“The US and UK have done a lot of ‘Quantitative easing’, buying up long-term government bonds and mortgage-backed securities, to the end of driving down long-term interest rates. … It’s a curious experiment, as standard theory makes a pretty clear prediction about its effects: zero….”
John H. Cochrane (2014)
Wertpapierkäufe von Zentralbanken sind aus der Sicht zahlreicher Ökonomen ganz oder weitgehend wirkungslos. Das widerspricht der Intuition vieler Menschen, die keine Ökonomen sind. Denn wenn Zentralbanken Wertpapiere kaufen, vergrößert sich nach ihrer Ansicht die Nachfrage nach Wertpapieren, was deren Kurs steigen – und beispielsweise im Falle von Anleihen oder Pfandbriefen – die Rendite dieser Papiere sinken lässt. Doch aus der Sicht einer ökonomischen Lehre, in der Märkte perfekt funktionieren und sich Anleger rational verhalten, trügt die Intuition der Nicht-Ökonomen: Denn die Nachfrage nach Wertpapieren steigt bei Wertpapierkäufen von Zentralbanken nur dann, wenn gleichzeitig private Investoren – zum Beispiel Banken, Versicherungen oder Fonds – ihre Nachfrage nicht in gleichem Maße wie die Käufe der Zentralbanken reduzieren. Im Modell der reinen Marktlehre tun private Anleger aber genau dies und deshalb haben in diesem Modell Wertpapierkäufe von Zentralbanken keine Auswirkungen auf Kurse und Renditen und damit auch nicht auf Wirtschaftswachstum oder Inflation. „Quantitative Easing“ (Quantitative Lockerungen), wie solche Wertpapierkäufe oft genannt werden, ist nach der reinen Marktlehre irrelevant.
Die Begründung ist nicht kompliziert. Sehr einprägsam hat sie Michael Woodford, der einflussreichste monetäre Ökonom der vergangenen zwei Jahrzehnte, auf der Konferenz in Jackson Hole vor zwei Jahren formuliert. 1) Woodford erinnerte daran, dass Anleger, die ihre Sinne beisammen haben, Wertpapiere anhand der von ihnen in der Zukunft erwarteten Erträge und Risiken bewerten. Die Bewertung eines Wertpapiers ist damit völlig unabhängig davon, wer es besitzt – ob sich eine Anleihe im Bestand von Privaten wie Banken oder Versicherungen oder im Bestand von Zentralbanken befindet, hat keinen Einfluss auf ihre Bewertung. Wenn nun in einer Situation, in der die privaten Anleger die ihnen genehmen Bestände einer Anleihe besitzen, eine Zentralbank durch Nachfrage nach dieser Anleihe einen höheren Kurs herbeiführte, würden private Anleger solche Wertpapiere bei einem höheren Kurs verkaufen, weil es aus ihrer Sicht auf dem höheren Kursniveau überbewertet wäre.
Konsequent analysiert führen solche Annahmen zu dem Schluss, dass jede Aktivität einer Zentralbank am Markt durch rationale private Anleger konterkariert wird, wonach die Aktionen der Zentralbank einflusslos bleiben. In einem formalen Modell demonstriert hat dies im Jahre 1981 mit Neil Wallace einer der angesehensten liberalen amerikanischen Ökonomen. In der Fachwelt bezeichnet man die Unwirksamkeit von Wertpapierkäufen der Zentralbank daher als „Wallace-Neutralität“ 2) und vielen internationalen Ökonomen ist diese mehr als 30 Jahre alte Analyse wohlbekannt.
In deutschen Debatten findet man sie allerdings so gut wie nie. Und so kann es geschehen, dass deutsche Marktwirtschaftler, der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark ist nur ein aktuelles Beispiel, der EZB wegen ihrer geplanten Wertpapierkäufe Verzerrungen von Marktpreisen vorwerfen, obgleich die „Wallace-Neutralität“ Verzerrungen von Marktpreisen verhindert. Mit einer marktwirtschaftlichen Sicht kaum vereinbar wären auch Behauptungen, professionelle Kapitalanleger hätten nachhaltig ihren Verstand verloren und würden sich unter dem Einfluss der Geldpolitik jahrelang verhalten wie Gedopte oder Drogensüchtige.
