Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Wie man wichtige Anliegen im Netz ruiniert

Es ist für eine linke Veranstaltung die schlimmste Vorstellung: Man hat passend zum Todespiloten von Germanwings eine Vortragende, die aus eigener Anschauung erklären kann, wie das Leben nit einer schweren, chronischen Depression ist, und die zudem durch das Internet bekannt genug ist, um die Menschen für das Thema zu interessieren. Leider gehen gerade aber auch Flüchtlingsboote im Mittelmeer unter, der linke Teil des Netzes empört sich über den Umgang mit Schwarzen – und genau dann beschwert sich eine farbige Autorin, die Veranstalter würden sie, die das Thema in Wirklichkeit gemacht und den dazu gehörigen Hashtag eingebracht hat, aus Motiven der Abstammung benachteiligen und ausschliessen, obwohl sie auch eine Bewerbung für die Konferenz eingereicht hat. Oder verkürzt:

WoC startet Hashtag, reicht Sessionvorschlag für Republica dazu ein, wer hält jetzt Sessions über den #?…3 weiße Personen…as usual.

Und weiter:

Muss ich wirklich erklären, wieso es problematisch ist, wenn weiße Personen sich die Arbeit von PoC aneignen & damit Geld verdienen?

Das ist nur Teil einer offenen Schlammschlacht, die gerade um den Hashtag „Notjustsad“ tobt, der vor fünf Monaten das Thema Depression einer grösseren Öffentlichkeit bekannt machte. Die Berlinerin Jana Seelig hatte bei Twitter in Anlehnung an einen anderen Tweet über ihre eigenen Probleme berichtet, und viele hatten das aufgenommen und verbreitet. Kurz darauf schlug die Frankfurterin Malaika Bunzenthal vor, doch den Hashtag Notjustsad zu verwenden. Der wurde früher schon selten in den USA benutzt, und sollte nun die entsprechenden Tweets der Betroffenen zum Thema markieren, damit man sich findet, einander zuhören und austauschen kann.

Mein Leben ist mehr als okay und ich bin trotzdem depressiv. Nur, weil ich alles habe, was ich brauche, muss es mir nicht gut gehen.

Gemacht, getan, das Thema rollte erst, von vielen getragen, durch Twitter und später auch durch die Medien. Bunzenthal gab Interviews, Seelig gab Interviews und schrieb einen zudem weit verbreiteten Blogbeitrag zu ihrer eigenen Lage, der dazu führte, dass sie einen Buchvertrag bekam. Dass zwischen der in den Medien herumgereichten Protagonistin und der Hashtag-Gründerin vielleicht nicht alles zum Besten stand, konnte man eventuell ahnen, wenn man einen paar Wochen später den Beitrag von Bunzenthal auf dem Blog der Aufschrei-Initatorin und Hate-Speech-Spezialistin Anne Wizorek las: Darin war die Rolle von Seelig sehr klein und die von Bunzenthal und ihrem Hashtag und dessen Wirkung sehr gross. Auf Speakerinnen.org, wo Bunzenthal ihre Kenntnisse zu Themen wie „Rape Culture, Antirassismus, Feminismus, Rassismus“ offeriert, beschreibt sie sich dann auch ganz deutlich: „Initiatorin des Hashtags #NotJustSad zum Thema Depressionen“. Und Mitte März liess sie dann die erste grosse Bombe platzen – und damit war allen klar, dass es nicht mehr um Depression geht sondern um Deutungshoheit und Ausgrenzung:

Hashtagrecherchierhilfe für Medien:
#Aufschrei wurde nicht von Rainer Brüderle erfunden und #NotJustSad nicht von Jana Seelig.
Biddeschön.

