Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Lissaboner Langlauf (4): Wie Kapitalzuflüsse schaden können

Normalerweise helfen Kapitalzuflüsse aus dem Ausland ärmeren Ländern in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Institutionelle Schwächen des Finanzsystems und eine falsche Politik können allerdings das Gegenteil bewirken - wie der Ökonom Ricardo Reis anhand der jüngeren Geschichte Portugals schildert.

“Portugal did not have a housing boom like Spain and Ireland, nor as rampant an increase in public debt as Greece, nor does it have Italian political instability. Yet, since 2010, all five countries have been in a similar crisis. Because Portugal was one of the first countries where symptoms were identied, it is a good place to look for cues on what is behind the crisis.”
Ricardo Reis

 

Wir fassen eine dieser Tage im Rahmen einer Konferenz der Washingtoner Brookings Institution vorgestellte Arbeit des aus Portugal stammenden und seit Jahren an amerikanischen Universitäten lehrenden Ökonomen Ricardo Reis in Thesen zusammen:

1. Die üblichen, auch in den bisherigen Beiträgen unserer Portugal-Reihe erwähnten Schwächen – vergleichsweise niedriger Stand von Bildung und Ausbildung, niedrige Produktivität, ausufernde Staatstätigkeit, ineffizientes Rechtssystem, rigide Arbeitsmärkte und Schwäche im internationalen Wettbewerb – existieren durchaus. Sie erklären aber nicht vollständig die enttäuschende wirtschaftliche Entwicklung Portugals seit dem Jahr 2000. Hierzu bedarf es einer weiteren Geschichte.

2. Diese alternative Geschichte handelt von zwei Schocks und zwei Umständen (“circumstances”): “The first shock was the large capital flows with the integration of capital markets that followed the euro, and the circumstance was the under-developed Portuguese financial market. The capital flows were mis-allocated, leading to an expansion in unproductive non-tradable sectors, and did not lead to any signicant gains in productivity. The second shock was an increase in taxes due to past commitments to old-age pensions, that were not altered in time.”

3. Beginnen wir dem dem ersten Schock: Mitte der neunziger Jahre hatte Portugal kaum Auslandsschulden; aber im Jahre 2007 entsprachen die Auslandsschulden mit 165 Milliarden Euro bereits in etwa dem portugiesischen BIP. Die wichtigste Ursache dieser Kapitalzuströme war die Finanzierung von Leistungsbilanzsalden gegenüber EU-Partnerländern; die Leistungsbilanz gegenüber Nicht-EU-Ländern war niemals extrem defizitär. Wichtig: Eine Zunahme der Auslandsverschuldung verzeichneten auch Länder wie Spanien und Irland, aber im Unterschied zu diesen erlebte Portugal in den Jahren 2000 bis 2007 keinen Konjunkturaufschwung. Warum? Worin bestand die portugiesische Besonderheit?

4. Um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, muss man ein Außenhandelsökonomen geläufiges Vorgehen anwenden und die Gesamtwirtschaft unterteilen in einen im internationalen Wettbewerb stehenden Teil der Wirtschaft ( “tradable sector”) und einen nicht im Wettbewerb stehenden Teil der Wirtschaft (“non-tradable sector”). Diese Unterteilung ist nicht immer leicht, vereinfacht rechnet man das verarbeitende Gewerbe zum “tradable sector”; der öffentliche Dienst, national tätige, oft in regulierten Märkten befindliche Staatsunternehmen und lokal tätige Dienstleister gehören zu den “non-tradables”. Üblicherweise ist der “tradable sector” produktiver und deswegen sollte man erwarten, dass ausländisches Kapital vor allem dorthin fließt. In Portugal war es jedoch anders: Das ausländische Kapital floss vor allem in den nicht sehr produktiven “non-tradable sector”.

