Japan hat seine Banken nicht schnell saniert und rekapitalisiert und musste dafür bitter bezahlen. Japan hat es ebenfalls versäumt, seinen Arbeitsmarkt zu deregulieren und verschenkt damit ein bedeutendes Wachstumspotential. Ein Gespräch mit Nobuhiro Kiyotaki.
Der an der amerikanischen Princeton University lehrende Ökonom Nobuhiro Kiyotaki ist einer der intellektuellen Väter der im FAZIT-Blog oft dokumentierten Zusammenführung von Finanztheorie und makroökonomischer Theorie (“Macrofinance”). Als eine bedeutende Pionierarbeit auf diesem Gebiet gilt eine zusammen mit John Moore verfasste und in der Fachwelt häufig zitierte Arbeit. Sie zeigt, wie kleine Störungen des Gesamtwirtschaft über Störungen der Kreditversorgung erhebliche Konsequenzen haben können. Unser Gespräch mit Kiyotaki fand anlässlich eines Besuchs des Japaners in Frankfurt statt, wo er am Center for Financial Studies der Goethe-Universität eine zusammen mit Mark Gertler verfasste Arbeit vorstellte. 1)
1. Die Banken
In Japan befindet sich heute das nominale BIP in etwa auf dem Stand des Jahres 1991, während die Nominallöhne in etwa auf dem Stand des Jahres 1989 liegen. Kiyotaki sieht einen Grund für sehr lange Stagnation in einer zu langsamen Sanierung und Rekapitalisierung der Banken. Das Ergebnis ist unter anderem eine schwere Bankenkrise im Jahre 1997 gewesen; erst nach 2002 wurde die Sanierung der Banken angepackt. Vor der Krise profitierten die japanischen Großbanken (die seinerzeit nach der Bilanzsumme zu den größten Banken der Welt zählten) von einer “Japan-Prämie”: Sie konnten sich an den internationalen Kapitalmärkte günstiger refinanzieren als andere Banken. Dieser Vorteil ging in der Krise verloren. Kiyotaki sieht auch in einigen europäischen Ländern die Gefahr, dass die Sanierung der Banken verschleppt wird.
2. Der Arbeitsmarkt
Kiyotaki ist der Ansicht, dass Japan erhebliches Wachstumspotential nicht nutzt, indem es seinen segmentierten Arbeitsmarkt nicht dereguliert, auf dem ältere Beschäftigte recht sichere Arbeitsplätze besitzen, aber jüngere Arbeitnehmer zu diesen Konditionen ungern eingestellt werden. Damit gerät die Weitergabe von Wissen über die Generationen ins Stocken. Segmentierte Arbeitsmärkte gibt es auch in europäischen Ländern. Mit Verweis auf dieses ungenutzte Wachstumspotential weist Kiyotaki auch die Vorstellung einer angebotsseitigen “säkularen Stagnation” zurück, die durch eine effizientere Nutzung des Humankapitals und des technischen Fortschritts vermieden werden kann.
3. Die Geldpolitik
Die expansive Ausrichtung der aktuellen Geldpolitik der Bank von Japan hält Kiyotaki für richtig. Früher hat die Bank of Japan Deflation bekämpft, aber wollte keinerlei Inflation zulassen, weil man sich sorgte, dass Kursverluste der Anleihen nach einem leichten Anstieg der Renditen den Banken Probleme machen könnten. Das Ergebnis ist eine extrem flache Renditekurve. Jetzt können die Banken nicht mit Fristentransformation Geld verdienen. Dass die Bank von Japan heute eine leichte Inflation anstrebt, hält Kiyotaki nicht nur wegen Friktionen am Arbeits- und Gütermarkt für richtig, die ein Inflationsziel von 2 Prozent gegenüber einem Inflationsziel von 0 Prozent begründen. Auch sind die Folgen für die Finanzstabilität nicht bedenklich: Zwar ginge ein leichter Anstieg der Anleiherenditen mit Kursverlusten auf die Anleihebestände einher, aber er gäbe den Banken auch die Möglichkeit, wieder mit Fristentransformation Geld zu verdienen. Die vor allem in der angelsächsischen Welt betriebene Geldpolitik im Geiste der neokeynesianischen Makroökonomik betrachtet Kiyotaki weder als völlig unwirksam noch als perfekt.
4. Die Fiskalpolitik
Die Ansicht des bekannten Ökonomen Richard Koo, als Antwort auf die Bilanzrezession bei Unternehmen und Konsumenten müsse der Staat über längere Zeit expansive Fiskalpolitik betreiben, weist Kiyotaki zurück. Expansive Fiskalpolitik kommt nach seiner Meinung als kurzfristige Reaktion auf eine schwere Krise in Frage, sie darf aber nicht längerfristig eingesetzt werden. Seine Ablehnung begründet Kiyotaki mit der sehr geringen Rentabilität öffentlicher Investitionen – das Geld sei überwiegend in niedergehende Branchen wie den Bau geflossen. Am Ende seien 90 Flughäfen entstanden, für die es nicht genügend Nachfrage gegeben habe.
5. Spekulationsblasen
In Zeiten guten wirtschaftlichen Wachstums kann es Spekulationsblasen geben, unter anderem gefördert durch eine expansive Geldpolitik. Der japanische Immobilienmarkt der achtziger Jahre ist hierfür ein Beispiel. Aktuell warnt Kiyotaki aber vor zu viel Hysterie vor wandernden Blasen: In Ländern mit schwachem Wirtschaftswachstum ist die Blasengefahr gering. Und auch die Lage an den Anleihemärkten würde er nicht als Ausdruck einer Spekulationsblase bezeichnen, sondern schlicht von unnatürlich niedrigen Renditen sprechen. Denn einerseits sind in vielen Ländern die Inflationsraten sehr niedrig, aber auch der Realzins. Der Realzins hängt von der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ab, die von einer wachstumsfördernden Wirtschaftspolitik profitieren würde.
6. Macrofinance
Die traditionelle Makroökonomik schaut auf die Folgen eingeschränkt flexibler Löhne und Güterpreise. Macrofinance schaut in der Tradition des Nobelpreisträgers James Tobin auf die Interaktionen von Finanzmärkten und Realwirtschaft. Das Gebiet hat in den vergangenen Jahren unter jungen Ökonomen erheblich an Popularität gewonnen; es gibt heute zahlreiche Doktoranden. Ein Problem ist die Auswahl der Ineffizienzen, die in den Analysen in den Mittelpunkt gestellt werden, weil es zu viele gibt. So kann man sich anschauen, welche Folgen eine Überschuldung von privaten Haushalten hat, man kann sich aber auch anschauen, was passiert, wenn Finanzhäuser nicht richtig funktionieren. Mittlerweile gibt es Versuche, die tradionelle Makroökonomik mt Macrofinance zu verschmelzen.
—————————
1) Auf dieser Veranstaltung hielt auch der bekannte Ökonom Guillermo Calvo einen Vortrag, den wir ebenfalls in FAZIT (“Eine Währung ist kein Spielzeug”) dokumentiert haben.