Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Jung, naiv und öffentlich ausgepeitscht

Eine Frau reicht einem Mann die Hand und läuft zum Meeresstrand. Der Mann lässt sie los, hebt einen Fuss und tritt sie in den Rücken. Die Frau strauchelt, stürzt, und fällt ins Wasser. Das alles wurde aus der Sicht des Mannes mit vier Photos aufgenommen und zusammengestellt. Und ein Mann ist es auch, der es mit der offensichtlich provokativ gemeinten Überschrift „Women’s Day“ bei Instagram veröffentlicht. Die Geschichte ist alles andere als schön, menschlich höchst unerfreulich, und zugleich etwas, das im Internet des Revenge Porn, der Gehässigkeiten über Topmodelle und der allgemeinen mangelnden Rücksichtnahme an der Tagesordnung ist. Auch am Tag der Frau.

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Allerdings ist der Mann, der die Bilder verbreitet und dabei von ein paar Dutzend Personen unterstützt wird, nicht irgendwer. Sein Name ist Tilo Jung, und er hat für sein Webvideoformat „Jung und Naiv“ immerhin den Grimme Online Award bekommen. Es ist nicht das erste Mal, dass Jung abseits dessen liegt, was man als Mainstream bezeichnet: Früher beschwerte er sich über den Unterleib von Frauen, die Kinder auf die Welt gebracht hatten, seine Haltung zu Israel ist kaum mehr als „ambivalent“ zu umschreiben, und in den letzten Wochen zog er Kritik in der Bundespressekonferenz auf sich, weil er schlecht vorbereitet Regierungsmitglieder befragte – oder, je nach Standpunkt, trollte.

Ausgesprochen schlecht kam das bei manchen Unterstützern des Projekts Krautreporter an, wo Jung seine Video für gutes Geld zur Verfügung stellt. Dass Jung das tun würde, war im Vorfeld schon bekannt – dass er das Portal, das nach Eigenaussage zur Rettung des „kaputten Onlinejournalismus“ angetreten ist, als Autor mit den meisten Beiträgen dominieren würde, war in dieser Form nicht bekannt. Manche der vorab in Personality-Videos vorgestellten Autoren schreiben nur sehr selten, aber Jung liefert. Beständig und konsequent. Er ist gleichzeitig Großverdiener unter den Autoren und nicht zwingend das, was sich viele von Krautreporter in Sachen Qualitätsjournalismus gewünscht hätten. Eine kontroverse Figur. Was ja nicht schlecht sein muss, kontroverse Autoren könnte das bislang doch etwas biedere Projekt durchaus brauchen.

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Solange sie nicht Bilderserien verbreiten, auf denen eine Frau getreten wird, als wäre es der Instagramaccount der Taliban oder der iranischen Revolutionswächter. Natürlich wurde das Bild ein viraler Hit, aber in genau der Art, wie man sich das als Verursacher kaum wünschen kann: Die Empörung war allgemein und nicht nur auf Feministinnen begrenzt. Beteiligt waren auch etliche Geldgeber für Krautreporter – und damit diejenigen, die dem Verursacher sein junges und naives Treiben finanzieren. Krautreporter selbst definiert sich nach aussen über den besonders guten Dialog mit seinen Mitgliedern und Autoren, die mal um Rat gefragt werden und mal als Testimonials herhalten – aktuell mit Theresa Bäuerlein eine bekannte Feministin. Sie schreibt gerne, weil sie weiss, „dass wir nicht verkaufen müssen, sondern überzeugen.“ Am Überzeugen haperte es letzthin mehrfach, es gab deutliche Kritik, und nun eben auch noch den Tritt in den Rücken der Frau. Und eine sehr späte Entschuldigung des Verursachers.

Und bislang kein Wort von Krautreporter über das Treiben ihres, man darf das wohl so sagen, eifrigsten Aushängeschildes. Normalerweise würde man in den Medien die typische Petzerei von Lesern bei den leitenden Mitarbeitern und Aufforderungen, einen Autor zu feuern, nicht sonderlich zur Kenntnis nehmen: Das ist heute normal, egal ob man über Pegida, Extremfeminismus. BVB oder Bitcoin schreibt, immer ist jemand der Meinung, solche Verfasser gehörten zum Verhungern in die Gosse. Bei Krautreporter liegt die Sache anders – da will man den Dialog mit den Mitgliedern. Und man möchte bald die nächste Fundingrunde einläuten. Schliesslich war die immer noch ruckelnde und unübersichtliche Webseite, gebaut von den Kooperationspartnern, auf Dauer recht teuer, die festen Mitarbeiter verdienen dem Vernehmen nach nicht schlecht, ein Büro wurde gemietet, und man kann davon ausgehen, dass Gründer Esser nicht als derjenige in die Geschichte eingehen will, der das bestfinanzierte Crowdfundingprojekt des deutschen Journalismus dank einiger Großspender erschaffen konnte- und dann mangels Interesse der Leser einstellen musste.

