Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Die Wahrheiten und Filterblasen der Asyldebatte

Am Donnerstag sassen die Spitzen der Regierungsfraktionen in Berlin zusammen und sprachen über Gesetzesreformen, die Horst Seehofer dann als das „schärfste Asylrecht“ des Landes verkündete, offensichtlich in der Erwartung, dass die veränderten Bedingungen nunmehr Menschen davon abhalten könnten, nach Deutschland zu kommen. Ich war im Kernland der CSU, am Tegernsee, zwischen den beiden Klausurorten in Wildbad Kreuth und St. Quirin. In Tegernsee selbst wurde neben dem Schloss ein Cafe renoviert. Jetzt ist es offen, und natürlich wollte ich es mir anschauen. Es ist alles weiss vor tiefblauem Himmel, es gibt eine famos gestaltete Terrasse hin zum See, mit diesem Panorama.

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Sie, liebe Leser, sehen das, aber Sie wissen natürlich auch, dass es ein Privileg ist, hier zu wohnen. Ihre allgemeinen Informationen über die Bundesrepublik und ihre Sozialstruktur helfen Ihnen bei der richtigen Einschätzung. Sie wissen, dass Sie durchaus mal für einen Tag herfahren können, oder Urlaub machen – aber Sie ahnen vermutlich auch, dass auch ich hier nicht den ganzen Tag auf einem Stuhl mit goldenen Lehnen sitzen, Tee trinken und mich dabei von einer Bedienung umsorgen lassen kann. Kurz, Sie kennen den Kontext des Bildes und wissen, dass selbst ich nicht dauernd so lebe.

Aber weiss man das in Somalia? Denn an diesem Tag, da sich so viel für Flüchtlinge in Deutschland entscheidet, sind die Selbigen schon hier und machen Bilder. Genau hier, auf dieser Terrasse, auf den goldenen Stühlchen, mit Blick auf den See, da stehen und sitzen sie in Posen, lassen sich ablichten, schauen das Ergebnis an, und verschicken es gleich nebenan am Rathaus, wo es kostenloses WLAN gibt. Ich will mich nicht darüber beklagen, ganz im Gegenteil, die Sonne scheint für alle, und natürlich sind auch meine Bilder gestellt. Ich wohne zwar in einem Ort am See, aber nicht mit privater Terrasse am See. Es ist nur natürlich, dass Somalier, Eritreer, Senegalesen, Iraker und Syrer genau das tun, was hier alle tun; Schöne Bilder machen und sie nach Hause schicken. Denn in Tegernsee hat man die Turnhallen am See zu einer Notunterkunft gemacht, und knapp 200 Personen sind jetzt hier und tragen die Kunde der landschaftlichen Schönheit, wie die anderen Touristen und Schadmünchner, in die Welt.

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Nur: Es kommt ohne den realen Kontext innerhalb einer Filterblase an. Es sind gestellte Bilder, die in Dschibuti, Mogadischu und Asmara nicht die Geschichte einer mit Betten gefüllten Turnhalle und Kantine erzählen, so wie auch die wenigsten Touristen hier ihre Hotelzimmer ablichten. Sie erzählen davon, dass die Abgebildeten es geschafft haben und nun in einem Cafe sitzen, bedient werden und – selbst wenn es nicht ganz stimmt und die Tasse geborgt ist– einen Tee trinken, der mehr kostet, als eine Hotelangestellte in Kenia in zwei Tagen verdient. Die Jungs haben ihren Spass, keine Frage. Das sind die Bilder, die nach Afrika gehen, das sind die Informationen, die zum Thema Flucht und Asyl dort ankommen. Die afrikanische Filterblase, zuverlässig mit Beweisphotos ausstaffiert, denkt nun mal anders. als es ein Interview von Herrn Seehofer im Morgenmagazin beabsichtigt, und macht sich auf den Weg.

