Es gibt verschiedene Gründe für die positive deutsche Leistungsbilanz. Und die deutsche Politik kann wenig daran ändern.
Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise gehen mit neuen, zum Teil sehr schwierig einzuschätzenden Herausforderungen einher. Daher treten vor der Krise engagiert ausgetragene Debatten gerade in den Hintergrund. Aber manche Debatte dürfte im Zuge der in Gang gekommenen Erholung wieder aufleben. Dazu zählen zweifellos die seit vielen Jahren beobachtbaren, im In- wie im Ausland kontrovers diskutierten hohen Überschüsse der deutschen Leistungsbilanz. In den vergangenen Wochen hat die Deutsche Bundesbank hierzu einen Beitrag in einem Monatsbericht sowie eine Studie zweier Ökonomen in ihrer Reihe wissenschaftlicher Diskussionsbeiträge veröffentlicht. Das ist Grund genug, einen Blick darauf zu werfen.
Debatten über den Leistungsbilanzüberschuss sind in Deutschland traditionell von einer bemerkenswerten Diskrepanz zwischen Erörterungen durch interessierte Laien, Politikern und manche Interessenvertretern (zum Beispiel aus Wirtschaftsverbänden) einerseits und Ökonomen andererseits gekennzeichnet. Die erste Gruppe erklärt den Überschuss vor allem mit einer hohen Wettbewerbsfähigkeit der Exportunternehmen; der Überschuss erscheint als Zeichen der Stärke der deutschen Wirtschaft. Diese Denkweise entstammt dem Zeitalter des Merkantilismus, der zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert ideeller Wegbegleiter des Frühkapitalismus war. Damals galt es als wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel, möglichst hohe Überschüsse im Außenhandel zu erzielen.
Die Geschichte ökonomischen Denkens endet allerdings nicht mit dem Merkantilismus. Mit der Leistungsbilanz ändert sich üblicherweise auch die Bilanz der internationalen Kapitalbewegungen: Ein Leistungsbilanzüberschuss geht gewöhnlich mit einem Kapitalbilanzdefizit einher. Konkret bedeutet dies, dass gleichzeitig mit einem Leistungsbilanzüberschuss ein Export heimischer Ersparnis beobachtet wird. Fachleute sprechen in dieser Situation von einem Nettokapitalexport. Ein Export heimischer Ersparnis findet statt, wenn für die Sparer in Deutschland nicht genügend attraktive Investitionsmöglichkeiten im Inland existieren – sei es in der privaten Wirtschaft oder beim Staat.
Das allerdings wäre kein Zeichen wirtschaftlicher Stärke. Kaum etwas ist Nichtökonomen in Deutschland schwieriger zu vermitteln als die für Ökonomen leicht nachvollziehbare Überlegung, dass der Leistungsbilanzüberschuss, auf den viele Menschen so stolz sind, wohl zumindest zum Teil die Folge von Sparentscheidungen ist, die auch Resultat einer Standortschwäche sein könnten. Ob der Leistungsbilanzüberschuss eher von der Güterseite oder von der Kapitalseite beeinflusst wird, steht nicht von vornherein fest.
Im Lichte dieser Überlegungen sind die Resultate neuer Untersuchungen interessant. „Simulationsergebnisse legen nahe, dass sich die Ersparnisbildung in Deutschland bis ins Jahr 2010 wegen der Arbeitsmarkt- und Steuerreformen der Agenda 2010, Bevölkerungsalterung und Rentenreformen deutlich erhöht hat“, schreiben die Ökonomen Kilian Ruppert und Nikolai Stähler in ihrem wissenschaftlichen Diskussionsbeitrag. „Da diese zusätzlichen Ersparnisse nicht vollständig im Inland investiert werden konnten, wurden Teile im Ausland angelegt. Der Leistungsbilanzüberschuss stieg.“ Hier wird die Rolle des Exports von Ersparnissen für den Saldo der Leistungsbilanz deutlich.
