Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Der „Fall“ Tim Hunt: Tonmitschnitt bringt seine Verfolger in Bedrängnis

Es waren nur ein paar Tweets von zwei Journalistinnen und einem Journalisten, aber der Nobelpreisträger Sir Tim Hunt hatte keine Chance: Was über seine Äusserungen bei einem kurzen Toast auf einer Konferenz in Korea verbreitet wurde, bedeutete das Ende seiner Karriere. Als angeblicher „Sexist“ wurde er gedrängt, seine Ehrenämter niederzulegen, und seiner unbeteiligten Frau erging es nicht besser. Der Vorwurf der dem Feminismus nahe stehenden Angreifer lautete, er hätte sich sexistisch über Frauen geäussert, und im Netz wurde diese abgesprochene und geplante Aktion als Wahrheit weiter verbreitet. Andere Anwesende widersprachen den Behauptungen, aber sie kamen nicht durch: In wenigen Stunden wurde Tim Hunt von den Medien und Netznutzern vorgeführt, verhöhnt und ausgegrenzt. Der Guardian, die BBC, die Zeit: Sie alle beteiligten sich aktiv und einseitig an einer moralischen Hinrichtung und unterstützten das Narrativ der Angreifer. Tim Hunt und andere erklärten, er hätte einen vom Auditorium sehr wohl verstandenen Witz über sich selbst gemacht. In einem Editorial forderte der bislang als Aufklärer respektierte Guardian dagegen von Tim Hunts Universität, dem Druck der Verteidiger nicht nachzugeben und den Nobelpreisträger nicht zu rehabilitieren – die Hauptanklägerin Connie St.Louis sei dagegen eine Verfolgte des Netzes.

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Dabei hatte die Daily Mail schon fünf Tage vorher nachgewiesen, dass die Journalismusprofessorin St. Louis von der University der City of London in ihrer eigenen Biographie sehr fragwürdige Angaben gemacht und zumindest eine Referenzen komplett falsch angegeben hatte – ausgerechnet eine Mitarbeit bei besagter Daily Mail. In der Folge wurde sie von der Universität lediglich aufgefordert, ihre Biographie zu aktualisieren. Kurz zuvor hatte der Guardian St. Louis noch einmal Gelegenheit gegeben, Tm Hunt ausführlich öffentlich zu beschuldigen und zu verurteilen, und für die feministisch-aktivistische Sache zu werben. Über die Anwesenden bei Hunts Rede sagt St. Louis im Guardian:

Nobody was laughing.

Und bestätigt noch einmal das, was sie in der BBC behauptete

After he’d finished, there was this deathly, deathly silence. Very clearly, nobody was laughing – everybody was stony-faced.

Ihre Mitanklägerin – und persönliche Freundin – Deborah Blum assistierte ihr und bestritt, dass Tim Hunt seine Aussagen als Scherz über sich selbst gemeint hatte. Im Sinne von Hunt hatte es ein inoffizieller Bericht der EU jedoch so beschrieben – demzufolge sprach Hunt eindeutig selbstironisch und warm von „Monsters like me“, die die Anwesenden überwinden würden.

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Am Sonntag nun hat die Times aus dem Murdoch-Imperiumden Audioschnipsel vom Ende seiner Rede veröffentlicht, in dem Tim Hunt genau das über sich sagt. Und danach lachen die Anwesenden, und der Applaus setzt ein. Die russische Teilnehmerin Natalia Demina, die schon zuvor die Aussagen der Angreifer bestritten und mit Bildern von der Ansprache den amüsanten Charakter belegt hatte, hat der Times den Ausschnitt zur Verfügung gestellt.

Es ist offensichtlich, dass die Aussagen der feministischen Angreifer nicht dazu passen.Von Seiten des Guardians und der Zeit gibt es zu diesen neuen Entwicklungen lediglich eisernes Schweigen.

Was ansonsten auch nicht in die feministische Strategie passt, hat die Co-Autorin des Times-Beitrags dann in ihrem eigenen Blog zusammengestellt: Minutiös zeigt die konservative Journalistin Louise Mensch auf, wie Hunt von einer mit einem Ankläger bekannten Journalistin eine chauvinistisch wirkende Aussage über das Essen unterstellt wurde, die in Wirklichkeit von einer koreanischen Politikerin getätigt wurde, und wie sie sich wieder herauszulügen versucht. Mensch belegt, wo sich die Behauptungen von St. Louis und Blum eklatant widersprechen, wie sie den Shitstorm gegen Hunt anheizen, und wie ein anwesender Professor für Journalismus der Universität von New York Tim Hunt erst der Lüge bezichtigt und dann zurückzieht, als er sieht, dass Connie St. Louis in einem Punkt die Version von Tim Hunt bestätigt. Es ist ein umfassendes Debakel des Journalismus.