Mir ist natürlich voll bewusst, dass sich hier bereits viele Mundwinkel verzogen haben. In unserer eigenen Filterblase der deutschen Medien ist der Flüchtling immer politisch verfolgt entweder auf einer Nussschale im Mittelmeer, im Elend des Balkans, an der Grenze zu Deutschland, wartend vor dem Lageso oder auf dem Weg zum Facharbeiter und Rentenzahler. Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Balkansystem der Flüchtlinge, die von Syrien nach Berlin in einer Woche durchgeschleust werden, und wenig mit der Lebensrealität und den Erwartungen vor Ort. Die sollten, grosso modo und der Natur des Menschen entsprechend, so gut wie möglich sein, und nach Monaten der Beschäftigung mit dem Thema ist das Auto, das ich aktuell fahre, von Karatschi bis zur Elfenbeinküste wohlbekannt. Es handelt ich um einen zweisitzigen Sportwagen, und wenn ich mit Lagerbewohnern ins Gespräch kommen will, fahre ich damit vor. Der Wagen – und die Möglichkeit, sich daran oder gar darin ablichten zu lassen – ist ein weitaus besserer Anknüpfungspunkt als die Zigaretten, mit denen sich Kollegen anderer Medien Information beschaffen. Die Filterblase der deutschen Medien ist voll mit Brandanschlägen und Zeltlagern: Natürlich kommt deshalb niemand über das Mittelmeer, und auch nicht für einen alten Opel. Sie kommen, weil die Filterblase der Flüchtlinge voll mit der Realität ist, in der sich ihre Freunde positiv darstellen, gerne auch mit Mercedes. Das ist auch nicht anders als beim deutschen Urlaubs- und Hochzeitsbildern auf Facebook. Es ist Teilhabe an unserer Gesellschaft.

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Diese im interkulturellen Dialog noch lustigen Filterblasen machen die innerdeutsche Debatte erst so richtig hasserfüllt. Mir wurde bei einem meiner idyllischen Radlbilder im Altmühltal von einer Twitteraktivistin vorgeschlagen, ich sollte doch mal eine Radltour für Flüchtlinge anbieten. Die Wahrheit – dass Flüchtlinge die ihnen geschenkten Gebrauchträder realistisch als zweitklassiges Fortbewegungsmittel erkennen und sie nur zwangsweise nutzen, aber wie ein dicker deutscher Spiesser sicher jederzeit den Mercedes bevorzugen würden – hat ihr überhaupt nicht gefallen. Man wird ganz schnell zum Rassisten abgestempelt, obwohl es offensichtlich ist, dass ausser den Grünen, Freunden des Steinzeitkommunismus und den Radsammlern niemand hier die Zukunftserwartung eines alten Rades hat. Aber wer nur die weich gezeichneten Bilder syrischer Mütter mit ihren Kindern kennt, die ikonographisch die christliche Marienverehrung zitieren, wird sich keinesfalls mit dem Gedanken an adidastragende Hiphopper anfreunden, die Bilder der Bedienungen verschicken – was wiederum in Afrika mit Kenntnis amerikanischer Rappervideos ikonographisch für immensen Reichtum steht. Ich finde das lustig. Warum sollten sich Flüchtlinge anders als andere Touristen verhalten, noch dazu, wo sie dadurch in der Heimat jenes Sozialprestige erwerben, das sie hier trotz ihrer Wünsche nicht bekommen? Es ist nur natürlich.

Sie können mit Filterblasen spielerisch gut umgehen, zumal unsere wohlmeinenden Filterblasen sorgsam darauf bedacht sind, diese Aspekte keinesfalls erfahren zu wollen. Während sich die Mitglieder der Gruppe Wanda aus der westbalkanischen Metropole Wien dauernd fragen lassen müssen, wie sie es mit Frauenrechten halten, werden solche Fragen an Flüchtlinge nie gestellt. Wir konzentrieren uns auf eine Woche Reiseelend und Verteilungsprobleme, auf Deutschunterricht und Feinheiten des Asylbewerberleistungsgesetzes, während die Migranten monatelang hier sind und – vorsichtig gesagt – nicht immer alles so schlecht finden, wie jene Zitate, die man für einen sozialen Aufschreiartikel braucht und auf Verlangen auch bekommen kann. Je mehr ich über das Thema lerne – und mit jedem Bild, das vor meinem Roadster entsteht, lerne ich etwas dazu – desto mehr erscheint mir die deutsche Filterblase mit ihrer Themensetzung problematischer als das leicht falsche Bild, das auch wegen mir und dem Roadster in Mali und Pakistan von Deutschland entsteht.