Seit dem Jahr 2010 hat die Ersparnisneigung der privaten Haushalte nicht zugenommen, wohl aber der Leistungsbilanzüberschuss. Eine andere Erklärung ist notwendig. Als wichtige Ursachen nennen Ruppert und Stähler „eine restriktive Fiskalpolitik in Deutschland (in Kombination mit einer vergleichsweise expansiven Politik im Rest der Welt), ein Rückgang der Investitionen im deutschen Unternehmenssektor und verbesserte ökonomische Bedingungen in Schwellenländern, die die dortige Nachfrage nach deutschen Gütern, aber auch dortige Anlagemöglichkeiten ausbaute.“ Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte taucht im Zusammenhang mit der wachsenden Nachfrage von Schwellenländern nach deutschen Produkten auf, aber sie ist nicht die einzige Erklärung. Für Deutschland sei jedenfalls nicht offensichtlich, dass politische Fehlentwicklungen verantwortlich für den hohen Überschuss sind, urteilt die Bundesbank in ihrem Monatsbericht. „Deshalb ist es auch nicht zielführend, gezielte Maßnahmen zur Verringerung des Saldos zu ergreifen.“
Die Bundesbank hat mit Modellen simuliert, wie oft vorgeschlagene Maßnahmen, zum Beispiel eine expansivere Finanzpolitik oder Deregulierungen in der Dienstleistungsbranche, auf die Leistungsbilanz wirkten. In beiden Fällen reduzierte sich der Überschuss, aber der Effekt blieb gering. Die verbreitete Kritik, die Bundesregierung gehe nicht energisch gegen den Leistungsbilanzüberschuss vor, erweist sich als unbegründet.
Das heißt nun allerdings nicht, dass Deregulierungen in der Dienstleistungsbranche eine schlechte Idee wären, nur weil sie wenig auf die Leistungsbilanz wirkten. Sie dürften aus anderen Gründen sinnvoll sein.
Viel wichtiger für den deutschen Leistungsbilanzsaldo wären andere Entwicklungen. „So dämpfen eine Aufwertung des Euros oder ein Wachstumseinbruch in China den deutschen Leistungsbilanzsaldo spürbar“, schreibt die Bundesbank. „Angesichts dessen dürften für eine merkliche Rückführung des Überschusses rein nationale Maßnahmen in plausiblen Größenordnungen nicht ausreichen.“ Eine substantielle Verringerung des Überschusses setze auch Änderungen im internationalen Umfeld voraus.
In den vergangenen Jahren erreichte der deutsche Leistungsbilanzüberschuss in der Spitze rund 9 Prozent der Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr. Für 2020 erwartet die Bundesbank als Ergebnis der Covid-Rezession einen Rückgang auf rund 5 Prozent der Wirtschaftsleistung, aber schon im kommenden Jahr dürfte der Leistungsbilanzüberschuss aber wieder zulegen. Unabhängig von den konkreten Zahlen wäre eine gelassenere Erörterung dieses Phänomens hilfreich. Weder sind im internationalen Vergleich hohe Leistungsbilanzüberschüsse geeignet für Ausbrüche nationalen Stolzes, noch eignen sie sich für grobschlächtige Schuldzuweisungen an die deutsche Politik.
Sprunghaft steigende Einkommen aus Auslandsvermögen
In der Diskussion um die LB-Überschüsse wird meist nicht beachtet, welche Rolle die sogenannten Primäreinkommen für die deutsche Zahlungsbilanz mittlerweile spielen. Dies geht aus dem Monatsbericht der Bundesbank für März 2020 hervor.
https://www.bundesbank.de/resource/blob/829052/770a92f39c8f3c8cb0110845c28a8721/mL/2020-03-zahlungsbilanz-data.pdf
Zu den Primäreinkommen gehören die grenzüberschreitenden Arbeitsentgelte, also die Löhne und Gehälter, die Deutsche im Ausland verdienen. Dieser Posten war 2019 mit minus zwei Milliarden Euro leicht negativ. Wichtigste Teil-Position sind jedoch die Einkommen, die die Deutschen mit dem Vermögen erzielen, das sie im Ausland angelegt haben.
Wie die Grafik auf Seite 27 des Monatsberichts zeigt, ist der Saldo der Vermögenseinkommen in den vergangenen Jahren geradezu explosionsartig angestiegen. Noch vor 15 Jahren war dieser Posten negativ, 2019 belief sich der Saldo jedoch auf 94,5 Milliarden Euro.
Dies entsprach einem Anteil von fast 40 Prozent an den gesamten LB-Überschüssen! Anders ausgedrückt entfallen rund fünf Prozent des Bruttonationaleinkommens in der Bundesrepublik auf Vermögenseinkommen aus dem Ausland.
Entgegen all den Vorurteilen, die durchs Web geistern, nimmt das Auslandsvermögen der Deutschen kontinuierlich und sprunghaft zu. Noch vor 15 Jahren war die Bilanz ausgeglichen: Ausländer hatten in Deutschland ziemlich exakt genauso viel Vermögen angelegt wie umgekehrt die Deutschen im Ausland.
Jetzt jedoch übersteigt das deutsche Vermögen im Ausland sehr erheblich das ausländische Vermögen in Deutschland. Die Differenz betrug 2019 rund 2,4 Billionen Euro. Gegenüber dem Vorjahr nahm das Netto-Auslandsvermögen um rund 300 Milliarden zu. Ursache für den steilen Anstieg sind in erster Linie die akkumulierten LB-Überschüsse.