Eine pure marktwirtschaftliche Theorie eignet sich gut als Ausgangs- und Bezugspunkt einer Erörterung von Wertpapierkäufen durch Zentralbanken. Allerdings endet die Erörterung nicht an dieser Stelle, denn Finanzmärkte funktionieren nicht immer so perfekt wie im Lehrbuch. Und sobald Finanzmärkte nicht mehr perfekt funktionieren, gibt es im Prinzip die Möglichkeit, dass Wertpapierkäufe von Zentralbanken tatsächlich – zumindest vorübergehend – Kurse und Renditen beeinflussen. Ob und inwieweit dies geschieht und ob eine solche Wirkung dauerhaft oder nur vorübergehend wirksam ist, lässt sich nur schwer messen und die bisherigen Untersuchungen sprechen nicht für eine starke Wirksamkeit von Wertpapierkäufen. Das Thema ist von der Fachwelt noch nicht vollständig behandelt worden. Wie Wertpapierkäufe der Zentralbanken überhaupt wirken könnten, beschreiben wir anhand von vier Fällen, die unter Ökonomen diskutiert werden.
“… OK, then we dream up ‘frictions’, and ‘segmentation’, and ‘price pressure’ or other stories. Empirical work seems to show that the announcement of QE lowers rates a bit. But those theories only give transitory effects, and there is no correlation between actual purchases and interest rates.”
John H. Cochrane (2014)
Fall1: Die Finanzmärkte sind segmentiert
In der reinen Lehre konterkarieren private Marktteilnehmer aus Eigennutz das Handeln der Zentralbank: Kauft eine Zentralbank für große Beträge Staatsanleihen, verkaufen private Marktteilnehmer Staatsanleihen. In der realen Welt gibt es aber Investoren, die in der Wahl ihrer Kapitalanlagen nicht völlig frei sind, zum Beispiel, weil sie gesetzliche Regeln erfüllen oder sich an Vorschriften von Kapitalgebern halten müssen. Das gilt zum Beispiel für Stiftungen und Versicherungen. In diesem Fall funktioniert die Neutralisierung der Wertpapierkäufe durch die Zentralbank à la Wallace möglicherweise nicht mehr vollständig. So gibt es Großanleger, die Staatsanleihen mit sehr guter Bonität eigentlich für zu teuer halten, sich aber mehr oder weniger gezwungen sehen, entweder Staatsanleihen sehr guter Bonität oder ähnliche Papiere – zum Beispiel Pfandbriefe oder Anleihen erstklassiger Unternehmen – zu kaufen, während ihnen der Kauf von Aktien oder Investitionen in Beteiligungskapital (Private Equity) nicht möglich sind. In diesem Fall sprechen Fachleute von segmentierten Märkten. 3) So hat die Fed bei ihren Ankäufen von Staatsanleihen darauf gebaut, dass viele private Anleger nicht einfach ihre Bestände an solchen Papieren abbauen können. In einem solchen Falle könnten die Anleihenkäufe der Fed tatsächlich die Kurse dieser Papiere gesteigert und damit die Renditen gesenkt haben.
Auf die Segmentierung von Finanzmärkten durch handlungsgebundene Anleger sowie die Tatsache, dass nicht alle Finanzprodukte perfekte Substitute sind, bauten die Fed, aber auch die Bank of England. Sie hofften auf einen Effekt, den vor Jahrzehnten unter anderem die Nobelpreisträger James Tobin 4) und Milton Friedman analysiert hatten und der in der Fachwelt mit dem Anglizismus „Portfolio Balance“ bezeichnet wird: Kapitalanleger, die ihr Geld auf verschiedene Anlagen verteilen können, werden die sinkenden Renditen nutzen, um Staatsanleihen zu verkaufen und dafür zum Beispiel Unternehmensanleihen zu erwerben. Die Wirkung der Staatsanleihenkäufe durch die Zentralbank breitet sich durch die Finanzmärkte aus und regt im Idealfall die Wirtschaft an: Dies geschieht zum Beispiel, wenn als Folge sinkender Finanzierungskosten zusätzliche Investitionsprojekte für Unternehmen attraktiv werden.
