Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Kampf um Rom und andere Niederlagen der Etablierten

Das nächste grosse Duell zwischen Populisten und Establishment steht Europa bevor: Am Sonntag sind Kommunalwahlen in Italien, und in Rom könnte es eine Sensation geben. Nachdem sowohl Konservative als auch Sozialdemokraten nacheinander ihre Bürgermeister verschlissen haben, und zudem noch eine mafiöse Strutur in der Stadtverwaltung bekannt wurde, gilt die 37-jährige Anwältin Virginia Raggi als Favoritin. Raggi hat einen eigenen Hashtag, #coRAGGIo, eine eigene, aggressive Kampagne, und eine Bewegung hinter sich, die bei sozialen Fragen linkspopulistisch und bei der Migration rechtspopulistisch ist. Movimento 5 Stelle, kurz M5S, oder nach dem Chef der Bewegung Beppe Grillo “Grillini“.

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Nach deutscher, lauwarmer Vorstellung von Politik wäre M5S gleichermassen rechts- und linksextrem, rassistisch, sozialnationalistisch, europafeindlich, undemokratisch, und von einem fragwürdigen Führerkult geprägt. Beppe Grillo nennt Migranten ungeniert “das schwarze Gold der Mafia”, aber das scheint die römischen Wähler nicht mehr zu verschrecken. Rom leidet zu lange schon an Korruption und Missmanagement, als das ein paar linke und italozentrische Sprüche im Vergleich zum bislang alternativlosen “Weiter so“ der Etablieren abschreckend wirken könnten. Raggi verspricht mehr Staat, bessere Schulen, härteres Vorgehen gegen Alltagskriminalität, und mehr Einnahmen – durch Steuern auf Immobilienvermögen, die nun auch gefälligst der Vatikan zu bezahlen habe. Es ist, gelinde gesagt, mutig, sich in Italien oder gar Rom mit der katholischen Kirche anzulegen, aber Raggi ist von der M5S, und rücksichtsloser Populismus ist kein Ausrutscher, sondern der Kern der Bewegung.

Raggi profitiert bei ihrer aggressiven und durchaus schlau gemachten Kampagne von den Erfahrungen des ehemaligen Chefideologen Gianroberto Casaleggio, der im April verstorben ist. Casaleggio gilt als Konstrukteur und Mastermind hinter den Grillini. Als erfolgreicher Internetunternehmer warf er seinen gut bezahlten Chefposten bei einer grossen Beratungsfirma hin, gründete seine eigene Kommunikationsfirma und schlug dem Satiriker Beppe Grillo 2005 vor, seine politischen Vorstellungen via Blog an die italienische Bevölkerung heranzutragen. Grillo und Casaleggio waren für ihren Führungsstil umstritten, aber keine der neuen politischen Bewegungen in Europa – und erst recht keine Altpartei – nutzte das Internet so effektiv wie M5S. Grillo ist für seine extravaganten Auftritte in den Medien gefürchtet und mit seiner brachialen Art das absolute Gegenteil des Politikertypus von Angela Merkel: Jetzt wollen sie Rom nehmen, und bei den nächsten landesweiten Wahlen so stark werden, dass gegen die Grillini nicht regiert werden kann.

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Auf der anderen Seite steht die runderneuerte Lega Nord unter dem nicht weniger populistischen Matteo Salvini, und für Rom wird berichtet, dass die extreme Rechte bei einer Stichwahl auch für Vaggi stimmen könnte, solange es nur den Etablierten schadet. Grillo und Salvini erscheinen, wenn sie freundlich aufgelegt und entspannt sind und gut gegessen haben, wie wenn Beatrix von Storch mal wieder auf der Maus ausrutscht: Wo sich die AfD noch wortreich entschuldigt, wird italienischer Wahlkampf erst langsam warm. In Italien herrscht immer noch Wirtschaftskrise, die bisherigen Volksparteien teilen in einer grossen Koalition die Pfründe weiterhin unter sich auf. Extremistische und völlig enthemmte Töne in Blogs und bei Facebook gegen das Establishment, gegen die EU, gegen den Euro, gegen illegale Migranten – und zwar von links und rechts – haben dagegen ihren Schrecken verloren. Im Hintergrund wütet Grilli, im Vordergrund diskutiert Raggi auf dem Wochenmarkt. Die Strategie ist durchanalysiert, von den Medien besprochen und bekannt: Es ist egal. M5S und Lega Nord sind ihr eigenes Medium, Matteo Salvini hat gerade sein neues Buch herausgebracht, und schon der erste Satz rechnet mit „politici tradizionali dei matusalemme“ ab: Ein veritabler Bestseller in Italien.