Da das Netto-Auslandsvermögen auch in Zukunft kräftig wachsen dürfte, werden die Vermögenseinkünfte ebenfalls weiter zulegen. Die ausländischen Staatsanleihen, die die Deutschen massenhaft gekauft haben, bringen zwar nur jämmerliche Renditen. Doch mit Direktinvestitionen, also Fabriken, Firmenbeteiligungen etc., erzielten deutsche Investoren 2019 prächtige Gewinne.
In der Corona-Krise sind diese Einkommen zwar arg geschrumpft. Doch wenn die globale Wirtschaft die Pandemie ebenso rasch überwindet wie vor einem Jahrzehnt die Finanzkrise, dann dürften die Gewinnquellen in absehbarer Zeit erneut kräftig sprudeln. Würden die ausländischen Vermögenseinkommen komplett vom Staat abgeschöpft (was natürlich reine Theorie ist), könnten damit spielend alle nur denkbaren Defizite in den öffentlichen Haushalten und der Sozialversicherung finanziert werden.
"Würden die ausländischen Vermögenseinkommen komplett vom Staat abgeschöpft ..."
Sie meinen also nicht Besteuerung, sondern Enteignung?
Zur Interpretation der Zahlungsbilanz
Ich vermute, sie ist wie eine unvollständige, ungenaue Bilanz einer Firma. Sie
ist eine Tautologie: man addiert in einem Posten, was in einem anderen
substrahiert, am Ende ist die Summe der Additionen und der Substraktionen
gleich. Mir bleibt nur ein Rätsel, wie sie berechnet wird. Warenbewegungen
sind sicher leichter zu erfassen, bei Dienstleistungen schwieriger, vielleicht mit Angaben für die Steuer, Gold- und Devisenbewegungen sicher einfach, wenn Sie über die Zentralbank laufen, wie viel Reparationen man zahlte, wird man sicher wissen. Mit dem Kapitalverkehr ist sicher nicht mehr so einfach, wahrscheinlich aus Bilanzen von Firmen oder Steuerunterlagen? Und wenn Transaktionen im Ausland laufen, dann sicher schwieriger: Ausschüttungen von Effekten und Anlagen, Umschichtungen im Ausland, etc. Oder werden diese nicht mehr erfasst?
Aber wenn wir bei Waren bleiben: der Überschuss bedeutet weniger Angebot
und eventuell mehr Liquidität, ist also eventuell Preistreibend.
Um das Rätselraten über Wesen und Inhalt einer Zahlungsbilanz zu beenden: Hier ist ein ausführlicher Bericht der Bundesbank über die deutsche Zahlungsbilanz des Jahres 2019:
https://www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/monatsberichte/monatsbericht-maerz-2020-828870
Gruß
gb
Vielen Dank!
Das muss ich mit dem Zeigefinger und viel Zeit lesen, es lohnt sich sicher.
Es ist aber eine Analyse der Zahlungsbilanz, nicht die Zahlungsbilanz. Es sind
viele Zahlen im Text, die nicht in den Posten der Zusammenfassungen stehen,
Änderung der Target Salden fehlen zum Beispiel, aber Target wird ausführlich
behandelt. Ich würde aber lieber zuerst die Bilanz selbst sehen, die Zahlen,
Soll und Haben, überschaubar geordnet, die übereinstimmenden Summen von
Soll und Haben dabei, mit Zahlen auch von Vorjahren. Dann eine Erklärung,
was die Posten bedeuten. Erst dann eine Analyse lesen. Das Rätsel aber,
wie sie berechnet wird, bleibt. Je beeindrückender das Ergebnis, desto mehr
fragt man sich, wie man auf es kommt. Hier handelt es sich nicht um
Buchungen von Transaktionen eines überschaubaren Kleinladens. Zwar
mögen die Zahlen Steuerrelevant sein, aber meine Mutmaßungen oben sind Provokation :), denn mit Schätzungen der Posten mit Angaben verschiedener Quellen wird man wahrscheinlich nichts genaues erreichen. Also woher
kommen die Zahlen, wer macht die Buchungen? Und bei meiner letzten
Frage oben geht es darum, ob bei der Zahlungsbilanz nur um so zu sagen
grenzüberschreitende Transaktionen geht oder um alle Transaktionen, die
Inländer im Ausland und Ausländer im Inland betreffen. Für das erste spricht,
dass ich in den mir bekannten Bilanzen der 1920er keinen Posten für Gewinne aus
ausländischer Investitionen erkenne, obwohl es Posten für Zinsen, für Effekten
und Investitionen gibt. Ich habe aber die ganzen Erklärungen über diese Bilanzen
nicht. Auch die Fixierung auf die Leistungsbilanz und die Darstellung vom
Rest als Nebenprodukt spricht dafür. Für das zweite spricht, wie großzügig das Bericht der BuBa über das Vermögen der Deutschen schreibt. Werden also Gewinne von ausländischen Investitionen, die im Ausland bleiben, erfasst?