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Erste harte und wenig rücksichtsvoll kommunizierte Schnitte auf dem Weg zur Sustainability hat es schon gegeben, auch unter Hinweis auf angeblich unzufriedene Mitglieder. Bei Tilo Jung ist das anders – die sonst so schnellen Twitteraccounts von Krautreporter, Esser und dem fehlersuchenden Niggi haben in der Causa nichts zu sagen, und auch selbstausgewiesene Neofeministinnen an Bord des Projekts haben sich bislang ncht zu Wort gemeldet, wie sie sich nun die Rettung des Onlinejournalismus vor Tritten in Frauenrücken so vorstellen. Die Situation ist vertrackt: Natürlich könnte man nach dieser Eskapade Tilo Jung hochkant rauswerfen und so dem Verlangen vieler Mitglieder nachgeben. Dann aber entstünde der Eindruck, die Rettung des Onlinejournalismus würde vor einem wütenden Mob einknicken. Krautreporter könnte sich aber auch auf den formal korrekten Standpunkt zurückziehen, dass es nicht ihre Sache ist, was freie Mitarbeiter auf Instragram tun. Wäre man nicht gerade dabei, im Zeichen schwindender Mittel die nächste Imagekampagne als unverzichtbare Onlinestimme zu starten, wäre das vielleicht auch eine mögliche Haltung – allein, die Schnittmenge zwischen denen, die Rückentritte gut finden und denen, die es super finden, wenn sie unangekündigt die nicht minder umstrittene Bloggerabschreiberin Helene Hegemann als Autorin finanzieren, ist nach meiner bescheidenen Meinung nicht allzu groß.

Krautreporter haben ein Paket vorgestellt, das es zu finanzieren galt: Hochwertigen Journalismus, den es woanders nicht gibt, von Autoren, die man kennt. Geliefert wurde durchwachsene Qualität ohne Linie, die überall stehen könnte, viele Links auf andere Medien, ziemlich viel Berlin und enorm viel Israel, auch angesichts von Charlie Hebdo keine Aktualität, und genau ein Autor, der die Marke wie kein anderer dominiert: Eben Tilo Jung. Jung macht es nach den Vorstellungen der neuen Medienwelt richtig, er exponiert sich, wird zur auffälligen Marke, hat seine Alleinstellungsmerkmale, und dazu gehört es auch, ab und zu anzuecken und zu provozieren. Diesmal im falschen Moment beim falschen Publikum, diesmal einmal zu oft: Manche kommen auch damit durch, denn auf der anderen Seite der Gewaltgutfinder ist die ebenfalls grimmeausgepreiste Aufschrei-Feministin Anne Wizorek, und die sitzt in Talkshows und wird Botschafterin der Antidiskriminierungsstelle, obwohl sie einen linksradikalen Anschlag zum gleichen Weltfrauentag des letzten Jahrs auf eine Apotheke beklatscht hat. Tilo Jung kommt nicht durch, und das kommt für seinen Arbeitgeber zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt.

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Mancher im kreischenden Mob – darunter auch die stets zur Empörung aufgelegte Gefolgschaft von Wizorek – weiss das vermutlich auch zu gut – Offenlegung: Die verlinkte Person war vor zehn Jahren Autorin in einem von mir herausgegebenen Buch. Und so, wie der Journalist als Marke seine Schattenseiten hat, hat auch das Crowdfunding gravierende Nachteile, wenn die Crowd nicht nur konsumieren will. Bei einem Telefon oder einem Kartenspiel mag es egal sein, was ein Entwickler in seiner Freizeit macht, aber bei einem Medium geht es auch um Standpunkte, Politik und Beeinflussung von Meinung, es geht um Macht, und diese Macht des „Tu was wir fordern oder verhungere“, dieser alte Traum der Mobs, diese Unfähigkeit, mit Dummheit, Fehlern, oder auch nur anderen Meinungen zu leben, bekommt Krautreporter jetzt zu spüren. Natürlich ist Tilo Jung teilweise das Ventil, durch das sich der Druck der generellen Unzufriedenheit entlädt, der Funken in der Pulverkammer, er ist das ideale Beispiel dessen, was man bezahlt, aber nicht bestellt hat. Dafür wird dann gleich das Projekt an sich abgelehnt.

Das wäre die Stunde der gekonnten Onlinedebatte über Dummheit, Verantwortung, Satire, ihre Grenzen und enthemmte Angriffe gewesen. Aber die einen toben und treten die anderen schweigen und ducken sich weg. Es ist ein undankbarer Job, den Krautreporter da gestern zu tun gehabt hätte, aber eine glänzende Gelegenheit zu zeigen, dass sie den Onlinejournalismus tatsächlich retten können. Vor seinen riskanten und provokativen Marken, die eine gewisse Freiheit brauchen und vielleicht auch missbrauchen, und vor der Niedertracht des nach einem Opfer schreienden Mobs.