Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

„Ich weiß, daß ich nichts weiß" – auf den Kopf gestellt

Der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt zeigt, daß Menschen mit zunehmendem Wissen oder Fähigkeiten selbstkritischer werden - und anders herum.

Der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt zeigt, daß Menschen mit zunehmendem Wissen oder Fähigkeiten selbstkritischer werden – und anders herum.

Ich habe viele wirklich außerordentlich kluge Freunde und Freundinnen. Interessanterweise sind einige der schlauesten Damen (die Herren seltener, gleichfalls bemerkenswert) meines Bekanntenkreises von manchmal enervierender Bescheidenheit: sie finden andauernd, daß sie allenfalls gute Arbeit machen. Sehr gut? Hervorragend gar? Nein, wirklich nicht. Wenn sie einen Erfolg erzielen, halten sie das eher für Glückssache, bestenfalls eine Kombination aus Glück und Fleiß, als für das Ergebnis ihrer intellektuellen Fähigkeiten und Arbeitsdisziplin.

Andererseits hatte ich im Grundstudium auch einen Kommilitonen, der felsenfest von seiner intellektuellen Überlegenheit überzeugt war und dies seinem Umfeld regelmäßig in aller Deutlichkeit mitteilte – bis er die Uni nach der Zwischenprüfung unfreiwillig verlassen musste (er hat inzwischen dennoch Karriere gemacht).

An dieser Feststellung könnte man jetzt eine ausführliche Debatte über geschlechtertypisches Verhalten von Frauen und Männern festmachen. Man kann sich aber auch fragen, ob intelligente Menschen wirklich bescheidener sind, und mäßig kluge Personen mit besonders ausgeprägtem Selbstbewußtsein gesegnet? Man kann das Problem auch auf andere Bereiche übertragen: kaum jemand hält seinen eigenen Computer für unzureichend gesichert gegen Viren, kaum jemand hält sich selbst für einen schlechten Autofahrer und nur die wenigsten Fastfood-Konsumenten sind sich der subjektiven, negativen Folgen dieser Diät bewußt. Sogar in emotionalen Dingen lügen wir uns die Realität offenbar zurecht: die meisten Menschen halten sich selbst für beliebter als der Durchschnitt, und ihre Beziehung für glücklicher als die Durchschnittsbeziehung.

Bild zu: „Ich weiß, daß ich nichts weiß" - auf den Kopf gestellt

Studien haben gezeigt, daß Menschen mit geringerem Intelligenzquotienten dazu tendieren, sich dieser Tatsache wenig bewußt zu sein. Vielmehr ordnen sich offenbar die meisten Menschen immer leicht oberhalb des Durchschnitts ein. Logisch unmöglich? Nein, es hängt davon ab, wie man den Durchschnitt definiert. Der gewöhnliche Durchschnitt nämlich kann prinzipiell stark von einigen wenigen Beobachtungen beeinflusst sein, sodaß sich tatsächlich deutlich mehr als 50 % einer Stichrpobe oberhalb des Durchschnitts befinden können – wenn diese vielleicht nur sehr knapp überdurchschnittlich sind, die unterdurchschnittlichen Beobachtungen hingegen sehr weit weg davon (also bezüglich der Intelligenz unendlich beschränkt). Nimmt man hingegen den Median – also jenen Wert, der in der Verteilung genau in der Mitte liegt, so daß per Definition die Hälfte der Beobachtungen darüber, die andere Hälfte darunter liegen muß – so stimmt die oben beschriebene Selbstüberschätzung immer noch – ist aber tatsächlich statistisch unmöglich.

Das Phänomen ist unter diversen Namen und in Ausprägungen bekannt. Mit Bezug auf den Intelligenzquotienten spricht man oft vom Downing-Effekt, generell fällt vieles unter das Schlagwort „illusory superiority” und eine besonders interessante Variante ist der „Dunning-Kruger-Effekt“. Die Psychologieprofessoren Justin Kruger und David Dunning führten 1999 eine Reihe von Experimenten zur systematischen Selbstüberschätzung mit ihren Studenten durch.

In einer Reihe von Tests sollten die Studenten verschiedene Aufgaben lösen (u.a. Witze nach ihrem Humorgehalt bewerten, Logikaufgaben und Grammatikaufgaben lösen) und sich danach im Vergleich zum Durchschnitt einordnen – wohlgemerkt in Perzentilen einordnen, also entscheiden ob sie zum Beispiel gleichermaßen besser und schlechter als jeweils die Hälfte der Teilnehmer (anderer Studenten) waren, oder sogar besser als 70% der übrigen Teilnehmer usw.