Werden im Ausland stattfindende Umschichtungen erfasst? Vielleicht finde ich
es heraus aus einem Nebensatz im Bericht. Übrigens, interessant finde ich
die Aufgliederung von Ausfuhr und Einfuhr in Seite 24.
Also doch nach Posten berechnet
Siehe Fußnote 12 in “Wichtige Posten der Zahlungsbilanz” unter:
https://www.bundesbank.de/de/presse/pressenotizen/die-deutsche-zahlungsbilanz-im-august-2019-810746
Auch die Zahlungsbilanzen der 1920er hatten einen Posten für nicht aufgliederbare Transaktionen.
Übrigens, unter diesen “wichtigen Posten” sehe ich keinen für Gewinne aus
ausländischen Investitionen.
Und merkwürdig, dass die Gleichung bei Fußnote 12 stimmt, ...
… obwohl es ein wichtiger Posten für Änderung von Targetsalden fehlt. Oder
sind diese Größen irgendwo versteckt?
Bunsdesbak unter Punkt 4
Da ist Platz für Targetsalden. :).
Titel eingeben
Relevant zum Thema:
https://www.faz.net/aktuell/finanzen/bundesbank-das-auslandsvermoegen-der-deutschen-ist-gewachsen-16979564.html
Da steht nichts über die Berechnungsmethode, aber gibt den Eindruck, dass man eben nicht genau weiß, wie angelegt wird.
Man macht sich und anderen Lesern das Leben leichter, wenn man einfach den in Texten angegebenen Quellen folgt und dort nachschaut. Auf der Seite der Bundesbank findet man dann ohne jede Schwierigkeit diese Tabelle:
https://www.bundesbank.de/resource/blob/846020/94a3939dc530d26035802b749cd8b069/mL/2020-09-30-auslandsvermoegen-anlage-data.pdf
Gruß
gb
Zur Methode
Danke! Wieder eine stolze Tabelle, die man mit aller Ruhe untersuchen soll, aber die Fragen über die Entstehung der Zahlen und daher über ihre genauen Bedeutung ist leider auch da nicht beantwortet. Mittlerweile habe ich auch gegoogelt. Interessante links:
(1) Daten weden auf Grund einer Meldepflicht unmittelbar gesammelt:
https://www.bundesbank.de/de/service/meldewesen
(2) Es gibt mehrere Publikationen über die Methode, ganze Bücher:
https://www.bundesbank.de/de/statistiken/aussenwirtschaft/zahlungsbilanz/methodische-erlaeuterungen-772308
Handelsdefizite sind kein Unglück
@ Rum
Sie schreiben: „Wer nur kauft, verschuldet sich ohne Ende, wer nur verkauft, gibt Kredit ohne Ende, beides unmöglich.“
Dahinter steht offenbar die Vorstellung, Kapitalexporte würden grundsätzlich aus Krediten bestehen. Dieser Mythos, der durch sämtliche deutschen Wirtschafts-Blogs geistert, hat freilich mit der Realität absolut nichts zu tun.
Kapitalexporte manifestieren sich vielmehr zu einem sehr großen Teil in Sachvermögen, also in Aktien, Immobilien und Firmenbeteiligungen. Der norwegische Pensionsfonds legt seine Mittel zu 70 Prozent in Aktien und zu fünf Prozent in Immobilien an. Der Rest besteht aus Anleihen. Allenfalls dieser dritte Posten kann als Kredit aufgefasst werden; die beiden anderen Anlageklassen, in die der norwegische Staatsfonds investiert, sind dies definitiv nicht.
Ähnliches gilt für das deutsche Auslandsvermögen, das ebenfalls bei weitem nicht nur aus Handels- und Finanzkrediten besteht. Besonders deutlich zeigen dies die deutschen Investments in den USA, also jenem Land, mit dem die Bundesrepublik die höchsten Leistungsbilanzüberschüsse erzielt.
Die Dollar, die die deutsche Exportwirtschaft im Handel mit den USA verdient, wurden und werden zu einem Gutteil zum Kauf amerikanischer Unternehmen verwendet. Siemens übernahm beispielsweise den amerikanischen Elektrokonzern Westinghouse, Bertelsmann ist nach zahllosen Akquisitionen jetzt der mit Abstand größte Buchverlag in den USA, Bayer erwarb 2018 nach einer spektakulären Übernahmeschlacht den Gensaaten-Hersteller Monsanto aus Missouri.
