Mit der vor zehn Jahren ausgebrochenen Finanzkrise geriet die Mainstream-Theorie der Ökonomen unter Beschuss. Eine bis heute populäre Kritik lautet: Der Wegfall des Geldes aus den populären makroökonomischen Modellen hatte diese blind gemacht für Fehlentwicklungen an den Finanzmärkten. Wie verschwand das Geld aus den Modellen?
Wir erzählen die Geschichte dieses Verschwindens in mehreren Akten und orientieren uns im wesentlichen an Arbeiten David Laidlers (darunter vor allem dieser).1)
Erster Akt: Aufstieg und Fall des Monetarismus
Wir beginnen im Jahre 1968 mit der berühmten, auch in FAZIT ( zum Beispiel hier und hier) behandelten Rede Milton Friedmans vor der Amerikanischen Ökonomenvereinigung. Friedman als Haupt der Monetaristen und die damals führenden keynesianischen Ökonomen hatten sich viele Jahre über die Wirksamkeit von Geld- und Finanzpolitik gestritten. Beide Schulen waren sich allerdings darin einig, dass die realwirtschaftliche Entwicklung (Wirtschaftswachstum, Beschäftigung) zumindest vorübergehend von den monetären Bedingungen (Geldmenge und/oder Zins) beeinflusst wird. Geld war nicht neutral.
In seinem berühmten Aufsatz von 1968 postulierte Friedman, dass die Geldpolitik aber nicht in der Lage sein würde, die Arbeitslosigkeit dauerhaft unter eine sogenannte “natürliche Rate” zu senken. Würde die Geldpolitik dies doch versuchen, käme auf die Dauer nur eine höhere Inflationsrate dabei heraus – was Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Laufe der Zeit lernen. Die Hochzeit von Friedmans Monetarismus hielt nicht lange; dazu trugen theoretische und empirische Probleme in den siebziger und achtziger Jahren bei.
Zweiter Akt: Robert Lucas – es kommt auf Überraschungen an, stupid!
In den siebziger Jahren begannen junge Kollegen, die Friedman ideologisch nahe standen, die theoretischen Grundlagen von dessen Arbeiten auf einen aus ihrer Sicht festeren Grund zu stellen. Das Ergebnis war eine Revolution in der makroökonomischen Theorie mit weitreichenden Folgen, die bis heute andauern. Ihr führender Vertreter war Robert Lucas.
Zwei wesentliche Elemente dieser Revolution waren die Forderungen, auch gesamtwirtschaftliche Analysen auf ein solides Fundament einzelwirtschaftlichen Verhaltens zu stellen (das ist die berühmt-berüchtigte “Mikrofundierung der Makroökonomik”) sowie die Berücksichtigung sogenannter rationaler Erwartungen. Wobei dies nicht zuletzt unterstellt, die Teilnehmer am Wirtschaftsprozess kennen das “richtige” ökonomische Modell – im konkreten Fall, dass eine Steigerung der nominalen Geldmenge das nominale Einkommen steigert.
In einem solchen Modell hat Geld bei perfekt funktionierenden Märkten keinen Einfluss, solange die Zentralbank sich an eine vorab festgelegte Geldmengenpolitik hält, weil dies von den Teilnehmern am Wirtschaftsprozess erwartet wird. Vorübergehende Wirkungen kann es nur geben, wenn die Zentralbank ganz überraschend ihre Strategie aufgibt und unangekündigt eine expansive Geldpolitik mit einer unerwartet großen Geldmenge betreibt.1) Die politische Empfehlung von Lucas entspricht der geldpolitischen Empfehlung Friedmans: Geldpolitik besteht aus nachhaltiger Geldmengenpolitik. In Lucas’ Modellwelt kam das Geld noch vor.
Dritter Akt: Empirische Überraschungen mit den Überraschungen
Lucas’ Überraschungs-These war auf Basis von Daten aus den Vereinigten Staaten testbar – und die Ergebnisse fielen ernüchternd aus. Laidler zitiert “heroische Anstrengungen” seines Kollegen Robert Barro, dessen Untersuchungen einen Befund brachten, der nahezu im Gegensatz zu Lucas’ These stand. Demnach zeigten erwartete Änderungen des Geldmengenwachstums rasche Wirkungen (was sie nach Lucas nicht tun sollten), während nicht erwartete Änderungen, wenn überhaupt, erst nach zwei Jahren Wirkungen zeigten (nach Lucas sollte es schnelle Wirkungen geben). Barros Arbeit stand nicht alleine – die Überraschungsthese schien um das Jahr 1980 nach rascher Popularität in der Luft zu hängen.
Vierter Akt: Die Realwirtschaft ist alles – und Geld ist endogen
Die meisten jungen Ökonomen betrachteten damals die empirischen Probleme von Lucas’ Überraschungsthese nicht als grundsätzliches Defizit des neuen Ansatzes, rationale Erwartungen mit dem Anspruch an ein Mikrofundierung der Makroökonomik zu verbinden. Daher schied für sie eine Rückkehr zum Monetarismus Friedmans oder dem alten IS/LM-Modell der Keynesianer aus. Sie reagierten auf zweierlei Weise.
Eine Reaktion bestand darin, die alte neoklassische Wachstumstheorie auch auf die Erklärung der Konjunktur anzuwenden und jederzeit funktionierende Märkte anzunehmen; es entstand die Theorie realer Konjunkturzyklen. Auf dieser Basis konnten Konjunkturschwankungen überwiegend durch technologische Schocks erklärt werden – das Geld und die monetäre Nachfrage spielten keinerlei Rolle mehr als Konjunkturerklärung. Gleichwohl ließen sich damals in den Daten empirische Zusammenhänge zwischen der Konjunktur und der Höhe der Bankeinlagen konstatieren.
