“Excess demand does not cause growth.”
Vítor Gaspar
Portugals Finanzminister Vítor Gaspar*) hat am Mittwoch am Center for Financial Studies an der Goethe-Universität in Frankfurt über die wirtschaftliche Lage seines Landes referiert. Wir fassen den Vortrag zusammen, in dem Gaspar vier verschiedene Phasen unterschied.
1. Bis 2008: Verfestigung erheblicher Ungleichgewichte und struktureller Probleme
Die langjährigen Fehlentwicklungen – ablesbar an hohen Defiziten in der Leistungsbilanz und im Staatshaushalt sowie Verluste von Wettbewerbsfähigkeit bei anämischem Wirtschaftswachstum – wurden ausführlich im ersten Teil unserer Reihe “Lissaboner Langlauf” vorgestellt und werden daher hier nicht noch einmal detailliert behandelt. Erwähnenswert ist die große Bedeutung, die Gaspar den günstigen Finanzierungsbedingungen nach dem Eintritt Portugals in die Währungsunion beimisst. Sie hätten zu hoher Kreditaufnahme bei Staat und Privatpersonen geführt und die Wettbewerbsfähigkeit beschädigt, indem der nicht im internationalen Wettbewerb stehende Teil von Staat und Wirtschaft von dem Boom besonders profitiert habe. Gaspar wörtlich: “Excess demand does not cause growth.”
2. Von 2009 bis 2011: Politische Urteilsfehler – die gesamtwirtschaftliche Nachfrage war nicht das Problem
Nach dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise im Jahre 2008 unterlief der damaligen portugiesischen Regierung nach Ansicht Gaspars der Fehler, in erster Linie in Problem der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu diagnostizieren und dies mit expansiver Finanzpolitik bekämpfen zu wollen. Dabei nahm die damalige Regierung in ihrem Ausblick an, das Defizit in der Leistungsbilanz von rund 10 Prozent des BIP im Jahr und die steigende staatliche Neuverschuldung ließen sich einfach immer weiter finanzieren. Nach dem Hilfsprogramm für Griechenland im Frühjahr 2010 verschlechterte sich jedoch der Zugang Portugals zu den internationalen Finanzmärkten. Die Renditen für Staatsanleihen stiegen und im Frühjahr 2011 sah sich Lissabon gezwungen, selbst ein Hilfsprogramm beim IWF und den europäischen Partnern über 78 Milliarden Euro zu beantragen, von dem 12 Milliarden Euro für die Stärkung der Banken vorgesehen waren. Portugal befand sich am Rande der Zahlungsunfähigkeit.
3. Von 2011 bis 2014: In der Transformation
Mit dem im Frühjahr 2011 vereinbarten und bis Sommer 2014 laufenden Hilfsprogramm verbinden sich drei Ziele:
– eine fiskalpolitische Konsolidierung
– ein Schuldenabbau in Verbindung mit Finanzstabilität
– Strukturreformen zur Gewinnung nachhaltigen Wachstumspotentials
Von den vereinbarten Hilfsgeldern wurden bisher 81 Prozent ausgeschüttet (einschließlich Zahlungen im Februar 2013). Die Anpassungsprogramme befinden sich nach Ansicht der Troika “broadly on track”.
Die Staatsausgaben wurden zurückgeführt von 88,5 Milliarden Euro (2010) über 84,4 Milliarden Euro (2011) auf 75,8 Milliarden Euro (2012). Weitere Ausgabenkürzungen über 4 Milliarden Euro sollen bis 2014 realisiert werden. Unter anderem wurden die Bezüge der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um mehr als 10 Prozent gekürzt. **)
Deutliche Verbesserungen sind auch im Außenhandel zu sehen. In den ersten elf Monaten 2012 sind die Ausfuhren von Gütern um 6,5 Prozent gestiegen – nach Branchen lieferten Treibstoffe und Öle (2,0 Prozent), der Maschinenbau (1,5 Prozent), Erze und Metalle (1,3 Prozent) sowie die Landwirtschaft und die chemische Industrie (jeweils 0,8 Prozent) die wichtigsten Wachstumsbeiträge. Mit 22 Prozent legten die Ausfuhren außerhalb Europas besonders stark zu.
Die Konjunktur wurde von dem Sparkurs allerdings schwer getroffen – einem drastischen Rückgang der Binnennachfrage stand ein deutlicher, aber nicht ausreichender Wachstumsbeitrag der Außenwirtschaft entgegen.
2011 fiel das BIP um 1,7 Prozent. Die Binnennachfrage sank um rund 6 Prozent, der Außenbeitrag betrug rund 4 Prozent.
2012 fiel das BIP um 3,0 Prozent. Die Binnennachfrage sank um rund 7 Prozent, der Außenbeitrag betrug rund 4 Prozent.
2013 soll das BIP um 1,o Prozent fallen, um ab 2014 wieder zu steigen – bei gering positivem Wachstum der Binnennachfrage und leicht positivem Außenbeitrag.
Mit dem Ende des großzügigen Zuflusses billigen Geldes und den Kürzungen im öffentlichen Dienst gewinnen wieder die im internationalen Wettbewerb stehenden Branchen an Bedeutung. Man sieht dies auch in der Entwicklung der Lohnstückkosten, wo sich Portugal dem europäischen Durchschnitt annähert.