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Und die Reaktion auf den Beitrag? Alice Dreger, eine weitere feministische Autorin, die sich über Tim Hunts Sturz freute, fällt in den letzten Stunden, angefeuert und unterstützt durch Deborah Blum, in einer sehr langen mobbingähnlichen Serie von Tweets über Louise Mensch her und versucht, sie persönlich zu diskreditieren. Es geht nicht um die von Mensch analysierten  Widersprüche, die Kampagne der Anklägerinnen, ihr Einwirken auf Medien, die eindeutigen Lügen und das Versagen der Medien, die die Aussagen nicht überprüften und den Shitstorm weiter anheizten, sondern erneut um die Kampagne gegen Personen, die sich weigern, die Sache wie die Aktivistinnen zu sehen. Sei es, weil sie auch anwesend waren und gute Beweise haben, sei es, weil sie genau hinschauen, ihre Quellen verlinken und ihre Argumente schlüssig darstellen.

Es gibt neben den teilweise nachweislich falschen Behauptungen der belastungseifrigen Angreifer keinerlei Beweise, dass in Korea etwas in der Form stattgefunden hat, was sie bei Twitter und später in den Medien verbreiteten. Dass sie ihr Vorgehen geplant und abgesprochen haben, geben sie selbst zu. Nach den minimalen Anforderungen eines fairen Prozesses der westlichen Gesellschaft und angesichts der entlastenden Beweise wäre nun der Zeitpunkt für eine Neubewertung.

Sie wird nicht vermutlich kommen.

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Denn die Mehrheit der Medien und des Internets haben sich mitreissen lassen, und dass die Daily Mail und die Sun-Autorin Louise Mensch saubere Arbeit leisten, wird der Guardian vermutlich eher nicht gern anerkennen. Man hat sich via Editorial schon für die „richtige“ Seite entschieden. Tim Hunt ist als weisser, alter, männlicher Sexist gebrandmarkt, Connie St. Louis ist eine schwarze, feministische Aktivistin, und Deborah Blum lehrt, auch wenn das nach dieser Nacht im Netz überraschen mag, am angesehenen MIT. Es sind privilegierte Aktivistinnen, und der Mob im Netz ist hilfsbereit auf ihrer Seite.

 

Es kann immer noch sein, dass andere Institutionen zu einem anderen Urteil als der bislang schweigende Guardian kommen, und Tim Hunt öffentlich rehabilitieren und sich entschuldigen. Der Fall war bislang voller Überraschungen und Wendungen, und vielleicht kommt auch noch mehr über die Angreifer heraus. Bis dahin jedoch muss man leider festhalten, dass abgesprochene Attacken im Netz durch scheinbar glaubwürdige Personen mit den richtige Reizthemen und dem richtigen Drall im schlimmsten Fall besser als Kampagnen der Boulevardpresse funktionieren: Bei Bild und Sun ist bei den Medien und Publikum wenigstens die Bereitschaft da, die Geschichten noch einmal zu überprüfen. St. Louis und Blum jedoch bekamen unwidersprochen Raum, Applaus, Unterstützung und im Falle des Guardian auch Nibelungentreue für ihr Treiben, weil es die politisch „richtige“ Einstellung war. Mit Feminismus geht offensichtlich viel – vor zwei Wochen etwa bezeichnete in Deutschland der Verein Pro Quote die Entscheidung der taz, einen Mann zum Chefredakteur zu machen, als „Chromosomengau“. Wenn es gegen Männer geht, bleibt selbst das in Deutschland ansonsten unstatthafte Abrutschen in die Eugenik folgenlos, und die Grenze zwischen Netzaktivistinnen und Journalistinnen löst sich auf. Sie wollen vermutlich, dass man das lustig findet, selbst wenn es alles andere als selbstironisch ist.

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Was sich für Aktivisten lohnt, muss für die von ihnen genutzten Medien allerdings nicht von Vorteil sein: Das notorisch konfliktfreudige Portal Gawker sah sich letzte Woche gezwungen, eine unappetitliche, shitstormtaugliche Geschichte zurückzuziehen. Anzeigenkunden hatten daraufhin die Werbung storniert, und im Zuge der Debatte wurde auch bekannt, dass mit Sam Biddle der berüchtigste Autor nicht mehr sonderlich erwünscht ist: Biddle hatte hauptverantwortlich das Leben der PR-Angestellten Justine Sacco wegen eines einzigen dummen Witzes ruiniert, und das Management sieht in ihm und im schlechten Ruf, den er Gawker einbringt, ein wirtschaftliches Problem. Hexenjagden mögen für Aktivisten erbaulich sein, eignen sich aber offensichtlich wenig als Umfeld für kommerzielle Interessen und Werbung. Und speziell für diese Wahrheiten sind Medien ungeachtet ihrer Einstellung deutlich empfänglicher, als für Lügen aus dem Internet.