Das ist ein Verhalten, das den Volksparteien in Deutschland seit Wehner, Strauss, Schmidt und dem jungen Joschka Fischer völlig verloren gegangen ist. Spätestens seit dem Ende der Regierung Schröder sind die Wortmeldungen von Politikern vollkommen austauschbar, und die Art und Weise, wie Abweichler dieser Sprachregeln durch die Medien gepeitscht werden, lässt auch keine Änderung erwarten. In gewisser Weise kann ich das verstehen: Im Internet gibt es kein Vergessen. Vor 20 Jahren wäre es unmöglich gewesen, Verbindungen zwischen Rosa-Luxemburg-Stiftung und den Linksradikalen, aus deren Umfeld Sahra Wagenknecht mit einer Torte beworfen wurde, zu durchleuchten. Heute steht das alles im Netz, man muss nur wissen, was man sucht, um daraus die passenden Stricke für dreckige Antifahälse zu drehen ( ← was man natürlich als Journalist auch nicht schreiben sollte, professionelle Gesinnungsschnüffler mit Ex-Stasi-IM- und Crystal-Meth-Nutzer-Verbindung sehen da weniger Wortspielerei denn Mordaufrufe, so läuft das Spiel der Erregung heute nun mal. Ausserdem darf man nicht dreckig sagen, sondern besser nichtnormhygienisch, wie scheusslich heute ja auch nichtnormschön heisst).

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Wo war ich… ach so. Ja. Also, in so einem Klima ist es kein Wunder, wenn diejenigen, die im traditionellen System von Politik. Medien und Wahlvolk agieren, nur noch das sagen, was keinen verschreckt, und nicht mehr das, was sich früher mehr oder weniger versendet hat. Einem Adenauer konnte es wirklich egal sein, was er vor einem Jahr gesagt hat – der normale Wähler konnte nicht nachschauen. Heute kleben Politikern alte Einlassungen wie Kaugummis am Schuh, und alles, was sie sagen, kann aus dem Kontext gerissen und gegen sie verwendet werden. Im Internet verbreitet sich das, wenn man es richtig aufbaut, so schnell, dass eine effektive Gegenwehr kaum möglich ist. Wir lauern nur drauf. Ich merke das an mir selbst und der Art, wie ich Screenshots anfertige: Die Dummheit von heute ist der Fallstrick von morgen. Man bekommt diese Dummheiten heute von allen frei Haus, die Aufmerksamkeitsgeilheit treibt sie dazu. Oder sie tauchen ab: Standpunkte zur Strafbarkeit von Pädophilie, die von der aktuellen Gesetzeslage abweichen, gibt es sicher auch heute noch. Aber wer sie im Netz öffentlich vorträgt, wird damit zeitlebens in Verbindung gebracht.

Vielleicht gehen Politiker von SPD und CDU/CSU auch so bedenkenlos mit der Totalkontrolle der Bürger um, weil sie es selbst genau so erleben: Ich habe phantastische Mittel, sie zu verfolgen, und sie halten das Profil (ausser Erika Steinbach) so niedrig, wie es eben geht. Und das wiederum bietet dann den Populisten die grosse Bühne. Zum einem, weil sie mit dem inhaltslosen, niemanden verschreckenden Gewäsch der Mitte nichts erreichen würden. Zum anderen, weil sie überall in Europa – ausser in Deutschland auf der rechten Seite – begriffen haben, dass es letztlich kaum schadet. So, wie gewaltbefürwortende und antisemitische Feministinnen im Umfeld mittelinker Parteien auftreten dürfen und eine “ideelles Gesamtschwein“-schreibende Gruppierung Micha Brumlik im Literaturhaus Berlin präsentiert, so haben andere Populisten auch erkannt, dass mediale Empörung und öffentliche Rezeption zwei sehr unterschiedliche Dinge sein können. Wo ein Gauland noch zu Kreuze kriecht, würde ein Strache noch einen Subsaharawitz hinterher schicken und sagen, die anderen haben halt keinen Humor.

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Salvini, Haider, Grillo, Strache, Gauweiler, Mussolini, Orban, Trump, Strauss, Varoufakis: Sie alle sind oder waren extrem unangenehme Gegner. Sie sind nicht dort, wo sie sind, weil sie das Böse sind, sondern weil sie ein Talent für ihre Art der Politik haben, das meines Erachtens den Storchs, Paus, Kippings, Göring-Eckardts, Trittins, Gaulands und Petrys deutscher Scheinalternativparteien völlig fehlt. Das Geschäft mit dem Populismus fegt die Unfähigen und Unsicheren so lange weg, bis welche kommen, die es können, und die dann auch flexibel und prinzipienlos genug sind, wenn es um die Macht geht. Salvini und Grillo begannen beide ganz links und treiben die italienische Politik vor sich her, Casaleggio träumte von einer Internetdemokratie ohne Parteien, Trump setzte sich gegen seine eigene Partei durch und Varoufakis versucht es mit einer paneuropäischen Bewegung, während Orban osteuropäische Koalitionen knüpft. Das alles passiert hinter der populistischen Fassade, über die sich so leicht reden lässt, und mit der das Mediengeschäft seine Schlachten um die richtige Sichtweise gewinnt, um dann den Krieg zu verlieren. Das Netz ist der Trog mit den vergifteten Perlen, der Leuten wie mir hingestellt wird. Wir arbeiten uns daran ab, weil es so schön plakativ ist. Alle sehen den ruppigen Beppe Grillo, der stille Casaleggio blieb im Hintergrund und war immer einen Schritt voraus.

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Solche strategischen Genies hat die AfD nicht. Aber sie braucht das auch nicht, wenn die Generalsekretärin der SPD so eine Unterstellung an die Adresse ihrer Kernwählerschaft ins Netz schreibt, eine Hamburger Grüne Moscheen in jedem Stadtteil fordert, und Merkels Menschenrechtspartner Erdogan Geburtenkontrolle als Betrug am türkischen Volk bezeichnet.