Jetzt gibt es gar kein Halten mehr: Fast täglich twittert Bunzenthal darüber, was sie von Seelig hält, und macht den Veranstaltern Vorwürfe. Die haben sich nämlich zum Thema Depression für den Vortrag von Seelig anstelle der Einreichung von Bunzenthal entschieden. Sicher, mit Charlotte Obermeier leistet sich die Re-Publica eine Mitarbeiterin, die sich bei der Grünen Jugend der ehemaligen Reichshauptstadt öffentlich so eine Art neuen Madagaskarplan für einen missliebigen Autoren nichtarischer Abstammung wünscht, aber so ist das eben im linken Spektrum: Wer Jude ist bestimmen sie, schliesslich laufen sie auch auf solchen Veranstaltungen rum und die richtige Fahne flattert ihnen in der Hand – und jetzt erleben sie es ausnahmsweise selbst mal mit voller Netzhärte, wie es ist, wenn andere bestimmen, dass sie Frau Bunzenthal aufgrund der Hautfarbe ungerecht behandelt haben. Mit dabei bei der Woge der Empörung sind auch bekannte Figuren dieser sehr speziellen und empfindsamen Szene, wie etwa Yasmina Banaszczuk, die selbst auf der Re-Publika sprechen soll:

@mali_2 ja, die Medienlogik ist da oft grausam und ätzend, und ohne Support der anderen Angefragten gehts nicht (&selbst dann teils nicht).

Und das alles passiert natürlich in schönster, lautester Offenheit, offensichtlich in der Hoffnung, auch einen Teil des Ruhms einer inzwischen etwas abgeflachten Hashtag-Welle und Möglichkeiten für den öffentlichen Auftritt abzubekommen. Ob dieses Vorgehen mit persönlichen Schmähungen auf Veranstalter und Journalisten sympathisch und als Bereicherung wirkt, wagt der Autor hier erneut zu bezweifeln und ruft schon mal präventiv das Wetter in Madagaskar auf – denn die Verurteilung als Nazi, Rassist, Mörder oder Sexist kommt schnell, und wie man nicht nur bei Bunzenthal sehen kann, ist da Richter, Staatsanwalt und Henker des Rufes der anderen in einer Person vereint. Es ist keine schlechte Idee, sich dazu die ausgeruhten Stellungnahmen von Seelig auf Twitter und im Blog durchzulesen, und sich dann zu überlegen, ob die Entscheidung der Re Publica und vieler Medien für ihren Umgang mit der Thematik doch nicht die sinnvolle Antwort war. Denn oft genug kommen genau diejenigen zum Zug, denen man die Aufmerksamkeit für ihre radikalen Thesen nicht zwingend wünschen würde.

Ich will hier niemandem seinen Aktivismus absprechen, aber wenn ich etwas kontraproduktiv finde, dann das Thema zu verdrehen.

Beispiele für kollektives Mobben von Abweichlern gibt es gerade im Übermass: Der Dancehall-Sänger Peter Fox hat in Berlin einen Solidaritätsauftritt für Flüchtlinge gegeben, sich aber bei Facebook nicht für ein bedingungsloses Bleiberecht ausgesprochen. Ich habe nachgeschaut, weil man ja in Zeiten neuer Madagskarpläne nie wissen kann, aber im Grundgesetz steht immer noch: Politisch Verfolgte geniessen Asyl. Fox ist also demzufolge jemand, der für eine Liberalisierung der Migrationspolitik eintritt, aber halt nicht für die radikalste Forderung, dass jedem die Zuwanderung zu gestatten sei. Dafür gab es von Linken einen Shitstorm gegen ihn, als wäre er der Berliner Repräsentant der AfD.