Dies veranlasste Robert King und Charles Plosser 1984 zu einem berühmten Aufsatz, in dem sie in die Theorie realer Konjunkturzyklen das Geld einbauten – aber nicht in einer aktiven, sondern in einer passiven Rolle.3) Die umlaufende Geldmenge wird nicht durch die Zentralbank definiert, sondern durch die Wirtschaftssubjekte. Es ist endogenes, überwiegend durch die Kreditvergabe von Geschäftsbanken geschaffenes Geld – eine Konzeption, die in den vergangenen 200 Jahren immer wieder von Ökonomen vertreten worden ist.
In diesem Zusammenhang – und im Lichte kurioser Debatten unserer Tage – ist es der Erwähnung wert, dass hier endogenes Geld in einer neoklassischen Theorie auftaucht. Das ist zwar seit Jahrzehnten bekannt, aber gerade in Blogs wird immer wieder die seltsame These vertreten, endogenes Geld wäre eine Spezialität von Postkeynesianern oder Anhängern der “Modern Monetary Theory” (MMT) und stände im Gegensatz zur Neoklassik. Das ist abwegig.
Für unser Thema ist die Feststellung wichtig: Mit der Theorie realer Konjunkturzyklen verschwand nicht das Geld aus der Wirtschaft, aber es verschwand als Objekt der ökonomischen Analyse. Da annahmegemäß in der Wirtschaft immer störungsfrei jene Geldmenge entsteht, die man dort braucht, kann man das Geld aus der Theorie verbannen.
Fünfter Akt: Märkte sind nicht perfekt – und auf den Zins kommt es an
Die Theorie realer Konjunkturzyklen ist heute nicht mehr der Mainstream ökonomischen Denkens, weil die empirischen Probleme gewaltig sind. Durchgesetzt hat sich die sogenannte “neokeynesianische Makroökonomik”, die wesentliche Elemente wie die Mikrofundierung der Makroökonomik und die realen Erwartungen beibehalten, aber Abkehr von der Annahme perfekt funktionierender Märkte genommen hat. Wenn man annimmt, dass Güter- und Arbeitsmärkte nicht perfekt funktionieren und Preisanpassungen mit Verzögerungen stattfinden – zum Beispiel, weil auf den Gütermärkten Produzenten Marktmacht haben oder auf dem Arbeitsmarkt Tarifverträge rasche Lohnanpassungen verhindern – lassen sich damit Konjunkturschwankungen erklären.
In solchen Modellen kann Geldpolitik in der Krisenbekämpfung eine Rolle spielen, aber in diesen Modellen beruht die Geldpolitik nicht mehr auf einer Steuerung der Geldmenge, sondern auf der Steuerung des Zinses. Man bestimmt, beispielsweise auf der Basis einer Taylor-Regel, einen optimalen Notenbankzins. In dieser Regel haben monetäre Größen wie Geld- oder Kreditmengen keinerlei Platz.
Schematisch und vereinfacht sieht eine Taylor-Regel so aus:
Notenbankzins = natürlicher Zins + Abweichung des erwarteten vom potentiell möglichen Wirtschaftswachstum4) + Abweichung der erwarteten von der erwünschten Inflationsrate
Monetäre Größen wie Geld- oder Kreditmengen kommen in der Taylor-Regel ersichtlich nicht vor. Das Geld ist damit selbst aus der Analyse der Geldpolitik verbannt worden. Der wichtigste Vertreter dieser Theorie der Geldpolitik, Michael Woodford, hatte im Jahre 2006 auf einer EZB-Konferenz in einem Beitrag die These vertreten, dass eine ergänzende Betrachtung monetärer Größen wie der Geldmenge keinen Sinn habe.5) Und man kann nicht bestreiten, dass etwa von 1990 bis 2008 die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in vielen Ländern – solides Wirtschaftswachstum bei tendenziell fallender Inflation – den Eindruck vermittelte, man verfüge über eine leistungsfähige gesamtwirtschaftliche Theorie.
So war das Geld aus der Mainstream-Makroökonomik verschwunden, als die Finanzkrise ausbrach.
- 1) Dies ist der seit langem versprochene dritte Teil der Reihe “Was ist Geld und warum hat es einen Wert?”, deren erste beiden Teile hier und hier zu finden sind.
- 2) In seiner Nobelpreis-Vorlesung fasst dies Lucas so zusammen:
“The main finding that emerged from the research of the 1970s is that anticipated changes in money growth have very different effects from unanticipated changes. Anticipated monetary expansions have inflation tax effects and induce an inflation premium on nominal interest rates, but they are not associated with the kind of stimulus to employment and production that David Hume described. Unanticipated monetary expansions, on the other hand, can stimulate production as, symmetrically, unanticipated contractions can induce depression. The importance of this distinction between anticipated and unanticipated monetary changes is an implication of every one of the many different models, all using rational expectations, that were developed during the 1970s to account for short-term trade-offs.”
- 3) King/Plosser schreiben: “This paper integrates moneyand banking with real business cycle theory. The result is a class of models that can account for the correlation between money and business cycles in terms that most economists would label ‘reverse causation.’”
- 4) Übliche Bezeichnungen für diese Differenz sind “Produktionslücke” oder “Output Gap”.
- 5) Woodford schreibt: “But there is at present little reason for the quest for such a robust framework to devote much attention to questions such as the construction of improved measures of the money supply or improved econometric models of money demand. For there is little intelligible connection between those questions and the kinds of uncertainty about the effects of monetary policy that are the actual obstacles to the development of more effective, more reliable, and more transparent ways of conducting policy.”