Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Die Rechnung für Griechenland, bitte

Rückstellungen sind in der Buchhaltung zumeist ein enorm unerfreuliches Thema. Aber nötig, wenn man überleben will.

Der mir bekannte, lockere Internetunternehmer J. etwa hat zwei Firmen mehr oder weniger vor die Wand gefahren, und zwar beide Male nach dem gleichen System: Er hat sie gegründet, gross gemacht, Gewinne ausgeschüttet und darauf verzichtet, Rückstellungen zu bilden, etwa für anfallende Risiken aus Prozessen und Ärger mit den Kunden. Es gibt zwar eine Unmenge Literatur über die Problematik, Berechnung und Bewertung solcher Rückstellungen für „ungewisse Verbindlichkeiten“ und „Drohverluste“, aber der J. war eben lockerer Internetunternehmer und erfuhr davon erst, als er die Rückstellungen hätte brauchen können. Da war es aber schon zu spät.

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Umgekehrt weiss ich aus der Old Economy, wieviel Kopfzerbrechen solche Rückstellungen bei der Buchhaltung machen können, wie schwer es ist, sie zu berechnen, und wie ungern darüber gesprochen wird – belegen solche Rückstellungen doch, dass alte Geschäfte nicht ideal gelaufen sind, und sich anders entwickelten, als die ursprünglichen Berechnungen versprachen. Die Deutsche Bank etwa macht Rückstellungen für den Kirchprozess und die diversen Bankenskandale, und all die schönen, reservierten Millionen sagen eigentlich nur, dass man sich früher mit dem eigenen Treiben viel zu sicher war. Beim Startup-Gründer war das Thema tödlich, bei der Deutschen Bank ist es ein Makel, aber es gibt wenigstens Abteilungen, die sich damit auseinander setzen und grob einschätzen können, was da an Unbill auf die Bank zukommt. Schön ist es nicht, aber so ist die Wirtschaft, und die Aktionäre verstehen das – weil es zeigt, dass die Firma Probleme erkennt und angeht.

Wähler sind nicht ganz so nachsichtig, die ärgern sich schnell und wählen dann vielleicht die falsche Partei, wenn die Politik anfängt, Geld für unerwartete Vorkommnisse zurückzuhalten, statt es an die Bürger zurück zu geben. So erkläre ich mir auch auch den Umstand, dass momentan keine emsigen Beamten in Berlin durch das Finanzministerium eilen und Modelle für die Griechenlandkrise entwerfen, und deren Kosten dann veröffentlichen. Gleichwohl wäre es möglich und angeraten – es wäre eine komplexe Formel mit sehr vielen wackligen Variablen, angefangen bei den Kosten eines griechischen Bankenzusammenbruchs, über die Staatspleite bishin zur Aussenwirkung des Spektakels, das wir im Moment sehen. Jede Firma würde für die sich abzeichnende Pleite eines Geschäftsbereich Rückstellungen machen und jede Firma wäre gut beraten, Reserven zu haben, wenn sich das Management wie die Kesselflicker streitet, und zwar in aller Öffentlichkeit unter Beobachtung der Weltpresse – und dann auch noch über das Kernprodukt.

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Alles, was im Euroraum produziert wird, wird in Euro gemessen und versteuert. Man sollte eigentlich meinen, dass daher alle Beteiligten aufpassen, dass dieses Kernprodukt so gut wie möglich dasteht. Zumindest sollte es halbwegs stabil und als von allen getragen wirken – im Moment sieht es aber eher so aus, als würden sich die Partner des Projekts gegenseitig die Pest an den Hals wünschen. Das war so natürlich nicht gedacht, der Euro sollte alle stabilisieren und überall fette, reiche, geliebte Regierungen an die Macht bringen, die den Kapitalismus walten lassen. Krawattenlose Punks wie Gianis „V wie“ Varoufakis und Alexis Tsipras hätte es nie geben dürfen. Jetzt sind sie da, sie sind nicht handzahm und bislang nicht so korrupt wie ihre Vorgänger, und sie kommen nicht in Kotau-Haltung: Das vorläufige Scheitern der Verhandlungen des gestrigen Abends ist teuer für die Gemeinschaftswährung. Und wenn Griechenland austreten muss – wie würde man in der Wirtschaft das Versagen des Managements bewerten, eine tragbare und vorzeigbare Lösung zu finden?