We still need more bots! Join our task force to keep getting those trolls:

Oder das um Aufmerksamkeit heischende Peng Collective, das momentan versucht, mit künstlichen Bots bei Twitter angebliche „Sexisten“ aufzuspüren und zu „bekehren“. Das ist ein klarer Bruch der Regeln von Twitter, und die Liste ihrer Ziele hat das teilanonyme Kollektiv anhand von sogenannten Blocklisten zusammengestellt, wie das Missy-Magazin so gut informiert zu berichten weiss, dass man fast glauben könnte, sie wären bei den Anonymen des Kollektivs dabei gewesen. Das bedeutet: Radikale Aktivisten benennen ihre Gegner, blocken sie bei Twitter – und das Peng Collective übernimmt diese Haltung und versucht ihnen dann auch noch Bots auf den Hals zu hetzen, die ihre Kommunikation stören und als Sexisten brandmarken. Erfreulich an der Sache ist, dass nur vergleichsweise wenige Nutzer von dieser Spam-Aktion betroffen waren, und keinesfalls die fünfstelligen Zahlen, die vom Kollektiv erfunden und in den unterstützenden Medien wiedergegeben wurden. Unschön ist, dass solche Methoden offensichtlich gar nicht mehr hinterfragt werden, weil wie schon beim UVA-Fake genügend Journalisten im Graubereich zum Aktivismus mitwirken, die gern auf Empörungswellen reiten. Das Kollektiv hat übrigens nach dem Anlaufen ihrer Denunzianten-Aktion und den Medienberichten sofort begonnen, um Geld zu betteln.

Trolls harassing you? Retweet this to send them help

Wer ist nun also Troll, Sexist, Rassist, Rechtsextremer, Nazi? Wer entscheidet, ob Teilnehmer einer öffentlichen Debatte entfernt und ausgeschlossen werden, weil sie eine andere Meinung haben? Wer sagt, dass jemand, der nicht an eine Rape Culture glaubt, gleich ein Rape Denier ist? Die Leute im Peng Collective vielleicht, die Journalisten toll finden, wenn sie auf ihre Fakes hereinfallen und eine Erklärung fordern, wenn ihnen deren Meinung und Wortmeldung nicht passt? Die Linken, die heute die EU als Mörder bezeichnen, weil sie genau jenes Programm Mare Nostrum nicht mehr fortsetzen, das die Linken zu Beginn als Repression und Überwachung bekämpften? Die vorschnellen Kommentatoren, die gestern „EU tötet“ schrieben und heute ignorieren, dass die Schleuser, die sie gestern hochleben liessen, Schuld am Untergang eines Schiffes haben, das die EU gerade retten wollte? Die Bunzenthals, die ihre ehemaligen Verbündeten auf eine Stufe mit Rainer Brüderle stellen? All die Guten, die Benachteiligung und Unrecht zu thematisieren meinen und sich daher legitimiert fühlen, alles andere bei der geringsten Abweichung moralisch zu verwerfen?

Mörder oder Helfer? Medien dämonisieren die »Schlepper« und verleugnen das eigene Mittun an Destabilisierungen

Das meiste ist mittelfristig im Diskurs und mit Recherche zu lösen, denn meistens hat jede Seite für ihre Ansicht hörenswerte Argumente, das Gute erweist sich oft als Grauton und die Sensation als aufgebauschte Langeweile, und am Ende steht dann vielleicht sogar etwas wie eine von Effekthascherei und Täuschung halbwegs befreite Meinungsbildung. Bitter ist es natürlich, wenn die Kommunikation über wichtige Themen von solchen Befindlichkeiten der einzig Gerechten überlagert werden: Depression als Thema ist ja nicht verschwunden, sondern wichtig, und verdient eine angemessene Debatte und Darstellung. Das Netz hätte gegen die vorschnellen Urteile der CSU wie Berufsverbote für Depressive eine durchaus hörenswerte, vielschichtige und differenzierte Antwort von Betroffenen gehabt.

Jetzt hat es statt dessen eine hochgiftige und hässliche Rassismusdebatte über ein Konferenzprogramm. Und eine nicht minder hässlich polarisiernde Asyldebatte ohne grosse Rücksicht auf Wissen und Fakten kommt gerade auf das Netz zu. Vielleicht ist das ja auch ein Grund, warum in Deutschland die Intellektuellen das angeblich soziale Netz tendenziell eher meiden.