Es existieren mehrere empirische Untersuchungen, nach denen vor allem das erste Ankaufsprogramm der Fed im Jahren 2009 über solche Mechanismen der amerikanischen Wirtschaft geholfen habe, aber diese Ergebnisse werden durch andere Untersuchungen relativiert. Nach einer der frühesten Studien hat die Fed im Rahmen ihres ersten Programms Wertpapiere über nahezu 1,8 Billionen Dollar angekauft und damit die Rendite langfristiger Staatsanleihen um 58 Basispunkte gedrückt.
Fall 2: Die Zentralbank hilft angeschlagenen Geschäftsbanken
In der eingangs beschriebenen Welt der Theorie der perfekten Finanzmärkte funktionieren auch Banken immer perfekt. In der Realität ist dies in der jüngsten Krise nicht der Fall gewesen, weil viele Banken angesichts hoher Bestände fragwürdiger Kredite und einer schmalen Ausstattung mit Eigenkapital nur unvollkommen in der Lage gewesen sind, neue Kredite an gesunde Unternehmen oder seriöse Privatpersonen zu vergeben. Aus dieser Situation ist die Idee entstanden, dass Notenbanken durch den Ankauf von in Wertpapierform verbrieften Krediten die Bankbilanzen entlasten und damit die Banken in die Situation versetzen, eine wirtschaftliche Erholung durch neue Bankkredite zu finanzieren. Diese Idee steht hinter dem kürzlich angekündigten und kontrovers diskutierten Plan der EZB, in Wertpapierform („Asset Backed Securities“, ABS) verbriefte Bankkredite anzukaufen und den Banken dafür Guthaben bei der EZB einzuräumen.
Neu ist diese Idee keineswegs, denn die Fed hatte kurz nach dem Untergang von Lehman Brothers ähnliche Maßnahmen beschlossen. Die Fed kaufte seinerseits nicht nur Staatsanleihen an, sondern auch Wertpapiere, in denen die unterschiedlichsten Kredite verbrieft waren – Immobilienkredite ebenso wie beispielsweise Kredite von Banken an Studenten oder Autokredite. Damit nahm die Fed Risiken aus den Bilanzen der Geschäftsbanken auf ihre eigene Bilanz. Wie sehr diese Programme der amerikanischen Wirtschaft genützt haben, ist nicht leicht festzustellen. Die Ökonomen Arvind Krishnamurthy and Annette Vissing-Jorgensen sind in einer Studie zu dem Ergebnis gelangt, dass am ehesten der Ankauf verbriefter Immobilienkredite durch die Fed die Wirtschaft unterstützt habe – jedenfalls mehr, als dies der Ankauf von Staatsanleihen bewirkt habe. Auch Woodford hält es für denkbar, dass die Entlastung der Bankbilanzen in den Vereinigten Staaten positiv gewirkt habe. Allerdings sieht Woodford in solchen Maßnahmen einer Notenbank eher eine finanzpolitische als eine geldpolitische Maßnahme – ein Argument, das auch in aktuellen Erörterungen der europäischen Geldpolitik auftaucht.
Der Gedanke, in Europa einen transparenten Markt für Verbriefungen von Unternehmenskredite zu schaffen, ist nicht neu. Die Bank of England und die EZB haben vor einiger Zeit ein gemeinsames Papier veröffentlicht, in dem sie ein solches Projekt begrüßen. Auf der EZB-Konferenz in Sintra haben sich vor wenigen Wochen die Ökonomen Markus Brunnermeier und Yuliy Sannikov für den Aufbau eines Marktes für handelbare Kreditverbriefungen ausgesprochen, weil auf diese Weise internationale Großanleger in die Lage versetzt würden, in Kredite kleinerer und mittelgroßer europäischer Unternehmen zu investieren. Damit würden diese Unternehmen weniger abhängig von der Finanzierung durch Banken. (Hier ist ein FAZIT-Beitrag über diese Studie.)
