eins zu eins zu über­tra­gen.

Das Virus als politische Sperrklinke

Viele Öko­no­men fo­kus­sie­ren auf sol­che kurz- und mit­tel­fris­ti­gen Fol­gen der Pan­de­mie und der Ge­gen­maß­nah­men. Min­des­tens so wich­tig sind indes die lang­fris­ti­gen Fol­gen. Po­li­tik und Bü­ro­kra­tie in de­mo­kra­ti­schen Staa­ten haben noch keine Krise als Chan­ce aus­ge­las­sen, um ihren Ein­fluss auf das Leben der Bür­ger zu wei­ten. Der ame­ri­ka­ni­sche Öko­nom und His­to­ri­ker Ro­bert Higgs be­schrieb das vor mehr als drei­ßig Jah­ren in sei­ner Stu­die „Krise und Leviathan“ als Sperr­klin­ken­ef­fekt: Der Staat ge­winnt in der Krise Macht hinzu, die er da­nach nur noch zum Teil wie­der ab­gibt.

Diese Ge­fahr droht auch jetzt. Wenn Öf­fent­lich­keit und Bü­ro­kra­tie sich erst ein­mal an die schein­bar faire und effektive Pan­de­mie­be­wirt­schaf­tung von Ge­sichts­mas­ken, me­di­zi­ni­schem Gerät und viel­leicht gar Le­bens­mit­teln ge­wöhnt haben, wer­den sie dann nach der Krise wie­der der frei­en Markt­wirt­schaft Vor­rang geben? Wer­den Par­la­men­ta­ri­er dem Druck von In­ter­es­sen­grup­pen wi­der­ste­hen, wenn es nach der Krise darum geht, be­fris­te­te Fi­nanz­hil­fen wie­der zu­rück­zu­neh­men? Stem­men Po­li­ti­ker sich künf­tig gegen den Wunsch nach mehr Schul­den, wenn sie heute fis­ka­li­sche Hilfs­pa­ke­te der Son­der­klas­se ge­neh­mi­gen? Mit einem kla­ren und über­zeu­gen­den Ja lässt sich keine die­ser Fra­gen be­ant­wor­ten. Das ist bei allen schein­bar un­ab­ding­ba­ren Kri­sen­maß­nah­men zu be­den­ken.

Sperr­klin­ken­ef­fek­te sind auch ge­ge­ben, wenn die Krise miss­braucht wird, um an­hän­gi­ge Wün­sche be­stimm­ter Grup­pen nach einer in­sti­tu­tio­nel­len Neu­ord­nung durch­zu­set­zen. Braucht es wie be­haup­tet Eu­ro­an­lei­hen, damit Eu­ro­pa eine an­ge­mes­se­ne Ant­wort auf die Pan­de­mie geben kann? Na­tür­lich nicht. Stimm­te die Logik der Be­für­wor­ter, müss­te man für Welt­an­lei­hen, nicht aber für Eu­ro­an­lei­hen ein­tre­ten. Doch der Ruf nach der eu­ro­päi­schen So­li­da­ri­tät in der Krise ist mäch­tig. 

Der deut­sche Öko­nom Hans-Wer­ner Sinn hat vor­ge­schla­gen, dass Deutsch­land dem vom Co­ro­na­vi­rus schwer ge­trof­fe­nen Nach­bar­land Ita­li­en ein­fach und ohne Auf­la­gen 20 Mil­li­ar­den Euro spen­den solle. Das wäre ge­leb­te So­li­darität in Eu­ro­pa, ohne dass die Sperrklin­ke eines wei­te­ren Um­ver­tei­lungs­pro­gramms in den Fän­gen eu­ro­päi­scher Bü­ro­kra­ten droht.

 

Ser­gio Cor­reia, Ste­phan Luck und Emil Ver­ner (26.3.2020): Pan­de­mics De­press the Eco­no­my, Pu­blic Health In­ter­ventions Do Not: Evi­dence from the 1918 Flu.

Mar­tin Ei­chen­baum, Ser­gio Re­be­lo und Ma­thi­as Tra­bandt (2020): The Ma­cro­eco­no­mics of Epi­de­mics, www.nber.org/ papers/w26882.

Ro­bert Higgs (1987): Cri­sis and Le­via­than. Ox­ford Uni­ver­si­ty Press.

Dieser „Sonntagsökonom” erschien am 29. März in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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