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Um es mal an einem Beispiel zu zeigen – und man sehe es mir nach, wenn ich schon wieder die Süddeutsche Zeitung nehme: In Freising hat man einen mutmasslichen Seriensexualstraftäter auf frischer Tat erwischt. Der Mann hat noch drei andere Taten gestanden. Die Polizei geht davon aus, dass noch mehr passiert sein könnte, und bittet die Bevölkerung um Hilfe. Gesucht werden laut SZ Informationen über einen Mann aus Freising mit Oberlippen- und Kinnbart. Das können laut Beschreibung Tausende sein. Erst im Münchner Merkur wird die Gruppe deutlich kleiner: Es handelt sich um einen pakistanische Asylbewerber, was im Vergleich mit dem klassischen Bajuwaren aus Freising etwas anders ist. Die SZ hat etliche Autoren, die von der Piratenpartei über Julian Assange bis zur Fiktion einer deutschen Rape Culture moralische Episteln verfassen und nie zögern, Feinde der Genderideologie vorzuführen. Hier geht es nun um echte Sexualstraftaten und ihre Aufklärung. Die SZ hält Informationen zum Täter zurück. Was sagen die Feministinnen dazu? Ist es nicht der Inbegriff der Rape Culture, wenn Ermittlungen erschwert werden?

Ich bin zufällig über die Nachricht gestolpert, weil ich mich auch mit den klandestinen Aktivitäten einer Neonazigruppe beschäftige, aus deren Umfeld eine der typischen Facebookseiten über Flüchtlinge stammt. Auch das ist eine der Filterblasen – und dort sind naturgemäss die Quellen zu solchen Ereigissen verlinkt, die das Geschehen nicht vom Kontext der Migration befreien. Die Facebookseite macht unter dem Deckmantel der Gegenöffentlichkeit Werbung für Aktionen der rechtsextremen Gruppe „Der dritte Weg“, und natürlich kann man darüber diskutieren, ob es vertretbar ist, so eine Filterblase gewähren zu lassen. Aber deren – mittlerweile schwerer angreifbar gewordene – Propaganda kann nur so gut sein, wie die Aufklärung schlecht ist. Es ist fraglos richtig, gegen falsche Behauptungen im Netz aktiv zu werden. Ob es dann aber die richtige Entscheidung ist, Vorbehalte gegen Medien zu stärken, indem relevante Informationen nicht gebracht werden, hängt davon ab, wie gut die Filterblase ansonsten funktioniert. In Deutschland wird diese Filterblase von enigen Leitmedien inzwischen nur noch dicht gehalten, indem man fast schon täglich einen Bürgermeister, einen Landrat, einen Innenminister oder einen Philologenverband als „Hetzer“ vorführt und damit signalisiert, was als intolerabel gilt. Es werden darüber klare Vorstellungen formuliert, wie man denken sollte. Die Willkommenskultur sollte so sonnig und wolkenlos wie eine Terrasse am Tegernsee sein, und ist gerade so echt wie ein Bild auf einem Handy an der Elfenbeinküste.

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Es wirkt inzwischen verzweifelt. Morgen ist bei mir daheim Bürgergespräch. Danach kann ich berichten, wie es unter dem Himmel am Tegernsee wirklich aussieht.

 

 

Nachtrag: Ein Freund, dessen Meinung ich sehr schätze, meint, dass ich keine Empathie zeige, und meine Beiträge seien kalt. Ich habe ziemlich viel von dieser Staatskrise gesehen nnd es kann schon sein, dass mir manchmal das Lachen vergeht. Die Flüchtlinge sind nicht das Problem, das Problem ist das Versagen der Politik und die Art, wie man ein weitgehend unvorbereitetes Land in eine Situation geführt hat, für die ich keine Lösung sehe, die irgendwie schön oder richtig sein könnte. Als ob ein teuer bezahltes türkisches Grenzregime, das die von der Kanzlerin gerufenen Afghanen brutal aufhalten würde, auf dem Weg in ein zu den rechten Rattenfängern kippendes Europa mit zusammengestrichenem Asylrecht, irgendetwas wäre, das man mit Empathie erwarten könnte.