Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Ihr Konto ist sicher, und Haie können fliegen.

Wie Sie vielleicht gelesen haben, liegt Hamburg in meiner Vorstellung in einer eisigen Tundra nahe des Polarkreises. Derartig mit echt bayerischen Geographiekenntnissen ausgerüstet, habe ich den Polarexpress am Hauptbahnhof verlassen, statt eine Station weiter zum Dammtor zu fahren, wo mein Arktishotel und das Kongresszentrum liegen, und wo der Kongress des Chaos Computer Clubs stattfindet. Meinen Fehler habe ich beim Überqueren eines Gletscherausflusses namens „Binnenalster“ verstanden. Ausserdem konnte ich keinen einzigen Eisbären erlegen, dessen Fell eine schöne Ergänzung für meine Liegenschaft in den bayerischen Bergen gewesen wäre – aber egal. Ich sah statt dessen drei Junkies im Eingang eines grossen Warenhauses. Sie waren in ihren Schlafsäcken ganz hinten windgeschützt vor den verschlossenen Toren, und ganz vorne standen die Pappbecher für die Münzen der Passanten. Die Bedürftigen achteten nicht darauf, sondern beschäftigten sich mit ihren Mobiltelefonen.

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Ich werde vermutlich mal so ein altmodischer Landstreicher wie jener an der zugigen Binnenalster, der Leute noch analog anspricht und Hunde streichelt. Es wird ja oft über die digitale Kluft in unserer Gesellschaft gesprochen – vor dem Kaufhaus wird sie radikal ausgelebt. Digital Natives überbieten sich in Verzicht, sie brauchen keine Küche mehr, keine Bücher, keine Stereoanlagen, und Rasierapparate werden rituell verbrannt. Büros werden zu öffentlichen Coworking-Spaces und alles, was das Leben ausmacht, wird auf der mobilen Device getan, während das ganze Leben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und Erwartung des nächsten Kicks ist. Die Digitalkultur ist eine grosse Absage an Klassen, Regeln, Besitz und Herkunft, für das Recht auf Rausch und gegen den Zwang zur Erwerbsarbeit, eine totale Absage an die überkommenen Regeln der Gesellschaft, wie mir manche Hipster mitteilen.

Und sollte ich so dreist sein, die drei Junkies mit ihren Mobiltelefonen als gelungene Umsetzung dieser standes- und besitzfeindlichen Vorstellungswelt zu preisen, und gar erwähnen, dass sie im Verdrängungswettbewerb mit dem analog fahrenden Volk fraglos die Zukunft sind, würden sie mir vermutlich etwas über das bedingungslose Grundeinkommen in Finnland und die Legalisierung von Drogen erzählen. Dabei sind die Leute mit ihren Schlafsäcken im geschützten Eingang möglicherweise von ihnen nur einen Klick entfernt, wenn sie im Netz leben. Es ist die digitale Gesellschaft mit Internetteilhabe für jeden – nur ich bin so altmodisch, mit offenen Augen durch die Strassen zu gehen und Internet-lucet-omnibus-Veränderungen zu erkennen, die andere mit Dauerblick auf ihr Handy gleichzeitig ignorieren und leben. Dabei ist die totale digitale Durchdringung auch solcher Lebensbereiche das Kommende. Ich bin alt – und werde, zugegeben, für das Ausformulieren solcher zynischer spannender Digitalthemen von der FAZ besser als von jungen Leuten belohnt – und halte am zweiten Tag des Kongresses lieber das Schandmaul den Mund und schaue mir brav weiter Vorträge an.

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Das sagt Netzpolitik.org in einem umjubelten Heimspiel als eine der Konsequenzen aus dem Landesverrat-Skandal. Es ist der Rückblick auf einen grossen Sieg gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner, den ein kleines Blog mit dem Rückhalt von Tausenden, Zehntausenden gewonnen hat. Endlich wurde einmal wieder über Netzpolitik bundesweit gesprochen, endlich konnte die Szene ihre Forderungen an ein grösseres Publikum bringen: Whistleblowerschutz. Presserechte für Blogger. Begrenzung der Überwachung. Sicherheit vor Ausspähung. Stets kommt der Jubel von tausenden begeisterten Zuhörern. Das ist es, was die Leute auf dem Kongress hören wollen, das sind tatsächlich vernünftige Forderungen von den Stars der Szene. Tausende sind hier, aber Millionen schalten am Abend bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ein. Im ZDF läuft dann ein Krimi, in dem es unter anderem darum geht, dass Nazis für ihre Massenmordpläne die gleiche Verschlüsselungssoftware wie die islamischen Extremisten benutzen sollen, und sich über das Internet und Blogs radikalisieren.