Gleichzeitig haben eine ganze Reihe deutscher Industrie-Unternehmen in den USA in großem Stil eine eigene Produktion aufgezogen. Der Chemiekonzern BASF errichtete in Alabama einen riesigen Verbundstandort. Nicht weit davon entfernt betreibt der Flugzeughersteller Airbus ein Montagewerk. Gleich drei deutsche Autobauer haben in den Südstaaten große Fabriken gebaut – Daimler, BMW und Volkswagen.
Die Löhne sind in den gewerkschaftsfreien Südstaaten erheblich niedriger als in Deutschland. Überdies fallen keine Kosten für den Übersee-Transport an. Ferner hilft eine lokale Fertigung, Wechselkursrisiken zu vermeiden. Nicht zuletzt können die Unternehmen mit einer Produktion in den USA für gut Wetter in Politik, Medien und Öffentlichkeit sorgen.
Wenn Kapitalexporte sich in Direktinvestitionen (FDI) niederschlagen, dann haben sie natürlich den Effekt, dass Warenexporte peu à peu durch inländische Fertigung ersetzt werden. Die Autos, die in Alabama, South Carolina oder Tennessee vom Band laufen, können nicht gleichzeitig in München, Sindelfingen und Wolfsburg zusammengeschraubt werden. Für die USA haben die anschwellenden Direktinvestitionen aus Deutschland zahlreiche volkswirtschaftliche Vorteile:
1. Kapitalexporte schaffen Arbeitsplätze. In den Betrieben, die deutsche Industrie-Unternehmen in den USA aufgekauft oder neu gegründet haben, sind circa 800.000 Menschen beschäftigt. Das ist selbst für dieses riesige Land eine nicht ganz kleine Zahl.
2. Kapitalexporte machen ausländische Investoren reich. Für die Übernahme von Monsanto zahlte Bayer mehr als 60 Milliarden Dollar, einen nach Ansicht vieler Experten reichlich hohen Preis. Das Geld floss ganz überwiegend in die Taschen amerikanischer Investoren, darunter Asset Manager, Hedgefonds, Banken, Versicherungskonzerne und private Kleinanleger.
3. Kapitalexporte fördern Güterexporte in den Zielländern. In South Carolina betreibt BMW eine Fabrik, in der pro Jahr rund 500.000 Roadster und Sport Activity Vehicles hergestellt werden können. Der größte Teil der produzierten Fahrzeuge wird exportiert – nach Europa, aber auch nach China. Die Ausfuhren summieren sich auf jährlich etwa zehn Milliarden Dollar. Laut dem amerikanischen Handelsministerium ist BMW der größte Auto-Exporteur der USA – weit vor Ford und General Motors!
Diese Tatsachen belegen, dass Handelsdefizite keineswegs nur negative Folgen haben müssen. Denn sie sind stets mit Kapitalimporten verbunden, die unter Umständen kräftige Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung geben, das Wachstum beflügeln und den Wohlstand steigern.
Seit vier Jahrzehnten erleiden die USA im Außenhandel Jahr für Jahr riesige Defizite. Zugleich hat die Bundesrepublik seit der Nachkriegszeit in den allermeisten Jahren mehr oder weniger große Handelsüberschüsse erwirtschaftet. Die Ungleichgewichte im bilateralen Außenhandel sind gewaltig. Dennoch haben beide Länder in den vergangenen Jahren respektable, annähernd gleich hohe Wachstumsraten erzielt.
Hieraus kann nur der Schluss gezogen werden: Ein Plus oder ein Minus in der Leistungsbilanz – und sei es noch so groß – muss für eine Volkwirtschaft keineswegs dramatische Konsequenzen haben, auch nicht auf lange Sicht.
Ich verstehe nicht: ...
… (1) Warum Sie einen neuen Beitrag eröffnen und nicht als Antwort auf den alten Schreiben, und (2) warum sie so lang, verworren und falsch bei einem so einfachen Sachverhalt schreiben. Wenn eine Leistung mit Sachvermögen, also Aktien, Immobilien oder Firmenbeteiligungen ausgeglichen wurde, dann fand ein Ausgleich statt.
Jetzt sehe ich ...
… denn die Leistungsbilanz enthält nur Waren und Dienstleistungen.
Die Kapitalbilnaz ist ein schwacher Regent
„Die Kapitalbilanz regiert die Leistungsbilanz“ – das ist ein oft zu lesender Ausspruch in solchen Diskussionen, der wohl auf den guten alten Böhm-Bawerk zurückgeht. So ganz richtig aber ist die Sentenz freilich nicht. In der Wirklichkeit geht den Kapitalexporten meist logisch und faktisch ein entsprechender Export von Gütern voraus.