Der Euro ist eben nicht nur ein Anlageprodukt, dessen Risiken sich berechnen lassen. Er ist aktuell das Ergebnis einer gescheiterten Fusion. Es gibt ein massives Managementproblem in einem Konglomerat diverser letztlich immer noch volkseigener Betriebe, genau an der Stelle, da eigentlich eine starke und stabile Gemeinschaft verkauft werden sollte. Man liefert dem Weltmarkt ein ganz anderes Produkt als eigentlich versprochen, und fairerweise müsste man wirklich auch einmal darüber reden, was das Misstrauen in Produkt und Konstrukt kostet. Und ob es nicht insgesamt gesehen billiger wäre, Griechenland, Italien, Spanien und Portugal vom Haken der Schulden zu lassen, wenn man partout der Währung nicht entsagen will – oder als Exportnation und Profiteur nicht entsagen kann.

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Könnte ein stabilisiertes Griechenland nicht besser privatisieren, würde ein nicht von la Crisi zerrissenes Italien stabilere Hauspreise und weniger Privatpleiten sehen, gäbe es in Spanien nicht mehr Investitionen, wenn da eine Aussicht auf ein Ende der Jugendarbeitslosigkeit existierte und der Konsum in Schwung käme, und welche positiven Auswirkungen hätte es auf die von Niedrigzinsen enteigneten, deutschen Sparer – das alles könnte man hierzulande mal durch- und mit den eventuell erlassenen Schulden gegenrechnen. Es gab so etwas nämlich schon einmal für ein ruiniertes Land in einer schweren Wirtschaftskrise. Das Land hiess Deutschland, und erlebte 1931 den Zusammenbruch seines Bankensystems in Folge des Weltkriegs, der Weltwirtschaftskrise und einer völlig verfehlten Bankenpolitik, die sehr an unsere eigene grosse Bankenkrise der letzten Jahre erinnert.

Damals gab es immerhin das gnädige Hoover-Moratorium für zwischenstaatliche Schulden, weil man sich in Amerika genau diese umfassenden Gedanken über die Auswirkungen eines Zusammenbruchs auf das amerikanische Kapital in Deutschland gemacht hatte. Es gab einen Ausschuss, der sich aus Spezialisten zusammensetzte und rational überlegte, was die beste Losung für alle wäre. Und im Jahr darauf die folgte die Konferenz von Lausanne, die de facto das Ende der Reparationszahlungen der Deutschen an die Alliierten bedeutete. Wie wir alle wissen, kam diese Einsicht zu spät, um den Aufstieg Hitlers zu verhindern. Aber zumindest setzte sich damals der gesunde Menschenverstand durch, dass man insgesamt durch den drohenden Zusammenbruch der deutschen Republik erheblich mehr als nur die Reparationen verlieren würde. Wenn man schon die Wahl zwischen diversen unangenehmen Rückstellungen in der Bilanz hat, sollte man eben nachrechnen und überlegen, was unter Berücksichtigung aller Risiken unerfreulicher ist – und dann die kleinere Buchhaltungskröte schlucken und daran denken, wie gross, glitschig und bitter erst die andere Kröte wäre. Das hat man in Lausanne zugunsten von Deutschland gemacht. Heute setzen wir Ultimaten bis zum Freitag.

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Jeder nicht ganz von allen guten Geistern verlassene Grosskonzern würde jetzt ein paar Volkswirtschaftler beauftragen, solche Berechnungen zu machen und zu überlegen, welches Resultat insgesamt für alle am besten ist, und mit den Teilhabern – hier den Völkern – offen reden. Den schleichenden Bank Run in Griechenland bitte nicht vergessen, den Umstand, dass die Griechen über das Target-System dieses Geld aus Europa bekommen, das Ansehen der Politiker berücksichtigen und vielleicht auch noch mit einbeziehen, dass man bei der nächsten EU-Subvention, bei Flüchtlingsströmen und der Ukraine wieder miteinander wird reden müssen, und auch jedes Revanchefoul – man denke an Maggie Thatcher – teuer werden kann. „Wir hatten zwar etwas anderes vereinbart, aber zusammen angesichts der Entwicklungen nachgedacht, das alles neu berechnet und sind nun zu dieser für keinen voll befriedigenden, aber tragbaren Lösung gekommen“ – das zu beschliessen und daheim zu vermitteln, war 1932 in Lausanne trotz der Erinnerungen an den Weltkrieg möglich. Damals zugunsten von Deutschland, und ich bezweifle, dass es uns heute schlechter gehen würde, wenn jemand in Griechenland nicht stirbt, wenn er sich den Arzt nicht leisten kann, in Italien nicht aus der Mülltonne essen muss oder in Spanien nicht die Koffer packt, um hier bei uns auf den Arbeitsstrich zu gehen.