Über der Frage, ob ABS-Käufe durch die EZB sinnvoll sind, ist eine Debatte entbrannt, deren Kern der Frankfurter Ökonom Jan Krahnen prägnant zusammengefasst hat. „Bei der Verbriefung von Krediten und dem anschließenden Verkauf ist es entscheidend, dass die kreditgebende Bank weiterhin an den möglichen Verlusten aus diesen Krediten beteiligt bleibt“, argumentiert Krahnen. Sei das nicht so, habe die kreditgebende Bank keine Anreize, die Risiken des Kreditnehmers genau zu prüfen, ihn während der Kreditlaufzeit zu überwachen und das Geld nachdrücklich einzutreiben. Damit sieht Krahnen die EZB in einem Dilemma. Bleibe ein wesentlicher Teil der Kreditrisiken in den Büchern der Banken, erhielten diese wenig Freiraum für die Vergabe neuer Kredite. Ansonsten aber übernehme die EZB mit den verbrieften Krediten „unkalkulierbar hohe Risiken mit perversen Anreizwirkungen“ und bleibe womöglich auf hohen Verlusten sitzen.
Fall 3: Geld regiert nicht immer die Welt
Als die derzeitige japanische Regierung ihre „Abenomics“ ankündigte, gehörten dazu Wertpapierkäufe der Bank von Japan. Zur Begründung hieß es, als Folge der Wertpapierkäufe würde zusätzliches Geld in Gestalt wachsender Einlagen der Geschäftsbanken bei der Bank von Japan geschaffen. Die Bilanzsumme der Bank von Japan hat sich seitdem auch erheblich vergrößert. Bisher ist allerdings nicht erkennbar, dass dieses erhebliche Wachstum der Bankguthaben bei der japanischen Zentralbank die Wirtschaft erreicht hat. Den die in der Wirtschaft kursierende Geldmenge wächst nur mit einer geringen Rate, die sogar unter der japanischen Inflationsrate liegt.
Mit anderen Worten: In realer Betrachtung sinkt die Ausstattung der japanischen Wirtschaft mit Geld, obgleich die Geldpolitik der Bank von Japan gemeinhin als sehr expansiv gilt und die Zentralbank vermeintlich eine „Geldschwemme“ erzeugt. 7) Ähnlich ist es mit der „Geldschwemme“ in Europa: Die Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB (und damit deren Bilanzsumme) sind von 2007 bis 2012 sehr stark gestiegen, worauf gerade in Deutschland Inflationsfurcht entstanden ist. Tatsächlich befindet sich die Inflationsrate heute nahe ihres tiefsten Standes in der Nachkriegszeit.
Kein Geringerer als Milton Friedman, das Haupt der monetaristischen Schule, hatte den Japanern in den neunziger Jahren empfohlen, durch Wertpapierkäufe der Zentralbank die Wirtschaft anzukurbeln. Der Mechanismus geht im Prinzip so: Die Zentralbank kauft den Geschäftsbanken Staatsanleihen (oder andere Wertpapiere) ab und gewährt den Geschäftsbanken dafür zusätzliche Guthaben bei ihr, was die Bilanzsumme der Zentralbank steigen lässt. Die Geschäftsbanken, so das Kalkül, würden das zusätzliche Geld nutzen, um Kredite an Unternehmen zu vergeben, wonach die in der Wirtschaft kursierende Geldmenge zunimmt. Zuerst wächst dann die Wirtschaft und, wenn die Zentralbank nicht einschreitet, irgendwann nimmt auch die Inflationsrate zu.