Besonders klar zeigt dies der Fall Norwegen. Das kleine skandinavische Land ist einer der größten Kapitalexporteure Europas. Der staatliche norwegische Pensionsfonds hat im Ausland aktuell rund eine Billion Euro investiert, vorzugsweise in Aktien, aber auch in Anleihen und Immobilien.
Woher stammen die immensen Mittel? Natürlich aus dem Export von Rohöl und Erdgas, das Norwegen in seinem Teil der Nordsee fördert. Einen Gutteil der Devisenerlöse kassiert der Staat in Form des Förderzinses. Diese Gelder werden wiederum weitgehend in den Staatsfonds gesteckt, der die Einnahmen für die Zeit nach dem Öl investiert, das in der Nordsee ja bald zur Neige geht und das ohnehin keine allzu rosige Zukunft hat.
Der Grund besteht aber auch darin, dass Norwegen die immensen Öleinnahmen gar nicht sinnvoll ausgeben kann, zum Beispiel für importierte Waren. Ein ungebremster Influx von Kapital würde in dem kleinen Land vermutlich eine verheerende Inflation auslösen, unter der – abgesehen von der Ölindustrie – nahezu alle Branchen der norwegischen Wirtschaft leiden würden. „Dutch Disease“ heißt dieses Phänomen, dessen fatale Auswirkungen die Niederlande bereits in den 1970er Jahren zu spüren bekamen.
Oft ist die These zu hören, dass Kapitalexporte das dominierende Movens sind und den Export physischer Güter nach sich ziehen. Dies behauptet beispielsweise der amerikanische Ökonom Peter Navarro, zeitweise Berater von Präsident Trump. Wie der zitierte Fall zeigt, ist dies jedoch meist genau andersherum: Zunächst holen die guten Norweger vor ihrer Küste Öl und Gas aus dem Meer, das für teuer Geld an Kunden aus aller Welt verkauft wird. Die hereinströmenden Petro-Dollars fängt der Staat zum größten Teil ab und investiert die Gelder an den internationalen Kapitalmärkten. Ebenso wie Norwegen haben auch mehrere Ölförderstaaten des Nahen Ostens Staatsfonds zum Recycling der Petro-Dollars gegründet.
Es ist für mich schlicht nicht vorstellbar, dass die Investments dieser Sovereign Wealth Funds in irgendeiner nennenswerten Weise Ölausfuhren evozieren. Der norwegische Pensionsfonds hat ungefähr 30 oder 40 Milliarden Euro in Dax-Aktien investiert. Hat dies irgendetwas zu tun mit den deutschen Öleinfuhren aus Norwegen?
Kauft man, um zu verkaufen, oder verkauft man, um zu kaufen?
Ja, es gibt Länder, die kaufen müssen, weil sie verkaufen müssen. Da unterschiedet sich vielleicht (vielleicht!) Norwegen vom Nahen Osten. Da Deutschland nicht genug Rohstoffe und ursprünglich nicht genug Agrarland für seinen Bedarf hatte, war die ursprünliche (ursprüngliche!) Idee hinter dem Export das letzte. Wer nur kauft, verschuldet sich ohne Ende, wer nur verkauft, gibt Kredit ohne Ende, beides unmöglich.
Die Kapitalbilanz regiert die Leistungsbilanz
Beides resultiert aus dem Überschiessen der inländischen Ersparnis über die inländischen Investitionen. Auf beiden Seiten der Gleichung kann die Wirtschaftspolitik ansetzen. Im Übrigen gehen ja Lieferungen und deren Finanzierung Hand in Hand. Die ausländische Direktinvestition eines deutschen Unternehmens führt zu Exporten in gleicher Höhe.