5. Am stärksten wuchsen in diesen Jahren in Portugal mit dem Einzelhandel und kommunalen Dienstleistungen zwei “non-tradables”. Ausgerechnet dort war aber die Produktivitätsentwicklung am unbefriedigsten. Kurz: Viel Auslandskapital wurde unproduktiv verwendet. Dies ist nach Reis einer der wichtigsten Gründe für die Wirtschaftskrise Portugals nach 2000. Reis konzediert, dass aber auch schon vor dem Euro Kapital fehlgeleitet worden ist – eine Beobachtung, die vor allem im ersten Teil unserer Portugal-Reihe behandelt wurde.

6. Diese erhebliche Fehlleitung ist aber nur erklärbar unter einer anderen Annahme: Das Finanzsystem Portugals – Banken und Kapitalmärkte –  muss sehr ineffizient gewesen sein. Denn ein einigermaßen effizientes Finanzsystem lenkt nicht erhebliche Kapitalzuflüsse in offensichtlich wenig produktive Wirtschaftszweige, während produktivere Wirtschaftszweige vielleicht sogar unterversorgt bleiben.

7. Mit diesen Befund gelangt man in eine Debatte, die unter anderem von dem bekannten Ökonomen Dani Rodrik seit Jahren befeuert wird und besonders mit Blick auf Schwellen- und Entwicklungsländer feststellt, dass eine völlige Freiheit des internationalen Kapitalverkehrs in Ländern gefährlich sein kann, deren Finanzsystem noch nicht hoch entwickelt ist. Portugal ist nicht das erste Land, in dem Banken mit dem Zustrom von viel Auslandskapital konfrontiert waren, das sich nach dem Ausbruch einer Krise rasch wieder zurück zog: “The main features of the crisis are remarkably similar to the well-documented capital inflows and sudden stops in Latin America in the past twenty years, or to the crisis in the Nordic countries in the early 1990s… The events in the euro-crisis give a new testing ground for our understanding of capital account liberalization, sudden stops and fixed exchange rates.” (Zweitens gelangt man zu der nun aber wirklich nicht mehr neuen Erkenntnis, dass sich eine Makroökonomik, die sich nicht mit Banken und Finanzströmen befasst, in der Gefahr gewisser Erklärungsdefizite befindet.)

8. Kommen wir zum zweiten Schock in der Geschichte Reis’: “Population is aging in Portugal but not at a faster rate than in other European countries, and the retirement age actually increased by 2.5 years during the slump, which is two years above what happened in Portugal’s main trading partners. If the abnormal increase in spending was not due to signicantly more retirees, then it must have been because of an increase in the generosity of pensions.” Portugal hatte in den neunziger Jahren politische Entscheidungen zugunsten der Altervorsorge getroffen, deren finanzielle Konsequenzen in der Krise nach dem Jahr 2000 zuschlugen. Die Pensionszusagen zwangen die Politik zu Steuererhöhungen, die im konkreten wirtschaftlichen Umfeld die portugiesische Wirtschaft zusätzlich schwächten: “Because of generous past promises on old age pensions, the Portuguese government continuously raised taxes between 2000 and 2007. This discouraged work, and combined with the mis-allocation of resources, produced a slump.”

9. Abschließend sei betont, dass Reis keineswegs die Bedeutung anderer Krisenerklärungen negiert. Er wendet sich aber gegen gewisse Stereotype in der Debatte über die Euro-Peripherie; zum Beispiel, indem er konstatiert, dass der portugiesische Arbeitsmarkt erheblich an Flexibilität gewonnen hat. (Was wir in Teil 3 der FAZIT-Reihe über Portugal ebenfalls demonstriert hatten.)

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Wer sich für die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung Portugals interessiert, findet zeitnah Daten in den Veröffentlichungen des Banco de Portugal. Die jüngsten Daten für den Januar 2013 zeigen weiterhin eine schwere Krise der Binnenwirtschaft, aber, auf Jahresbasis, auch weitere Fortschritte im Außenhandel.

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Die ersten drei Teile unserer kleinen Portugal-Reihe sind bereits erschienen:

Lissaboner Langlauf (1): Portugals Probleme reichen weit zurück – aber die Märkte zeigen Optimismus
Lissaboner Langlauf (2): Austerität ist notwendig – ein Vortrag von Finanzminister Vítor Gaspar
Lissaboner Langlauf (3): Strukturreformen und Privatisierungen