Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Milton Friedmans Glanzzeit

Bücherkiste (20): Edward Nelson rekonstruiert das theoretische und empirische Werk des berühmten Monetaristen und  Ökonomie-Nobelpreisträgers.

Das Interesse am Werk Milton Friedmans (1912 bis 2006) nimmt nicht nur in den Vereinigten Staaten aus zwei Gründen zu. Die steigenden Inflationsraten werfen die Frage auf, ob an der von Friedman wortmächtig vertretenen, vom ökonomischen Mainstream aber verbannten These eines engen Zusammenhangs zwischen Geldmenge und Inflationsrate vielleicht doch etwas dran ist. Zudem erinnern sich in einer Zeit zunehmenden Staatsvertrauens Freiheitsfreunde an Friedmans Lobpreisung von Liberalismus und Marktwirtschaft in seinen auch in deutscher Sprache erschienenen internationalen Bestsellern „Capitalism and Freedom“ („Kapitalismus und Freiheit“) und, zusammen mit seiner Frau Rose verfasst, „Free to Choose“ („Chancen, die ich meine“).


Mit Friedmans Werk und Wirken als Ökonom zwischen 1932 und 1972 befasst sich ein von dem Wirtschaftswissenschaftler Edward Nelson verfasstes zweibändiges voluminöses Werk (hier und hier). In zwei weiteren Bänden soll Friedmans Wirken in den Jahren nach 1972 behandelt werden – also jene Zeit, in der eine an der Geldmenge ausgerichtete Politik in mehreren Ländern ausprobiert und überwiegend bald wieder verworfen wurde. Das Jahr 1972 als Endpunkt für die ersten beiden Bände begründet Nelson mit der Ansicht, zu diesem Zeitpunkt habe Friedmans Laufbahn als innovativer ökonomischer Denker ein Ende gefunden. Im Jahre 1976 erhielt der Amerikaner für seine Arbeiten den von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften vergebenen Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. 


Über Friedman als bekanntestem Vertreter der liberalen Chicago-Schule, die dem interventionistischen keynesianischen Geist entgegen trat, wurde viel geschrieben. Weniger bekannt ist, wie sehr Friedman seine Laufbahn als ein im Geiste von Keynes arbeitender Ökonom begonnen hatte und sich auch noch später eine Wertschätzung für den britischen Ökonomen bewahrte – allerdings weniger für dessen Nachfolger.


Seine eigenen Akzente begann der in New York geborene Ökonom in den fünfziger Jahren in Chicago zu setzen. Er distanzierte sich von der damaligen Mehrheitsmeinung der Ökonomen; stattdessen befürwortete er eine auf der alten Quantitätstheorie beruhende Renaissance der Geldpolitik. Die Quantitätstheorie postuliert einen engen Zusammenhang zwischen der Geldmenge und der Inflationsrate. Später wurde hierfür der Begriff Monetarismus geprägt.


Aufmerksamkeit erlangte Friedman anfangs durch empirische Arbeiten wie dem mit Anna J. Schwarz verfassten Buch „A Monetary History of the United States“. Darin vertraten die Autoren die Idee, die verheerende Depression der dreißiger Jahre sei das Ergebnis einer zu straffen Geldpolitik gewesen, nicht aber Ausdruck eines marktwirtschaftlichen Versagens, das eine aktive Finanzpolitik begründe. Auch für die Nachkriegszeit legte Friedman Arbeiten vor, die in einer an strengen Regeln ausgerichtete Geldpolitik im Vergleich zu aktiver Finanzpolitik die bessere Konjunktursteuerung sahen.


Nelson zeigt, wie schwer sich die Keynesianer lange Zeit taten, diese Kritik überhaupt ernst zu nehmen. Friedmans Empirie war hinterfragbar, vor allem aber schien er auch aus Sicht mancher Anhänger kein konkurrenzfähiges theoretisches Arsenal zu besitzen. Nelson verwendet viel Platz und Mühe, um ein solches Arsenal zu rekonstruieren, aber er räumt ein, dass es hierfür auch der Analyse wenig bekannter Arbeiten Friedmans bedarf.