Ein Währungsraum
Wenn Leistungsbilanzüberschüsse in einer Fremdwährung wie dem Dollar erzielt werden, können sie das dortige Banksystem nicht verlassen, weshalb logischerweise Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen der Eurozone und der Dollarzone, wenn es sie denn gäbe, nicht durch individuelle “Sparentscheidung” begründet sein können. Weil es zwischen unterschiedlichen Währungsräumen keinen gemeinsamen Standard zum Saldenausgleich gibt, können Leistungsbilanzungleichgewichte gelegentlich problematisch werden und sind daher zu Recht gegenstand makroökonomischer Diskussionen. Innerhalb eines Binnenmarktes mit gemeinsamer Währung spielt es dagegen für den Wohlstand der Menschen oder die Leistungskraft der Unternehmen insgesamt keine Rolle, wie die Leistungsbilanzen einzelner Zonen dieses Wirtschaftsraumes aussehen. Für den Produzenten ist die lokale Verortung der zahlungskräftigen Nachfrage unwichtig, für den Konsumenten die Herkunft des Gutes, denn es gibt eine gemeinsame Verrechnungseinheit. Von Bedeutung ist natürlich das lokale/regionale/nationale Steueraufkommen, wo befinden sich die Arbeitsplätze etc., doch hier für einen Ausgleich zu sorgen fällt in den Bereich der Fiskalpolitik. Wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen Portugal und Holland oder zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen als Leistungsbilanzproblem zu betrachten, oder gar durch Harmonisierung der Leistungsbilanzen beheben zu wollen, ist unsinnig … es sei denn, man wünscht keinen Binnennmarkt und keine gemeinsamer Währung von Portugal, Holland, Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Hallo Herr Braunberger,
vielen Dank für den Hinweis. Allerdings erstaunt es mich, mit welcher Chuzpe die Deutsche Regierung auf die Kritik des IWFs und der Europäischen Kommission reagiert: “In Deutschland sei kein wesentlicher Politikfehler zu erkennen, der die hohen Überschüsse erklären könne” (sinngemäß zitiert). Zum einen trägt die restriktive Fiskalpolitik ein gehöriges Maß bei, weil durch sie die Binnennachfrage sinkt. Des weiteren kann auch durch die Erhöhung des Mindestlohns die Binnennachfrage gesteigert werden. Alles Maßnahmen, die im Rahmen der nationalen Gesetzgebung ergriffen werden können. Auch das größte Problem, das der sparenden (und eben nicht investierenden) Unternehmen, kann mittels Steuerabschöpfung bei den Gewinnen über die Staatsausgaben zur Steigerung der Binnennachfrage teilweise gelöst. Denn wenn sowohl die privaten Haushalte als auch die Unternehmen sparen, woher soll dann da Geld kommen? Beste Grüße, MK
Danke für diese beiden Quellen - spannend!
Wenn ich mir die Simulationen anschaue und das Fazit der beiden Mitarbeiter, dann wäre ich als Wirtschaftspolitiker ratlos. Mehrere relativ “kleine” Ursachen, die z.T. von der deutschen Regierung gar nicht beeinflußt werden können. Der Wechselkurs des EURO war, was man ja schon lange sah, für die deutsche Wirtschaft zu niedrig. Nur Wechselkurspolitik ist ja “so eine Sache” und in der EU schon gar nicht in der Hand der nationalen Regierungen. Die Fiskalpolitik ist jetzt expansiv, der EURO hat aufgewertet und die Auslandsnachfrage, vor allem nach Ausrüstungsgütern (Maschinenbau), ist niedrig. Also schauen wir mal. Wenn der Exportüberschuss jetzt nicht deutlich geringer wird, dann dürfen wir weiter rätseln.
"dann dürfen wir weiter rätseln"
Mit dem Altern der Bevölkerung wird schwer sein, etwas bezüglich des Überschüsses zu ändern.
Die Überschüsse bleiben voraussichtlich hoch
Bislang ist noch nicht recht zu sehen, dass die deutschen Exportüberschüsse kräftig schrumpfen würden. Es sinken ja nicht nur die Ausfuhren, sondern zugleich auch die Einfuhren, wie aktuelle Zahlen von Destatis belegen.
Im ersten Halbjahr 2020 nahm der Export von Gütern um 13,4 Prozent auf 576,8 Milliarden Euro gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum ab. Es sanken aber auch die Importe, und zwar um 11,7 Prozent auf 499,4 Milliarden Euro. Der Rückgang war zwar nicht ganz so stark wie bei den Exporten, aber doch ebenfalls sehr beträchtlich.
In Summa erzielte die deutsche Wirtschaft in den Monaten Januar bis Juni 2020 einen Leistungsbilanzüberschuss von 103,9 Milliarden Euro. Dies waren 11,7 Prozent weniger als im ersten Halbjahr 2019; seinerzeit belief sich der Überschuss auf 117,7 Milliarden Euro.
Zugleich ist aber auch das Bruttoinlandsprodukt in der ersten Jahreshälfte deutlich gesunken, und zwar von 1.692,7 Milliarden auf 1.622,2 Milliarden Euro. Hieraus lässt sich errechnen, dass der LB-Überschuss 2019 rund sieben Prozent des BIP betrug, während er sich in der Zeit von Januar bis Juni 2020 auf 6,4 Prozent belief.
Es gibt m. E. eine ganze Reihe von Gründen, warum sich die Importe auch in der absehbaren Zukunft annähernd im Gleichtakt mit den Exporten bewegen werden, so dass die hohen deutschen LB-Überschüsse im Wesentlichen bestehen bleiben dürften.