Bild zu: „Ich weiß, daß ich nichts weiß" - auf den Kopf gestellt

Bemerkenswerterweise schrieb sich offenbar kaum ein Student jemals unterdurchschnittliche Leistungen zu – selbst die schlechtesten 10 % sortierten sich selbst deutlich oberhalb des 50. Perzentils ein. Das könnte man nun für einen zu erwartenden Mechanismus halten, schließlich können sich die unteren 10% eigentlich nur noch nach oben verschätzen (unter ihnen kommt ja nichts mehr). Auffallend war jedoch, daß sich die untersten 10-20 % regelmäßig um 50 oder mehr Perzentile nach oben verschätzten. Die obersten 10 % hingegen schätzten regelmäßig ihre eigenen Leistungen ein wenig schlechter ein.

Der Effekt war so überdeutlich, daß die Autoren dem weiter nachgegangen sind, um die Mechanismen tiefer zu untersuchen. Vermutlich, so ihre Überlegungen, sind die für die erfolgreiche Aufgabenlösung notwendigen Fähigkeiten dieselben, die Individuen auch befähigen, andere und sich selbst in Relation zueinander einzuschätzen – und wem das eine abgeht, der kann kaum das andere leisten. Also ließen sie danach die besten und schlechtesten 25 % der Teilnehmer Einsicht in die durchschnittliche Leistung nehmen und baten dann erneut um eine Selbsteinschätzung. Die Top 25 % korrigierten ihre Selbsteinschätzung nach oben, und realisierten, daß sie im Vergleich zum Durchschnitt mutmaßlich besser abgeschnitten hatten – nicht so die unteren 25 %.

Um abschließend zu testen, ob die grundlegende Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Aufgabenlösung wirklich relevant sei, wurde in einer letzten Testreihe nach abgelegtem Vortest ein Teil der Probanden in den Aufgaben geschult – und das half tatsächlich. In der Gruppe der Teilnehmer mit Training nämlich korrigierten die schlechtesten 25 % ihre Werte tatsächlich nach unten. Sie wurden also realistischer. Der gleiche Effekt – Annäherung an die wahren Werte – stellte sich übrigens für die Top 25 % ein: Nach dem Training korrigierten sie ihre Selbsteinschätzung nach oben.

Bild zu: „Ich weiß, daß ich nichts weiß" - auf den Kopf gestellt

Warum das so ist, bleibt weitgehend Mutmaßung, denn wie so oft sagen Experimente wenig über die Wirkungskanäle aus. Es bestätigt jedenfalls die These, daß viele schöne Fähigkeiten, darunter auch die Intelligenz, in der Welt sehr gerecht verteilt sind: fast alle Menschen meinen, genug davon zu haben. Davon abgesehen finde ich, ehrlich gesagt, daß die Natur das durchaus schlau eingerichtet hat: wie deprimierend wäre es, durchs Leben zu gehen in dem vollen Bewußtsein, strohdoof, völlig unbeliebt oder komplett ungebildet zu sein?

Nichts von alledem kann den unteren 50 % der Verteilung im Regelfall passieren – gerade jene, die am ehesten Grund dazu hätten, werden ihre Defizite vermutlich nur selten realisieren. Während jene, die ihre Fähigkeiten des Öfteren in Frage stellen, sich weniger Sorgen machen müssen und vermutlich regelmäßig die Bestätigung ihres Könnens über andere Kanäle erhalten. Das ist irgendwie geradezu sozialistisch von der Natur: jeder bekommt das Selbstwertgefühl, das er braucht. Wie so oft in diesem Forschungsbereich gibt es jedoch keine physiologischen Erklärungen, warum wir ticken wie wir ticken. Trotz Computertomographen und anderer moderner Maschinen sind wir bei solchen Fragen darauf beschränkt, Mechanismen zu beobachten und zu beschreiben – erklären können wir wenig.

Daß die beiden Autoren für diese Erkenntnis den IgNobelpreis bekommen haben, finde ich übrigens weniger gerecht: erklärt ihre Forschung doch nicht zuletzt manchen Mechanismus in Beruf und Alltag. Und alle, die ihren Computer für optimal gegen Angriffe geschützt halten, sollten vielleicht doch noch mal einen PC-Experten konsultieren.