Die Vorsitzende der amerikanischen Notenbank, Janet Yellen, hat vor der wachsenden Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in den Vereinigten Staaten gewarnt. „Das Ausmaß und der kontinuierliche Anstieg der Ungleichheit beunruhigen mich sehr“, sagte Yellen in einer Rede in Boston. Die vergangenen Jahrzehnte sich weitender Ungleichheit ließen sich als bedeutende Einkommens- und Vermögensgewinne für die ganz oben und einen stagnierenden Lebensstandard für die Mehrheit zusammenfassen. Aufstiegschancen schwänden. Yellen warf die Frage auf, ob die Ungleichheit noch mit dem amerikanischen Wert der Chancengleichheit zu vereinbaren sei.
In der für eine Fed-Vorsitzende thematisch ungewöhnlichen Rede signalisierte Yellen vor der Kongresswahl im November ihren Gleichklang mit den Demokraten, die die Ungleichheit zum Wahlkampfthema gemacht hätten. Nach einer Untersuchung der Fed hielt zuletzt die untere Hälfte der amerikanischen Haushalte nur 1 Prozent des Vermögens, während es 1989 noch 3 Prozent gewesen waren. Dagegen stieg der Anteil der reichsten 5 Prozent in den Jahren 1989 bis 2013 von 54 auf 63 Prozent.
Treibt die Fed die Ungleichheit?
Sie setzte sich nicht mit dem Vorwurf auseinander, dass die Notenbank mit dem Ankauf von Anleihen und der Nullzinspolitik die Ungleichheit vergrößere. Kritiker monieren, dass die Fed damit die Finanzmärkte stütze, wovon vor allem vermögendere Amerikaner profitieren. Die Fed-Vorsitzende hat früher schon erklärt, dass sie den Kampf gegen Ungleichheit nicht als Aufgabe der Geldpolitik sehe, dass aber die expansive Fed-Politik das Wachstum fördere und so vor allem ärmeren Amerikanern helfe. Die Nullzinspolitik treibt auch die Hauspreise, was Haushalten mit niedrigem Einkommen vergleichsweise stark nutzt. Denn diese halten überdurchschnittlich große Teile ihres Vermögens in Hausbesitz.
Yellen enthielt sich konkreter politischer Forderungen. Sie betonte freilich vier Bausteine für den wirtschaftlichen Erfolg und Aufstiegschancen von Individuen und ihren Familien: frühkindliche Erziehung, bezahlbare höhere Bildung, Unternehmertum und Erbschaften.
Erbschaften als Chance
Damit weicht sie von der Analyse des französischen Ökonomen Thomas Piketty ab, der mit seinem Buch „Kapital im 21. Jahrhundert“ in Amerika einen Bestseller landete. Die Rezeption des Buches folgt dabei manchmal merkwürdigen Wegen. Christine Lagarde, die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, zeigte sich neulich vor Studenten erstaunt, dass jemand das fast 700 Seiten dicke Buch ihres Landsmanns von vorne bis hinten gelesen habe. Lagarde hat es nach eigenem Bekunden nicht, was sie aber nicht davon abhielt, ein großes Lob für die Analyse Pikettys auszusprechen.
Der Franzose jedenfalls fokussiert darauf, dass große Erbschaften die Ungleichheit über Generationen vergrößern. Yellen dagegen sieht Erbschaften auch als Chance für Familien niedrigeren Einkommens, ihre Vermögensposition zu verbessern. Sie betonte, dass Erbschaften weniger stark ungleich verteilt seien als das Vermögen an sich. Dem Wert nach ging gut die Hälfte aller Erbschaften an die reichsten 5 Prozent der Familien. Doch immerhin gingen 7 Prozent der Erbschaften an die unteren 50 Prozent der Haushalte, die nur 1 Prozent des Vermögens halten.
Pikettys Thesen stoßen bei Präsident Barack Obama und den Demokraten weitgehend auf Zustimmung. Umso überraschender ist es, dass Obamas Chefökonom jetzt Pikettys Thesen kritisiert. Jason Furman, der Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsberater, wirft ihm in der „Milken Institute Review“ vor, dass die Analyse fachlich nicht gut fundiert sei.
Obamas Chefökonom kritisiert Pikettys Kernthese
Piketty fokussiert auf den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, um die größer werdende Ungleichheit zu erklären. Furmans Berechnungen aber zeigen, dass die steigende Ungleichheit stärker durch Diskrepanzen der Arbeitseinkommen von besser und schlechter ausgebildeten Menschen getrieben wurde als durch die Kluft zwischen Kapital und Arbeit.
Furman bezweifelt zudem die von Piketty fast als Gesetzmäßigkeit behauptete These, dass mit geringerem Wachstum das Kapital nach Steuern mehr Zins verdiene als die Arbeit Lohn. r > g, der Zins r sei größer als die Wachstumsrate g, lautet Pikettys berühmte Vermutung. Es sei unklar, wie viel Erkenntnis diese These wirklich biete, moniert Furman und nennt Gründe dagegen. Eine Möglichkeit: Die alternde Bevölkerung drückt zwar das Wachstum, aber erhöht auch die Sparleistung. Damit sinkt, für sich genommen, der Kapitalzins. Furmans Kritik sitzt umso stärker, weil er die Warnung des Franzosen vor wachsender Ungleichverteilung teilt.
Amerikanische Ökonomen zweifeln an r > g
Auch andere Ökonomen sind von Pikettys Kernthese nicht überzeugt. In einer aktuellen Umfrage der Universität Chicago glaubt nur eine Ökonomin, dass der Zins nach Steuern größer als die Wachstumsrate ist und die Ungleichheit treibt. 27 der befragten 43 Ökonomen oder 63 Prozent halten das aber für falsch.
Mehr Zuversicht als Piketty hat Obama-Berater Furman darin, dass man wirksam gegensteuern kann. Höhere Steuern für die Reichen und Steuerkredite für Ärmere wirkten dem Trend zu größerer Ungleichheit schon jetzt entgegen. Piketty scheine auch zu wenig anzuerkennen, dass die Politik den Vermögensaufbau von Familien mit geringem Einkommen stützen könne, schreibt Furman. Im Gegensatz zu Yellen, die zur Verringerung der Ungleichheit die individuellen Chancen betont, setzt der Obama-Berater damit auf die lenkende und Bezieher höherer Einkommen strafende Hand des Staates.
Der Beitrag ist die ergänzte Fassung eines Artikels, der am 20. Oktober in der F.A.Z. erschienen ist.
Beiträge über Thomas Piketty im FAZIT-Blog
Wie verkrustet ist der Reichtum?
Der amerikanische Traum – entzaubert?
Die Rückkehr der Erben (Buchbesprechung von Gerald Braunberger)
Der Autor auf Twitter, Facebook und Google+.