Der hier behauptete enge Zusammenhang zwischen den Guthaben der Banken bei der Zentralbank, der in der Wirtschaft kursierenden Geldmenge und der Inflationsrate ist in den Industrienationen allerdings schon in den achtziger Jahren zusammengebrochen. Die „Geldschwemme“, von der häufig die Rede ist, findet vor allem auf den Konten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank statt, aber in der Regel nicht in den Portemonnaies der meisten Menschen. Der Versuch, durch die Schaffung zusätzlichen Geldes, das dann auf Konten bei der Zentralbank ruht, die Wirtschaft anzuregen, ist ein sehr unzuverlässiges Verfahren. 5)
Daraus folgt nicht, dass Betrachtungen der Entwicklung von Geldmengen irrelevant wären. Im Gegenteil: Sie werden seit einigen Jahren wieder häufiger angestellt, weil sich aus ihnen Informationen über den Zustand des Finanzsystems gewinnen lassen. 6) Aber der einstmals enge Zusammenhang zwischen der Geldmenge und dem Preisniveau von Gütern und Dienstleistungen existiert schon lange nicht mehr. Mit ihren neuen Maßnahmen, darunter den geplanten Käufen von ABS-Wertpapieren, strebt die EZB ein Wachstum ihrer Bilanzsumme um bis zu 800 Milliarden Euro an. Die Erfahrungen aus anderen Ländern lassen nicht den Schluss zu, dass auf diesem Wege mit hoher Sicherheit spürbare Impulse für das Wirtschaftswachstum oder das Preisniveau generiert werden.
Fall 4: Worte zählen manchmal mehr als Taten
Wie einflussreich Worte von Geldpolitikern sein können, zeigen die Wirkungen von Mario Draghis bekannter Londoner Rede aus dem Sommer 2012, in der er versicherte, die EZB werde alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Euro zu erhalten. Nicht ganz so machtvoll, aber vielleicht doch nachhaltig können nach Ansicht mancher Experten Ankündigungen von Geldpolitikern sein, Ankäufe von Wertpapieren vorzunehmen. In der Fachwelt spricht man vom sogenannten „Signaleffekt“, dessen Wirkung für das erste Ankaufprogramm der Fed unter anderem in einer Arbeit der amerikanischen Ökonomen Michael Bauer und Glenn Rudebusch postuliert wird. Demnach kann eine solche Ankündigung die Marktteilnehmer dazu verleiten, für einen längeren Zeitraum als bisher gedacht eine lockere Geldpolitik mit sehr niedrigen Leitzinsen in ihre Zukunftsplanung aufzunehmen. Falls diese veränderten Erwartungen zu Käufen oder Verkäufen von Wertpapieren führen, hat sich das Signal der Geldpolitik in Marktpreise und Renditen niedergeschlagen. Allerdings ist zu beachten, dass die Wirkung dieses Signals nur längerfristig vorhalten kann, wenn den Worten auch Taten – sprich der Ankündigung von Wertpapierkäufen dann auch tatsächlich Käufe – folgen.
Manchmal haben Signale unerwartete Wirkungen. Seit der Ankündigung der EZB, sie beabsichtige umfangreiche Käufe von Wertpapieren, sind die Renditen von Anleihen in der Tendenz leicht gestiegen, obgleich sie nach Ansicht vieler Marktteilnehmer eigentlich hätten fallen müssen. Dafür hat sich die Abwertung des Euro am Devisenmarkt seit der Ankündigung der EZB beschleunigt. Ähnlich ist es auch in Japan gewesen. Den Wertpapierkäufen der Bank von Japan ist zwar nicht von einer starken Zunahme der Geldmenge in der Wirtschaft begleitet worden, wie es die Bank von Japan wohl gerne gesehen hätte. Dafür hat sich der Yen am Devisenmarkt spürbar abgewertet.
Sehr auffällig ist ein anderer Signaleffekt gewesen. Als der damalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke im Mai 2013 Reduzierungen der Wertpapierkäufe in Aussicht stellte, waren die Reaktionen in den Vereinigten Staaten nicht extrem, wohl aber an den Finanzmärkten vieler Schwellenländer. In der Erwartung einer weniger expansiven amerikanischen Geldpolitik zogen viele Großanleger aus Industrienationen Kapitalanlagen in Schwellenländern ab und transferierten das Geld in die Vereinigten Staaten. (Dieses Thema haben wir in FAZIT unter anderem hier behandelt.) Die internationalen Wirkungen von Wertpapierkäufen großer Zentralbanken sind ein bis heute besonders vernachlässigtes Gebiet in der modernen Wirtschaftslehre.