1. Wenn die Exporte der Autohersteller, Maschinenbauer und Elektro-Unternehmen einbrechen, dann beziehen sie ebenfalls weniger Vorleistungen aus dem Ausland. Die PKW, die in den deutschen Autofabriken vom Band rollen, bestehen zu einem Drittel aus Bauteilen und Komponenten, die in den europäischen Nachbarländern gefertigt werden.
2. Die weltweiten Lockdowns zur Bekämpfung der Pandemie haben gezeigt, wie brüchig die internationalen Lieferketten häufig sind. Viele Unternehmen denken nun dran, ausgelagerte Produktion in die Inlandsbetriebe zurückzuholen.
3. Die Corona-Krise dämpft ebenfalls die Binnennachfrage. Wer in Kurzarbeit ist, seinen Job verloren hat oder als Selbständiger in Existenznot gerät, muss zwangsläufig seinen Konsum einschränken. Er wird kein Auto aus Japan, keinen Fernseher aus Korea und keinen Laptop aus Taiwan kaufen.
4. Zu den am stärksten von Covid-19 betroffenen Branchen gehört der Tourismus. Die Beschränkungen dürften bis auf Weiteres anhalten, zumal heimkehrende Urlauber offenbar wesentlich zum Anstieg der Neu-Infektionen im August beigetragen haben.
5. Flugzeuge, die nicht fliegen, Autos, die nicht fahren, und Kreuzfahrtschiffe und Containerfrachter, die auf Reede liegen, benötigen keinen Sprit. Das dämpft die Einfuhr von Rohöl und erhöht zugleich den Druck auf die Ölpreise. Diese Mengen- und Preiseffekte werden sich voraussichtlich ebenfalls in der Importstatistik bemerkbar machen.
6. Schließlich ist zu bedenken, dass die Primäreinkommen, die Unternehmen, Banken und Haushalte im Ausland verdienen, ebenfalls einen nicht ganz unwichtigen Bestandteil der Leistungsbilanz bilden. Da die heimische Wirtschaft auch künftig beträchtliche Exportüberschüsse erzielen wird und der Nettokapitalexport damit gleichfalls anhält, dürfte sich das Auslandsvermögen weiterhin kräftig mehren. Gleichbleibende Renditen unterstellt, werden die Primäreinkommen also auch in Zukunft zunehmen.
All dies wird dafür sorgen, dass die LB-Überschüsse der deutschen Wirtschaft über kurz oder lang erneut zum Zankapfel werden.
Der Euro
Zitat: „So dämpfen eine Aufwertung des Euros oder ein Wachstumseinbruch in China den deutschen Leistungsbilanzsaldo spürbar“ Was macht das dann mit Ländern wie Spanien oder Italien? Wäre es nicht dringend nötig das diese Länder wieder zu einer eigenen Währung zurückkehren und auch abwerten könnten? Ist dadurch nicht der Euro gescheitert? Finanzieren die Deutschen mit ihren im Ausland angelegten Ersparten in Form von Krediten nicht die Konsumblasen dieser Länder? Wie lange kann das gut gehen?
Der Euro wertet seit längerer Zeit gegenüber dem Dollar auf und der Euroraum ist nicht zusammengebrochen.
Gruß
gb
Titel eingeben
Sie schreiben:
„Was macht das (i. e die Aufwertung des Euros) dann mit Ländern wie Spanien oder Italien? Wäre es nicht dringend nötig das diese Länder wieder zu einer eigenen Währung zurückkehren und auch abwerten könnten?“
Da sehe ich mal wieder den Hochmut und die Vorurteile des nordeuropäischen Bloggers. Ob Sie es glauben oder nicht: Italien und Spanien erzielen seit Jahren ansehnliche Leistungsbilanz-Überschüsse. Im Falle Italiens liegt das Plus bei rund 50 Milliarden Euro pro Jahr, bei Spanien sind es circa zehn bis 20 Milliarden. Wenn diese Länder die Eurozone verlassen würden, dann werden die neuen nationalen Währungen womöglich AUFwerten statt ABzuwerten. Tja, Ökonomie ist ein Tricky Business.
Im Übrigen ist der Außenhandel dieser beiden südeuropäischen Länder stark auf die Eurozone konzentriert, während die deutschen Exporte überwiegend nach Übersee gehen. Eine Aufwertung des Euros trifft Italien und Spanien mithin weit weniger als die Bundesrepublik. Wenn in diesem Jahr die Touristenströme versiegen, dann wegen Corona und nicht wegen des starken Euros.
n
Kaum etwas ist Nichtökonomen in Deutschland schwieriger zu vermitteln ...
Die meisten scheinen nicht mal zu verstehen, dass Überschuss/Defizit etwas mit Kredit zu tun hat.
Die meisten verstehen auch nicht ...
… dass die Verbindlichkeiten des einen die Forderungen des anderen sind.