Über derartig platte Schuldzuweisungen kann man in Frankreich nicht mehr lachen. In ihrem Überblick zum Niedergang der Zivilgesellschaft in einem Land, in dem der Ausnahmezustand herrscht, berichteten französische Aktivisten über die Anti-Terror-Gesetze, mit denen der Staat auf eine kleine, klar definierte Gruppe von Terroristen reagiert: Verfolgt werden können auch jene, die die Planung solcher Anschläge oder die Kommunikation von Extremisten ermöglichen. Es sind Gesetze, wie sie sog. Sicherheitspolitiker und Geheimdienstler lieben: Schwammig, unpräzise und offen für weitreichende Interpretation gegen alle. In Frankreich kommt dazu noch das Problem, dass die Regierung die Gewaltenteilung umgeht, und als ihr eigener Kontrolleur agieren kann. In diesem Fall sind dann die Kryptographie und ihre Entwickler betroffen: Sie rücken zunehmend in den Fokus der Überwachung. Dass die Attentäter von Paris ihre Kommunikation vor den Anschlägen ganz offen und unverschlüsselt über normale Handies abwickelten, spielt da keine Rolle – weder bei den Politikern in Frankreich noch bei denen, die mit Gebührengeldern finanziert klandestine Propaganda in deutschen Wohnzimmern betreiben.

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Geradezu bescheiden und primitiv nehmen sich dagegen die Versuche des Regimes im Iran aus, seine Bürger dumm und unmündig zu halten. Als nur fast lupenreine Demokratie kann das Ministerium für Information, Computer und Technologie in Zusammenarbeit mit einem Gremium der Revolutionswächter freihändig entscheiden, welche Informationen über das „Filternet“ ins Land gelangen dürfen. Mahsa Alimardani von den Global Voices Iran hat sich vier Jahre lang wissenschaftlich mit den Methoden des Landes auseinander gesetzt und berichtete im restlos überfüllten und leider viel zu kleinen Saal eindringlich über den Stand der Dinge in einem Land, in dem die Fähigkeit zur Internetregulierung zum Glück noch schwächer als der Wille zur Repression ist. Zwar interessieren sich die gottgläubigen Mullahs für Zensursoftware aus dem gottlos-atheistischen China. Momentan wird aber vor allem versucht, den Menschen nahe zu legen, doch lieber Dienste zu nutzen, die der Regierung passen, teilweise in ihrem Auftrag entwickelt wurden, und entsprechend halal sind. Ausländische Chatsoftwareanbieter haben mit staatlich gelenkter Propaganda wie beim ZDF zu kämpfen, wenn etwa behauptet wird, ein grosser Teil der Daten werde von ihnen auf iranischen und damit kontrollierbaren Servern gespeichert. Dass die Angst der Iraner vor der Internetkontrolle nicht sonderlich gross ist, führt Alimardani auf den Umstand zurück, dass die eigentliche Gefahren für Blogger und Regimegegner immer noch ganz real die Verhaftung und staatliche Unterdrückung an Leib und Leben sind.

Es sind derartige Blicke über den Tellerrand, die mit dem eigenen Land versöhnen, in dem ungestraft vor Tausenden gezeigt werden kann, wie man die mobile Überweisungstechnik der Sparkassen hacken kann. Vincent Haupert aus Erlangen hatte erkennbaren Spass daran zu erklären, dass die gleich wertlos werdenden Apps bis vor zwei Stunden noch auf dem Stand gewesen sind, den er hier vorführt. Danach sieht das Publikum, wie ein einziger, junger Mann mit ein paar Überlegungen zur Sicherheitsstruktur in der Lage ist, die Vorkehrungen eines Milliarden schweren Bankenverbandes auszuhebeln. Haupert geisselt damit die Bequemlichkeit der Nutzer, alles mobil mit einem einzigen Endgerät machen zu wollen, und die fehlende Kompetenz der Banken, die mit ihrer Software zu schlampig umgehen und nicht weit genug denken. Sein Fazit: Apps für Überweisung und zur Bestätigung mit TAN-Nummern, die sich auf einem einzigen Gerät befinden, seien einfach nicht sicher. Das sei ein Katz-und-Maus-Spiel, das die Banken nicht gewinnen könnten.

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Draussen vor dem Saal schwimmt ein schwarzer Hai durch die Luft und stupst Leute an. Es kann sein, dass es in Hamburg vielleicht doch keine Eisbären gibt, und Haie können vermutlich nicht fliegen – aber der hier kann es, und ist eigentlich auch ein sehr schönes, bildhaftes Symbol für den Kongress. Man glaubt an Sicherheit, wenn sie einem doch von Banken und Politikern versprochen und beworben ist, und man glaubt nicht, dass Haie in der Luft schwimmen können. Das ist die Realität, in der man zu leben glaubt, bis dann eben ein Hai fliegt, eine Überweisung zu falschen Empfängern geht, ein Terrorist den Behörden wohlbekannt, aber nicht ausreichend überwacht ist. Der Kongress ist da noch die freundlichste Form der Realitätsdurchbrechung, während in den Massenmedien behauptet wird, Kryptographie in Privathand nutze nur dem Terror, das mobile Leben sei bequem und sicher, und Haie könnten nicht in Luft schwimmen.