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1) Woodfords Arbeit löste in Blogs Diskussionen aus, die bis heute fortdauern, zum Beispiel bei Bruegel, Miles Kimball, Noah Smith und Roger Farmer sowie dem am Anfang dieses Beitrags zitierten John Cochrane.
2) In der ökonomischen Theorie gibt es mehrere bekannte Irrelevanztheoreme, neben der Irrelevanz von Wertpapierkäufen der Zentralbank (Wallace) zum Beispiel die Irrelevanz der Kapitalstruktur eines Unternehmens für den Unternehmenswert (Modigliani-Miller) und die Irrelevanz der Art der Finanzierung von Staatsausgaben durch Steuern oder Schulden (Barro-Ricardo). Eine grundlegende Arbeit, die sich mit dem Konzept der Wallace-Neutralität bei Zinsen nahe Null befasst, wurde im Jahre 2003 von Gauti Eggertsson und Michael Woodford veröffentlicht.
3) In der Fachliteratur werden solche Anleger als “preferred-habitat investors” bezeichnet. Zu den wichtigsten Ökonomen, die sich mit diesem Thema befassen, zählt der an der London School of Economics lehrende Dimitri Vayanos. Zu den in ihrer Anlagepolitik beschränkten Anlegern gehören typischerweise auch viele Zentralbanken und Staatsfonds.
4) Ben Bernanke (2012): “One mechanism through which such purchases are believed to affect the economy is the so-called portfolio balance channel, which is based on the ideas of a number of well-known monetary economists, including James Tobin, Milton Friedman, Franco Modigliani, Karl Brunner, and Allan Meltzer. The key premise underlying this channel is that, for a variety of reasons, different classes of financial assets are not perfect substitutes in investors’ portfolios.For example, some institutional investors face regulatory restrictions on the types of securities they can hold, retail investors may be reluctant to hold certain types of assets because of high transactions or information costs, and some assets have risk characteristics that are difficult or costly to hedge. Imperfect substitutability of assets implies that changes in the supplies of various assets available to private investors may affect the prices and yields of those assets. Thus, Federal Reserve purchases of mortgage-backed securities (MBS), for example, should raise the prices and lower the yields of those securities; moreover, as investors rebalance their portfolios by replacing the MBS sold to the Federal Reserve with other assets, the prices of the assets they buy should rise and their yields decline as well. Declining yields and rising asset prices ease overall financial conditions and stimulate economic activity through channels similar to those for conventional monetary policy. Following this logic, Tobin suggested that purchases of longer-term securities by the Federal Reserve during the Great Depression could have helped the U.S. economy recover despite the fact that short-term rates were close to zero, and Friedman argued for large-scale purchases of long-term bonds by the Bank of Japan to help overcome Japan’s deflationary trap.”
Tobins Arbeiten (zum Beispiel hier und hier) werden derzeit von modernen Finanzökonomen wieder entdeckt.
5) Ein offensichtlicher Grund für den Zusammenbruch eines engen Zusammhangs zwischen dem Geld bei der Zentralbank und dem in der Wirtschaft kursierenden Geld ist die erhebliche Reduzierung des Zinsabstands für Guthaben bei der Zentralbank und kurzfristigen Marktzinsen, die für Geschäftsbanken die Haltung von Überschussreserven bei der Zentralbank rational werden lässt. Darüber haben wir in FAZIT in unserem “Planeten-Beitrag” mit Verweis auf den Nobelpreisträger Chris Sims geschrieben. Sims hat dies kürzlich auch auf dem Nobelpreisträgertreffen am Bodensee vorgetragen. Ebenso hatte sich Woodford in Jackson Hole mit diesem Thema befasst.
6) Dieses Thema haben wir in FAZIT ausgiebig vor allem anhand von Arbeiten des Ökonomen Hyun Song Shin erörtert, zum Beispiel hier.
7) Auch Manfred J.M. Neumann vertritt in einem aktuellen Beitrag die Ansicht, dass die japanische Geldpolitik nicht sehr wirksam ist.
Eine ähnliche Version dieses Beitrags ist am 13. September 2014 im Finanzteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.