Friedman selbst hielt seinen Konkurrenten Paul Samuelson aus dem Blickwinkel mathematisch formulierter Wirtschaftstheorie für überlegen; für sich beanspruchte er jedoch, den für eine gute Wirtschaftspolitik besseren Rahmen zu liefern. Respekt schuf sich Friedman durch einen sehr aggressiven und pointierten Diskussionsstil, hinter dem sich nicht nur ein sehr wacher Intellekt verbarg, sondern auch eine beneidenswerte Gabe, komplizierte ökonomische Sachverhalte nachvollziehbar zu erläutern.


Friedmans theoretisches Meisterstück war das Konzept der „natürlichen Rate der Arbeitslosigkeit“, die durch expansive Geldpolitik nicht gesenkt werden kann. (Zusammengefasst hat Friedman diese Analyse in seiner Vorlesung anlässlich der Vergabe des Nobel-Gedächtnispreises.) In diesem Zusammenhang zeigte er die Bedeutung von Erwartungen für die Wirksamkeit von Geldpolitik. Nelson analysiert einprägsam, wie sehr dieses Konzept die wirtschaftswissenschaftliche Forschung in den siebziger und achtziger Jahren befruchtet hat und in welch starkem Maße die moderne makroökonomische Theorie, obgleich sie sich wieder auf Keynes beruft und völlig andere Modelle verwendet, auch durch Gedanken Friedmans geprägt ist. Eine Renaissance der Orientierung der Geldpolitik an der Geldmenge ist daraus allerdings nicht gefolgt.


Friedman vertrat die Auffassung, seine Arbeit als Ökonom stehe gänzlich unabhängig von seiner Arbeit als Herold des Liberalismus. Selbst ein keynesianischer Widersacher wie Franco Modigliani schien dem mit seinem berühmten Satz zuzustimmen, man könne im Prinzip gleichzeitig Monetarist und Sozialist sein. Nelson äußert begründete Zweifel an dieser These: Die Wirksamkeit Friedmans als Ökonom erklärt sich nicht nur mit seinen Arbeiten zur Geldpolitik, sondern auch mit seiner Strahlkraft als Befürworter der Marktwirtschaft, die ihm Anhänger unter Fachkollegen wie unter Politikern zuführte. 

 

In FAZIT haben wir uns schon häufiger mit Milton Friedman befasst, unter anderem hier und hier und hier.

 

 

Die bisherigen Beiträge der Reihe “Bücherkiste”:

Bücherkiste (19): Wichtige Lehren alter Meister

Bücherkiste (18): Der Einfluss der Wirtschaftsweisen

Bücherkiste (17): Resilienz ist Bürgerpflicht

Bücherkiste (16): Ökologische Krisen

Bücherkiste (15): Moderne Wirtschaftslehre

Bücherkiste (14): Eine demografisch-ökonomische Abwärtsspirale

Bücherkiste (13): Sind Finanzmärkte effizient oder ineffizient?

Bücherkiste (12): Das geheime Erbe Ludwig Erhards

Bücherkiste (11): Alles Egoisten!

Bücherkiste (10): Weg mit den Schulden!

Bücherkiste (9): Die Festung der Makroökonomen

Bücherkiste (8): Dollar-Dominanz

Bücherkiste (7): Die Rückkehr der Erben

Bücherkiste (6): Die Rückkehr der Meister (Smith, Marx, Hayek)

Bücherkiste (5): Geld hilft selten aus der Armut

Bücherkiste (4): Die Bankenlobby redet Schwachsinn

Bücherkiste (3): Warum Nationen scheitern

Bücherkiste (2): Ökonomen für jedermann – Eine Reihe im F.A.Z.-Buchverlag nimmt Gestalt an

Bücherkiste (1): Wie uns Ökonomen vom Dunkel ins Licht führen – Anmerkungen zum neuen Buch von Sylvia Nasar