Markus Brunnermeier (Princeton University) ist einer der angesehensten Makro- und Finanzökonomen in der Welt, aber seine Interessen reichen weit über sein unmittelbares Fachgebiet hinaus. Mit
“Die resiliente Gesellschaft”, das gerade anlässlich der Frankfurter Buchmesse den “Deutschen Wirtschaftsbuchpreis” erhalten hat, legt Brunnermeier ein Werk vor, das den Umgang von Gesellschaften und Volkswirtschaften mit Krisen zum Thema hat. Der aus Landshut stammende Ökonom vertritt die These, dass es unmöglich ist und auch sinnlos wäre, Krisen um jeden Preis verhindern zu wollen. Worauf es ankommt, ist die möglichst schnelle und die möglichst gute Überwindung einer Krise. Diese Fähigkeit zur Überwindung ist mit dem Begriff “resilient” gemeint.
Als Ausgangspunkt für seine Analyse wählt Brunnermeier die aktuelle Pandemie, aber er rät dazu, sich in einer unsicheren, ebenso dynamischen wie globalen Welt auf weitere, nicht prognostizierbare Krisen einzustellen. Resilienz besitzt für ihn nicht nur eine physische Komponente, also die Frage, wie gut nach einer Krise Infrastrukturen oder globale Lieferketten funktionieren. Das sind, wie die aktuellen Engpässe in der Versorgung mit Ausrüstungsgütern und die kräftigen Preisanstiege belegen, fraglos sehr wichtige Themen, die erhebliche Auswirkungen auf das Tempo einer wirtschaftlichen Erholung nach einer Krise nehmen können. Es geht um mehr. Es geht um die Frage, wie die Menschen – als Individuen wie als Gesellschaft – nach einer Krise den Weg zurück finden: “Wer in der Lage ist, sich einer Veränderung anzupassen, liegt meist im Vorteil.”
Brunnermeier hält es für wichtig, dass die Furcht vor Krisen und ihren Folgen die Menschen nicht lähmt. Nicht zufällig ist ein Abschnitt überschrieben mit “Die Gesellschaft zum Risiko ermutigen”, denn dynamisches Wirtschaftswachstum erfordert die Akzeptanz von Risiken durch mutige Unternehmer. Schließlich befördert Innovation nachhaltiges Wirtschaftswachstum. “Wenn man nach einem Scheitern wieder auf die Beine kommen kann, wird jeder Einzelne weiterhin zur Risikonahme ermutigt”, schreibt Brunnermeier. “Diese ganz simple Erkenntnis hat viele Auswirkungen auf die öffentliche Politik.”
Eine davon sei die Bedeutung der beschränkten Haftung, die oft als eine Rechtsfigur dargestellt werde, die den Kapitalismus erst möglich gemacht habe: “Bei einer Haftungsbeschränkung wird der maximale Verlust für den Unternehmer gedeckelt. Folglich verfügt er oder sie selbst im Falle eines Scheiterns über genügend Mittel für einen Neustart.” Aus der Perspektive der privaten Haushalte hält Brunnermeier das Instrument der Privatinsolvenz für sehr nützlich: “Diese Schuldbefreiung ist wie eine Leiter, die man Privathaushalten reicht, damit sie mittelfristig aus dem Loch einer Privatinsolvenz herauskommen können.”
Eine offene Gesellschaft mit gut funktionierenden Märkten und einem regen Wettbewerb von Unternehmen trägt zur Resilienz einer Volkswirtschaft bei; ebenso eignen sich Märkte bei kleinen oder mittleren Krisen als Schockabsorber. “Wenn sich die Welt entwickelt, passen sich Märkte an und treiben den Wandel voran”, betont der Ökonom. Im Falle schwerer Krisen können Märkte allerdings destabilisierend wirken, wenn sie alleine gelassen werden. Zu dieser Erkenntnis hat Brunnermeier mit seiner eigenen Forschung zur Finanzkrise 2008/2009 erheblich beigetragen.
Interessant ist, wie er zwischen unterschiedlichen Arten von Märkten differenziert: “Märkte funktionieren in der Regel gut für Güter und Dienstleistungen, sind aber hinsichtlich der Risikoverteilung unbeständiger. Vermögensmärkte sind anfällig für Spekulationsblasen, die den Markt destabilisieren und eine effiziente Ressourcenverteilung beeinträchtigen können.” In schweren Krisen braucht man den Staat.
Schwere Krisen können in dreierlei Hinsicht ungünstig nachwirken: Sie können Menschen pessimistischer stimmen und von der Übernahme von Risiken abhalten. Eine längere Arbeitslosigkeit kann negative Auswirkungen auf das Humankapital von Arbeitnehmern haben. Und schließlich können Unternehmen lange leiden, wenn sie überschuldet sind. Überschuldete Unternehmen können nicht investieren; damit sind sie nicht innovativ. Brunnermeier warnt davor, überschuldete und wenig leistungsfähige Unternehmen, die sogenannten “Zombies”, länger als nötig am Markt zu lassen.
Brunnermeier sieht die Zentralbanken in einer schweren Krise in der Pflicht, mit einer expansiven Geldpolitik Perspektiven zu schaffen, aber er warnt dringend davor, nach der Überwindung der größten Schwierigkeiten nur auf Deflationsgefahren zu schauen. Vielmehr sei es auch wichtig, Inflationsgefahren im Blick zu halten. Diese Bemerkungen passen sehr gut zur aktuellen Diskussion der EZB-Politik im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Ebenso erinnert der Ökonom daran, dass die niedrigen Zinssätze der Finanzpolitik zwar Spielräume für Staatsverschuldung eröffnen, die Grenze aber dann erreicht wird, wenn das Vertrauen in die Fähigkeit eines Staates zur Tilgung seiner Schulden nachlässt. Eher kompakte Ausführungen zur Ungleichheit, zum Klimawandel und zur Globalisierung runden das gut lesbare Buch ab.