Portugal testet seit einiger Zeit den Zugang zu längerfristigen Finanzierungen am Kapitalmarkt. Im Frühjahr 2012 wurden für 1,2 Milliarden Euro Papiere mit einer Laufzeit von 18 Monaten plaziert. Im Oktober 2012 tauschten die Besitzer einer Anleihe mit Fälligkeit September 2013 ihre Papiere in eine neue Fälligkeit Oktober 2015 um. Das Volumen betrugt 3,8 Milliarden Euro.
Im Januar 2013 stockte das Finanzministerium in Lissabon eine Anleihe mit einer Restlaufzeit von knapp 5 Jahren mit 2,5 Milliarden Euro auf – es gab Gebote über 12 Milliarden Euro. Die Rendite von rund 5 Prozent bezeichnete Gaspar als akzeptabel im Sinne einer langfristig nachhaltigen Staatsfinanzierung. Man werde den Markt auch weiterhin in Anspruch nehmen, wenn sich günstige Möglichkeiten böten, obgleich kein unmittelbarer Finanzierungsbedarf bestehe. Diese geschehe, um als Staat voranzugehen und damit auch portugiesischen Banken und Unternehmen wieder leichter Finanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt zu verschaffen. Dies liege auch im Interesse der kleineren Unternehmen und damit der Konjunkturentwicklung, sagte Gaspar.
Gaspar verwies auf Privatisierungen als “Flaggschiffe der Strukturreformen”. Portugal hat in den vergangenen 14 Monaten Staatsbeteiligungen an Energieunternehmen und Flughäfen verkauft und dabei höhere Erlöse erzielt als im Sanierungsplan vorgesehen. Der Verkauf von Staatsbeteiligungen soll sich im laufenden Jahr fortsetzen.
4. Nach 2014: In eine bessere Zukunft – hoffentlich
Gaspar sieht gute Chancen, dass Portugal ab 2014 wieder Wirtschaftswachstum erzielt und als Ergebnis von Strukturreformen Attraktivität für ausländische Investitionen gewinnt. Angesichts der sehr hohen Tilgungen in den Jahren 2014 bis 2016 (und dann später noch einmal vor allem in 2021) aus alten Anleihen und Krediten aus dem Sanierungsprogramm strebt Lissabon dennoch eine Streckung der Tilgungszahlungen für die Gelder des IWF und der europäischen Partner an. Darüber ist noch nicht entschieden.
Gaspar betonte auch, dass Portugal als kleines Land besonders stark abhängig sei von einem stabilen politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Aus seiner Sicht ist die Krise in Europa keineswegs beendet, aber er sieht deutliche Fortschritte durch die letztjährige Ankündigung der EZB, bei Bedarf Staatsanleihen zu kaufen, und die Ankündigung der Gründung einer Bankenunion. Damit sei aus der Sicht der internationalen Investoren das Risiko eines Auseinanderbrechens der Währungsunion deutlich gesunken. Gaspar betonte, dass die portugiesischen Banken recht stabil seien und keine Hilfen durch den ESM benötigten. Ob die EZB im Rahmen von Anleihekäufen auch bereit sei, portugiesische Titel zu kaufen, müsse man Mario Draghi fragen. ***)
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Der erste Teil unserer kleinen Portugal-Reihe ist bereits erschienen:
Lissaboner Langlauf (1): Portugals Probleme reichen weit zurück – aber die Märkte zeigen Optimismus
Auch der dritte Teil ist nun da:
Lissaboner Langlauf (3) befasst sich vor allem mit Strukturreformen und Privatisierung
Außerdem haben wir vor nicht allzu langer Zeit einen Zweiteiler über Spanien in FAZIT gebracht:
Das spanische Paradoxon (1): Warum steigen die Exporte, obwohl die Wirtschaft (angeblich) nicht wettbewerbsfähig ist?
Das spanische Paradoxon (2): Spanien muss sich aus der Krise exportieren
*) In Frankfurt wurde Gaspar von Gastgeber Otmar Issing nicht nur als aktueller Finanzminister Portugals begrüßt, sondern auch als ehemaliger Mitarbeiter. Der im Jahre 1960 geborene Portugiese ist promovierter Ökonom und hatte unter Issing als Generaldirektor für ökonomische Forschung bei der EZB gearbeitet. Im Jahre 2011 trat der parteilose Gaspar in die neue bürgerliche Regierung Portugals unter Ministerpräsident Pedros Passos Coelho ein.
**) Es sei nicht verschwiegen, dass der Gouverneur der Bank von Portugal, Carlos da Silva Costa, gerade erst in diesen Tagen die Regierung aufgefordert hat, zur Haushaltskonsolidierung noch stärker auf Ausgabenkürzung und weniger auf Steuererhöhungen zu setzen. (Die Rede ist vorerst nur in portugiesischer Sprache erhältlich.)
***) Viele Teilnehmer an den Kapitalmärkten anerkennen die Fortschritte in Portugal, aber nach wie vor ist die Ansicht verbreitet, dass Lissabon weitere Hilfen brauchen dürfte. Ob die von der Regierung gewünschten Tilgungsstreckungen ausreichen, ob die EZB in den kommenden Jahren Anleihen kaufen sollte oder ob eventuell noch andere Maßnahmen notwendig sein werden, ist Gegenstand der Diskussion und gegenwärtig nicht klar erkennbar.